• Zwei Tage nach dem Autobombenanschlag auf die russische Aktivistin Darya Dugina ist unklar, ob das Attentat ihr galt oder ihrem Vater, dem Publizisten und angeblichen Putin-Vertrauten Alexander Dugin.
  • Wir haben mit Andreas Umland, Analyst beim Stockholm Centre for Eastern European Studies (SCEEUS), gesprochen.
  • Er erklärt, wofür Dugin steht und welches die möglichen Hintergründe des Angriffs sind.
Ein Interview

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Am Samstag wurde bei einem Anschlag nahe Moskau die Tochter des russischen Publizisten Alexander Dugin getötet. Wer ist Alexander Dugin?

Alexander Umland: Dugin verbreitet seit 30 Jahren als einer der führenden faschistischen Ideologen in Russland Schriften, in denen er sich entschieden gegen die liberale, individualistische und freiheitliche Ordnung wendet. Mit seinen radikalen Positionen ist er gerade in den letzten Jahren sehr aktiv im intellektuellen Diskurs gewesen. Wenn man ihn mit einem historischen Beispiel aus Deutschland vergleichen will, dann wäre Dugin am ehesten das Äquivalent zur konservativen Revolution in der Weimarer Republik…

…einer geistig-politischen Sammelbewegung jungkonservativer Kräfte im frühen 20. Jahrhundert, deren Ideologien entschieden antiliberale, antidemokratische und antiegalitäre Züge trugen.

Genau, denn Dugin ist kein aktiver Politiker, schon gar kein Parteipolitiker, sondern bewegt sich vor allem im metapolitischen Raum. Er will die Grundkonzepte ändern, in denen die russische Gesellschaft denkt, ohne direkten Einfluss auf Gesetze oder die Politik zu nehmen.

Im Westen wird Dugin oft als Vordenker, Rasputin oder Chefideologe von Wladimir Putin bezeichnet. Ist er das wirklich?

Nein, denn es gibt weder einen Beleg dafür, dass Dugin direkten Einfluss auf den Kreml hat, noch, dass er sich jemals persönlich mit Putin traf. Und ein Angestellter des Kremls ist Dugin auch nicht. Ende der 90er-Jahre war Dugin eine Zeit lang Berater von Gennadi Selesnjow, dem Sprecher der Staatsduma, aber das war bereits vor Putins Machtantritt. Seitdem wirkt er ausserhalb der staatlichen Strukturen und ist mit seinen Positionen im öffentlichen Raum und im intellektuellen Diskurs äusserst präsent.

Sind Dugins Schriften und Positionen denn an irgendeiner Stelle in Russland institutionell verankert?

Das ist schwer zu beantworten. Man weiss, dass Dugin eine Jugendbewegung namens eurasischer Jugendbund gegründet hat, die auch Zuwendungen der russischen Regierung erhalten soll. Darüber hinaus gibt es Gerüchte, dass Dugins Bücher in den Militär- und Sicherheitsakademien gelesen werden. Aber vor allem letzteres ist schwer zu belegen.

Getötet wurde bei dem Anschlag Dugins Tochter Darya. Was für eine Rolle spielte sie im russischen Diskurs?

Darya Dugina hatte eine wesentlich unbedeutendere Präsenz und war bei weitem nicht so einflussreich wie ihr Vater. Die meisten Experten sind deshalb der Meinung, dass der Anschlag eigentlich ihrem Vater galt. Andere, wie der in Amerika lebende russische Politologe Andrey Piontkovsky, sagen, der Anschlag zielte tatsächlich auf Darya Dugina und war als letzte Warnung an ihren Vater gedacht, weil dieser zunehmend zum rechten Kritiker des Kremls wurde. Aber all das sind Spekulationen. Ich persönlich glaube eher, dass dieser Anschlag fehlgeschlagen ist und Alexander Dugin das eigentliche Ziel war.

Wer hätte das grösste Interesse daran gehabt, Alexander Dugin zu töten?

In diesen 30 Jahren, in denen Dugin aktiv ist, hat er die SS gepriesen, zahlreiche Parteiprojekte initiiert und viel Geld gemacht – da ist es unausweichlich, sich Feinde zu machen, insbesondere wenn man sich im rechtsextremen Spektrum bewegt. In dieser Szene gehört es beinahe zum Standardumgang, dass man Konkurrenten brutal aus dem Weg räumt. So sind viele jener nationalistischen Aktivisten, die in den Donbass gegangen sind und dort irreguläre paramilitärische Einheiten angeführt haben, inzwischen tot oder verschollen. Und Dugin war mit seinem eurasischen Jugendbund dort 2014 auch aktiv. Auffällig finde ich, dass der Anschlag in grosser zeitlicher Nähe zum Tod von Vladimir Zhirinovsky passiert ist.

Zhirinovsky war bis zu seinem Tod im April dieses Jahres einer der rechtsextremsten Ideologen im russischen Parlament. Er starb offiziellen Berichten zufolge an einer Covid-Erkrankung.

