Afrikanische Staaten leiden, teilweise von der Weltöffentlichkeit ungesehen, unter den Folgen des Ukrainekrieges. Hungersnöte, ausgelöst durch Lieferengpässe und die Verteuerung von Grundnahrungsmitteln in Kenia, Nigeria oder etwa am Horn von Afrika, zeugen davon. Kann mehr Geld aus dem Westen die Not lindern?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von David Bieber sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Das nächste unsichtbare Opfer des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind die Länder südlich der Sahara in Afrika. Das zeigt etwa der jüngste Bericht der OECD, also der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mit Sitz in Paris.

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Der Zusammenschluss der Industriestaaten ist eine internationale Organisation mit 38 Mitgliedstaaten, die sich vor allem der Unter­stützung der wirtschaft­lichen Entwicklung in weniger entwickelten Ländern sowie für die Förderung des Welthandels einsetzt.

Nach dem OECD-Bericht liegt die Entwicklungshilfe für das zurückliegende Jahr auf Rekordniveau. In Zahlen sind das 204 Milliarden Dollar finanzielle Hilfsmittel, ein Anstieg von knapp 14 Prozent gegenüber 2021. "Das liegt allerdings zu einem guten Teil an der Unterstützung für die Ukraine. Zum einen Teil an der hohen humanitären Hilfe, aber auch daran, dass Teile der Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in den Geberländern ebenfalls angerechnet werden", erklärt Axel Dreher von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg gegenüber unserer Redaktion.

Der Professor für Internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik ordnet den kürzlich veröffentlichten Bericht und seine Konsequenzen für den globalen Süden ein. "Dass der Krieg in der Ukraine eine so starke Reaktion hervorruft, während Krisen und Kriege in anderen Weltregionen, etwa in Afrika, kaum Beachtung finden, kann man kritisieren."

Explodierende Dünge-Kosten treffen Bevölkerung hart

In erster Linie sind es afrikanische Staaten, die unter den Folgen des Ukrainekrieges leiden. Hungersnöte durch Lieferengpässe und die Verteuerung von Grundnahrungsmitteln wie Getreide, vor allem Weizen sowie Öl und Gas in Kenia, Nigeria, im Sahel oder etwa am Horn von Afrika zeugen davon.

Viele afrikanische Länder haben ohnehin bereits mit enormen Problemen bei der Nahrungsmittelversorgung zu kämpfen. Mit den heftigen Preisanstiegen aus den vergangenen Jahren am Weltmarkt, extremer Trockenheit und den Folgen des Ukrainekonflikts verschärft sich die Lage jetzt noch einmal deutlich.

Ein Beispiel: Viele Bauern in den ärmeren Ländern können sich Dünger wegen der massiven Preissteigerungen kaum noch leisten. Sie bauen weniger an oder genauso viel wie zuvor, erzielen aber weniger Ertrag. Das gilt nicht nur für den Weizenanbau, sondern für alle Arten von landwirtschaftlichen Nutzpflanzen, ob Gemüse, Futterprodukte oder Reis.

Neue Zielorte für westliche Hilfsgelder

Während die Ukraine also vom Westen Hilfsgelder in Milliardenhöhe (etwa 16,1 Milliarden Dollar) wegen des russischen Angriffskriegs im vergangenen Jahr erhielt und weiterhin, davon ist auszugehen, erhalten wird, fliesst in die ärmsten Länder weniger Geld. Für manche Weltregionen war die Unterstützung zuletzt sogar rückläufig. Wie die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) herausarbeitete, flossen in die 46 am wenigsten entwickelten Länder im vergangenen Jahr etwas weniger Hilfsgelder als im Vorjahr. Deutlicher war der Rückgang für Subsahara-Afrika: Hier seien die Hilfszahlungen um mehr als 2,5 Milliarden Dollar oder acht Prozent zurückgegangen.

