Statt selbst zu kommen, hat der russische Präsident weniger hochrangige Vertreter nach Istanbul entsendet. Geleitet wird die Delegation aber von einem alten Bekannten. Medinski war bereits 2022 an den Friedensgesprächen beteiligt.
Er verhandelt im Namen Russlands über Frieden – doch was Wladimir Medinski an den Verhandlungstisch bringt, sind weniger politische Argumente als eine klare weltanschauliche Position.
Der 54-jährige Ex-Kulturminister ist erneut Chefunterhändler der russischen Delegation bei den Friedensgesprächen mit der Ukraine in Istanbul, die am Freitagvormittag begonnen haben. Zuvor war bereits klar geworden, dass weder Donald Trump noch Wladimir Putin persönlich bei den Verhandlungen teilnehmen werden.
Dass stattdessen auf anderer Ebene verhandelt wird, ist nicht ungewöhnlich, auch nicht, dass es keine offiziellen Minister sind, die die Gespräche führen. Die Rolle Medinskis wirft dennoch Fragen auf: Ist er ein echter Diplomat oder nur ein weiterer Baustein im politischen Spiel des Kreml?
Selenskyj reagiert auf Ernennung
Schon 2022 leitete Medinski ähnliche Gespräche, ebenfalls in Istanbul, allerdings ohne Ergebnis. Damals wie heute sehen Beobachter seine Ernennung als Hinweis darauf, dass es dem Kreml weniger um echte Verhandlungen geht als um Symbolpolitik. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einer "Attrappe", von einer Delegation, die nicht auf Kompromisse, sondern auf Täuschung ausgelegt sei.
Statt persönlich mit der russischen Delegation zu verhandeln oder hochrangige Mitglieder des Kabinetts zu schicken, entsandte auch der ukrainische Präsident daher den ehemaligen IT-Unternehmer David Arachamija.
Er ist Fraktionschef von Selenskyjs Partei "Diener des Volkes" in der ukrainischen Rada. Die Kritik ist nachvollziehbar: Tatsächlich fehlt Medinski jegliche diplomatische Erfahrung. Er gehört weder zum militärischen noch zum aussenpolitischen Machtapparat Putins – und doch ist er bei sensiblen Gesprächen stets dabei. Warum?
Putins Propagandist
Wladimir Medinski ist mehr als nur ein ehemaliger Minister. Er ist Putins wichtigster Geschichts-Ideologe, ein Mann, der Narrative spinnt. Seit Jahren schreibt er Bücher, Aufsätze und, wie Kritiker sagen, Propagandatexte, die Russland in einem heroischen Licht zeigen.
Zuletzt war er federführend an einem neuen russischen Geschichtsbuch beteiligt, das seit 2023 an allen Schulen des Landes im Unterricht verwendet wird. Darin wird Stalin als starker Staatsmann gefeiert, die Verbrechen seiner Herrschaft relativiert. Der Krieg in der Ukraine wird als Stellvertreterkrieg des Westens dargestellt, die Ukraine als Mittel, um Russland zu zerstören.
Immer wieder soll Medinski auch historische Essays und Reden des russischen Präsidenten geschrieben haben. Der russische Journalist Michail Sygar geht in einem Artikel für die "New York Times" davon aus, dass Medinski nicht nur Sprachrohr, sondern Ghostwriter des Kremlchefs ist.
Vom Werbefachmann zum Ideologen
Geboren 1970 in der heutigen Ukraine, wuchs Medinski als Sohn eines Militärs und einer Lehrerin in verschiedenen sowjetischen Garnisonsstädten auf. Er gilt als Musterschüler, war Teil des Komsomol, der Nachwuchsorganisation der KP Russlands, und machte einen Abschluss in Journalismus am Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen in Moskau.
Nach dem Ende der Sowjetunion passte er sich den neuen Begebenheiten schnell an. In den 1990er-Jahren machte er Karriere in der Werbebranche, unter anderem als Lobbyist für Tabakkonzerne. Erst mit dem Aufstieg Putins wechselte er ins politische Lager und wurde 2004 Abgeordneter für die Kremlpartei "Einiges Russland".
Ab 2007 schrieb er Bücher über die russische Geschichte, die von russischen Historikern als PR-Geschichten bezeichnet werden, die wenig mit der Wahrheit zu tun haben. Darin verteidigte er unter anderem Ivan den Schrecklichen, beschuldige europäische Historiker, sich die Gräueltaten ausgedacht zu haben.
Aufstieg unter Putin
Einem gefielen die Arbeiten jedoch: dem russischen Präsidenten
Spätestens seitdem gilt Medinski als einer der einflussreichsten Meinungsmacher Russlands, auch aufgrund seiner Nähe zum Kreml. 2020 wurde Medinski dann zusammen mit den meisten anderen Ministern entlassen und wechselte stattdessen direkt in Putins Apparat als Assistenten des Präsidenten.
Auch wenn das zunächst einen Statusverlust bedeutete, hat sich der engagierte Selfmademan dort erneut hochgearbeitet. Er wurde, dem russischen Journalisten Sygar zufolge, zum Ghostwriter in Sachen historische Ideologie. So soll er verantwortlich sein für Putins Essay aus dem Jahre 2021, in dem dieser den Westen bezichtigt, die Ukraine in ein "Anti-Russland" verwandeln zu wollen.
Mehr Theater als Verhandlung
Dass Medinski erneut bei Gesprächen mit der Ukraine zum Einsatz kommt, hat wohl weniger mit diplomatischem Geschick zu tun als mit seiner ideologischen Treue. Während Selenskyj persönlich nach Ankara reiste, blieb Putin in Moskau und schickte stattdessen seinen langjährigen Geschichtenerzähler. Ob dieser nun ernsthafte Verhandlungen einleiten wird, bleibt zweifelhaft.
Kurz vor Kriegsbeginn in der Ukraine schrieb Medinski noch, "der zeitgenössische Staat, den wir gewöhnlich Ukraine nennen, ist ein historisches Phantom". Der liberale russische Politiker Leonid Gosman warf der russischen Regierung in der Deutschen Welle daher vor, Medinskis Ernennung sei eine "Verhöhnung der Ukrainer".
Ihm zufolge habe Putin von Anfang an kein Interesse an ernsthaften Verhandlungen gehabt. Die Verschiebung der Gespräche um einen Tag auf den Freitag scheinen zusätzlich ein schlechtes Omen für den Verlauf zu sein. Es bleibt zweifelhaft, ob es in Istanbul wirklich zu einem Durchbruch kommen kann.
Verwendete Quellen:
- Spiegel.de: Putins Prügelknabe
- Stern.de: Wer ist Wladimir Medinski – der Mann, der Putin in Istanbul vertritt?
- Nytimes.com: The Man Behind Putin’s Warped View of History
- Berliner-Zeitung.de: Ukraine-Gespräche ohne Putin und Selenskyj: Das mühsame Katz-und-Maus-Spiel von Istanbul