• Es fröstelt zwischen Washington und Peking: Ein möglicher Abstecher von US-Politikerin Nancy Pelosi in Taiwan hat Xi Jinping zu massiven Drohungen veranlasst.
  • Wird der Streit um die Insel der nächste Kriegsschauplatz?
  • Politikwissenschaftler Tobias Fella ordnet die Situation ein – und warnt vor einem Konflikt um die Vorherrschaft im 21. Jahrhundert.

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Ein möglicher Besuch in Taiwan von Nancy Pelosi sorgt für Spannungen zwischen Washington und Peking. Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses war am Freitag mit einer Kongressdelegation in Richtung Asien aufgebrochen, ohne offenzulegen, ob sie auch in Taipeh haltmachen wird.

Nach Bekanntwerden der Reisepläne von Pelosi hatte Xi Jinping scharf gewarnt: "Diejenigen, die mit dem Feuer spielen, werden daran zugrunde gehen." Aus Sicht des chinesischen Staatschefs ist Taiwan eine abtrünnige Inselrepublik. Xi sieht die Vereinigung mit Taiwan als "historische Mission und unerschütterliche Verpflichtung" der Kommunistischen Partei.

USA haben Verhältnis zu Taiwan vertieft

Die USA pflegen hingegen seit dem Sieg der Kommunisten im chinesischen Bürgerkrieg von 1949 enge Beziehungen zu Taiwan. Verflechtungen gibt es nicht nur im Technologiebereich, die USA sind auch ein beliebtes Ziel für taiwanesische Studierende.

"Die Biden-Regierung setzt auf eine Vertiefung des Verhältnisses zu Taipeh", sagt Politikwissenschaftler Tobias Fella. Das sei bereits von Donald Trump eingeleitet worden. "Unter Biden wurden Beschränkungen für Treffen zwischen amerikanischen und taiwanesischen Diplomaten reduziert, die nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Taiwan von 1979 gewirkt hatten", so der Experte.

Aus Sicht der USA wäre ein Wandel des Status von Taiwan abseits des friedlichen Wegs eine Bedrohung für den Frieden, die Sicherheit und die Stabilität im westlichen Pazifik. "Das ist keine Bündnisverpflichtung gegenüber Taiwan, stellt aber eine US-Reaktion für den Fall in Aussicht, dass Beijing die Entscheidung zu einer militärischen Annexion der Insel trifft", erklärt Fella.

Der Taiwan Relations Act aus dem Jahr 1979 lasse es allerdings offen, ob die USA dem demokratischen Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs militärisch beistehen würden. "Es gibt allerdings Medienberichte, wonach US-Militärausbilder in Taiwan tätig sind", sagt Fella. Ebenso habe Biden erstmals seit 1978 den Vertreter Taiwans in Washington zu seiner Amtseinführung eingeladen.

Keine Lösung ohne Gesichtsverlust

Als Biden bei einer Pressekonferenz in Tokio gefragt wurde, ob die USA Taiwan militärisch verteidigen würden, sagte er: "Ja, das ist das Versprechen, das wir gegeben haben". Das Weisse Haus relativierte die Aussage im Nachgang. "Diese Politik des geopolitischen Balanceakts ist umstritten", sagt Fella.

Er sieht ein grosses Problem in der aktuellen Situation: "Wir haben jetzt eine Situation, aus der alle Seiten nicht mehr ohne Gesichtsverlust gehen können", sagt Fella. Reise Pelosi, obwohl es Biden für keine gute Idee hält, beschädige sie den Präsidenten und riskiere eine Krisensituation.

Reise sie nicht nach Taiwan, beschädige sie sich selbst und mache die Demokratische Partei vor den Zwischenwahlen besonders angreifbar. Reise Pelosi und Xi reagiere nicht, macht er sich wiederum angreifbar. "Insofern befinden sich hier die Akteure in einer Art von Gefangenendilemma", sagt Fella.

Hinzu kommt, dass der Westen sein Handeln im Ukraine-Krieg immer wieder auch mit Blick auf China ausloten muss: Beobachter fürchten, China könne den Konflikt als eine Art "Blaupause" für seine Taiwan-Politik betrachten oder darauf hoffen, dass es im Schatten des internationalen Fokus Tatsachen schaffen kann.