Wie die NZZ weiter berichtete, soll etwa die Schweiz sogar bei der klassischen Entwicklungszusammenarbeit ihr Budget gekürzt haben. Zwar stieg laut des Berichts die Summe, die das Land laut OECD-Kriterien für die öffentliche Entwicklungshilfe ausgibt, um mehr als 16 Prozent an. Grund dafür waren aber einzig die massiv gestiegenen Asylkosten durch den Ukrainekrieg. Die Ausgaben für die Hilfe im Ausland gingen derweil sogar um rund 170 Millionen Franken zurück. Deutschland dagegen hat seine Hilfsgelder für die humanitären Hilfswerke der UNO aufgestockt.

Für Entwicklungspolitikexperten Axel Dreher ist die Tatsache, dass Entwicklungsausgaben an anderer Stelle – auch bei den ärmsten Ländern – für einen politisch relevanteren Konflikt abgezweigt werden, nichts Neues. Das zeige die Forschung seit Langem. "Hilfe wird zu einem guten Teil dort eingesetzt, wo es den Gebern nützt." Die Ukraine sei politisch "näher dran" an den wichtigen Gebern, auch die "politischen Konsequenzen für die Geberländer sind hier greifbarer". Kurzum: "Wenn ein Land wie die Ukraine plötzlich einen hohen Bedarf an Unterstützung hat, sparen viele Geber an anderer Stelle."

Sind mehr Hilfsgelder die Lösung?

Die (politischen) Konsequenzen sind insbesondere für Staaten wie Deutschland spürbar und stellen sie vor Herausforderungen in Form von hohen Flüchtlingszahlen. Auch geht es für den Westen und Deutschland um die Verteidigung westlicher Werte und Interessen in der Ukraine. Zwar werden westliche Machtinteressen seit jeher besonders auch in Afrika erkämpft und verteidigt, dennoch ist die Ukraine durch die geografische Nähe und die weltweite Preisexplosion in Folge des Krieges dem Westen näher. Oder schlichtweg wichtiger.

"Oft kürzen Geber dort, wo es für sie wirtschaftlich und politisch am einfachsten ist, Gelder einzusparen. Das ist dann oft in Subsahara-Afrika", erklärt Dreher. Mit dem stetig wachsenden Einfluss Russlands und Chinas auf dem afrikanischen Kontinent könnte dies sich aber schnell ändern und Afrika zunehmend in den Fokus des Westens geraten, auch bei der Entwicklungshilfe.

Mehr Entwicklungshilfe gleichbedeutend mit weniger Krisen?

Sollten nicht die Entwicklungsgelder der Industriestaaten sukzessive erhöht werden, um weitere Krisen im globalen Süden zu vermeiden? "Tatsächlich zeigt die Forschung, dass Teile der Hilfen das Konfliktrisiko sogar erhöhen. Auch was Flüchtlingskrisen angehen, ist die Evidenz eher schlecht", erklärt Dreher. Wenn die Einkommen der Menschen nämlich stiegen, werde die Flucht für viele oft erst möglich.

Überhaupt müsse der Fokus weg vom "Input" und mehr auf den tatsächlichen Ertrag gelenkt werden. "Viel Hilfe ist nicht notwendigerweise gut, es kommt darauf an, was sie bewirkt", erklärt Dreher weiter. Ob die Hilfe wirke, sei umstritten. Denn Gelder würden oftmals hin und her geschoben, sodass oft gar nicht klar sei, welches Projekt die Geber eigentlich finanzierten.

Auch hätten Hilfen keinen grossen Effekt auf das nationale Wirtschaftswachstum, schlimmstenfalls sogar gar keinen. "Aus meiner Sicht sollte Hilfe verstärkt über multinationale Organisationen vergeben werden und in Ländern mit demokratischen Rechten als Budgethilfe anstelle von Projekthilfe."

Über den Experten: Axel Dreher ist Professor für Internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Er forscht über politische Gründe, Hilfe zu vergeben, und an der Effektivitätsmessung der Hilfe.

Verwendete Quellen:

  • nzz.ch: "Wegen rekordhoher Asylkosten und der Ukraine-Hilfe: neuer Höchststand bei den Entwicklungshilfegeldern"
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