Damit sind die beiden prominentesten rechtsextremen Ideologen der letzten 30 Jahre in Russland innerhalb von fünf Monaten entweder gestorben oder knapp einem Anschlag entgangen. Es kann gut sein, dass diese Ereignisse in keinem Zusammenhang miteinander stehen, und man landet auch schnell in einer Verschwörungstheorie. Aber so oder so steht fest, dass es zuletzt zwei ziemlich bedeutende Figuren aus dieser Szene traf.

Halten Sie vor diesem Hintergrund auch eine Beteiligung des ukrainischen Geheimdienstes an dem Anschlag auf Dugin für möglich?

Das würde ich nicht komplett ausschliessen. Aber wahrscheinlich hat man dort gerade andere Dinge zu tun als nichtstaatliche Ideologen auszuschalten.

Angenommen, Alexander Dugin hätte den Anschlag nicht überlebt: Wer würde das Vakuum füllen, das er hinterliesse?

Da gäbe es viele - und gleichzeitig niemanden. Viele, weil Russland jede Menge Sprecher im rechtsextremen Milieu hat, von denen einige auch sehr bekannt sind, wie zum Beispiel der Schriftsteller Aleksandr Prochanow, der Ökonom Sergei Glasjew oder der Publizist Maxim Kalaschnikow. Dazu kommt, dass Dugin meiner Meinung nach auch kein sonderlich begabter Theoretiker ist - die meisten seiner Schriften sind schlicht von westlichen antiliberalen Denkern abgekupfert.

Niemand, weil kein anderer russischer Rechtsextremer über so dichte Beziehungen zum internationalen Rechtsextremismus verfügt, insbesondere nach Westeuropa, wie er. Das liegt auch an seiner ausgeprägten Sprachbegabung. Dugin kann sich mühelos auf Englisch ausdrücken und hat bereits Vorträge in radebrechendem Deutsch gehalten.

Mittlerweile hat eine russische Gruppe namens "Nationale Republikanische Armee" den Anschlag für sich reklamiert – mit dem Ziel, das Putin-Regime zu stürzen. Kann dies auch der Beginn eines russischen Aufstands gegen den Krieg in der Ukraine und seine Hintermänner sein?

Um es ehrlich zu sagen: Ich habe bis heute noch nie von dieser Geheimorganisation gehört. Insofern ist es schwer, den Wahrheitsgehalt zu beurteilen. Es kann sich um Fake News handeln, genauso können es Trittbrettfahrer sein - aber es ist natürlich auch möglich, dass sich gegenwärtig ernstzunehmende radikale Strukturen bilden. Das wäre in der russischen Tradition mit Blick auf die Zarenzeit ja nichts Neues.

Vorgelesen wurde das Bekennerschreiben von Ilja Ponomarjow, einem inzwischen in die Ukraine geflüchteten Duma-Abgeordneten und Putin-Kritiker, der als einziges Mitglied im russischen Parlament gegen die Annexion der Krim stimmte. Das verleiht dem Schreiben zumindest Gewicht, oder?

Wenn Ponomarjow meint, dass das Schreiben authentisch und plausibel ist, hat das ohne Zweifel Bedeutung. Man muss auch bedenken, dass es jede Menge Menschen in Russland gibt, die Dugins Radikalismus nicht leiden können. Das war letztlich auch der Grund für seinen Rausschmiss 2014 als Professor der Moskauer staatlichen Universität. Er hatte ein Interview gegeben, in dem er dazu aufrief, Ukrainer zu töten, und unterstrich seine Forderung damit, er fordere das in seiner Rolle als Professor. Daraufhin gab es einen Protestbrief, und Dugin wurde entlassen. Insofern: Der Hass auf Dugin in bestimmten Teilen der russischen Bevölkerung ist gross.

Mit welcher Reaktion seitens Russlands ist nun zu rechnen?

Ich könnte mir vorstellen, dass das Attentat zum Anlass für grössere Härte im Krieg gegen die Ukraine genommen wird. Gleichzeitig frage ich mich, wie eine Eskalation konkret aussehen soll - es gibt ja beinahe jeden Tag Eskalationen. Und der Tod von Dugins Tochter ist gemessen an dem, was in diesem Krieg schon passiert ist, nun wirklich keine grosse Sache. Was im Grunde nur noch bleibt, sind Massenvernichtungswaffen oder die nukleare Eskalation im Atomkraftwerk in Saporischschja. In ukrainischen Medien wird gerade viel spekuliert, dass am ukrainischen Unabhängigkeitstag am kommenden Mittwoch etwas passieren soll. Das halte ich für denkbar.

Über den Experten:
Andreas Umland ist Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien des Schwedischen Instituts für Internationale Angelegenheiten. Er hat Russisch, Geschichte und Politikwissenschaft studiert und ist ein ausgewiesener Kenner Russlands und der Ukraine.
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