Verhältnis zwischen USA und China am Tiefpunkt

"Der Westen hofft auch darauf, dass der zähe Kriegsverlauf, der ukrainische Widerstand und die westlichen Sanktionen, die chinesische Risikobereitschaft vermindert haben", sagt Fella. Es könne aber auch sein, dass der Krieg Peking dazu veranlasse, sich noch resilienter gegenüber und unabhängiger vom Westen zu machen. "Der Volksrepublik China könnten die Probleme Russlands und Reaktionen des Westens als Blaupause für eine effektivere Operation gegen Taiwan dienen", warnt der Experte.

Das Verhältnis zwischen den USA und China sieht Fella an einem Tiefpunkt angelangt. "Ganz grundsätzlich wappnen sich beide Seiten für einen systemischen Konflikt, um die Vorherrschaft im 21. Jahrhundert", sagt er. Die demokratischen Vereinigten Staaten wollten dabei ihren Status als führende ökonomische und militärische Weltmacht erhalten, das autokratische China hingegen ökonomische und militärische Weltmacht werden.

Eskalation denkbar

"Wenn man so will, handelt es sich bei beiden Mächten um zwei Imperien mit Einzigartigkeitsanspruch und daraus resultieren Eskalationsgefahren und Bedarfe nach Abstimmung", erklärt der. Die Sicherheitslage habe sich zuletzt durch mehrere Entwicklungen verschärft.

"China sieht sich auf der richtigen Seite der Geschichte. Insbesondere seit der Finanzkrise 2007 und 2008 sieht es die Vereinigten Staaten und den Westen insgesamt als im Niedergang begriffen", analysiert Fella. Peking selbst habe politisch, ökonomisch und militärisch stark an Macht gewonnen.

"So sehr, dass sich das militärische Gleichgewicht in Asien zu Ungunsten der USA insofern gewandelt hat, dass diese in der Region und der Strasse von Taiwan im Besonderen nicht mehr unbestritten militärisch überlegen sind", sagt der Experte.

Gleichzeitig ticke die Uhr für Peking, denn Festlandchina verliere zunehmend den "Identitätszugriff" auf Taiwan – die Bevölkerung definiere sich immer weniger als chinesisch. "Eine Konsequenz könnte darin liegen, dass China zur Meinung gelangt, dass es den militärischen Zugriff suchen muss, weil eine friedliche Vereinigung unwahrscheinlicher wird", so Fella.

Taiwan ist für beide Seiten von hohem Wert

Taiwan sei sowohl für Washington als auch für Peking von wesentlicher Bedeutung. "Seine Lage in der ersten Inselkette vor der Küste von Festlandchina ist strategisch bedeutsam. Zudem ist es global führend bei der Produktion von Halbleitern und Mikrochips, also im Technologiebereich von zentralem Wert", sagt der Experte.

Schliesslich stelle für Peking als gefestigte Demokratie, die ein alternatives politisches Modell zum Festland bietet, eine Bedrohung dar. "Es zeigt der chinesischen Bevölkerung, dass es verschiedene gesellschaftliche und politische Wege in die Zukunft gibt und die Macht der Kommunistischen Partei nicht grenzenlos ist", sagt Fella.

Angst in Taiwan wächst

Gegen eine baldige militärische Eskalation spreche aber, dass Xi ambitionierte innenpolitische Zielsetzungen verfolge. "Sanktionen gegen China bei einem Angriff würden diese aller Wahrscheinlichkeit nach unterminieren", ist er sich sicher. Möglich auch, dass sich die chinesische Führung vom Widerstandswillen in der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland beeindruckt zeige.

Es bleibe aber dabei: Ungewollte militärische Zwischenfälle und zusammenhängende Dynamiken könnten jederzeit Handlungsdruck entfalten und in einer Eskalation münden. "Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat die Ängste in Taiwan vor einem chinesischen Angriff verstärkt, der Bevölkerung gezeigt, dass Krieg als Mittel der Politik weiter eine reale Option ist, auch in einer globalisierten Welt gegenseitiger Abhängigkeiten", sagt der Politikwissenschaftler.

Vergleich zur Ukraine

Für Taiwan komme verschärfend hinzu, dass es im Gegensatz zur Ukraine kein Mitglied der Vereinten Nationen sei und kaum diplomatische Verbündete besitze. "Schliesslich gibt es Ähnlichkeiten, dass mit der Ukraine und Taiwan zwei mittelgrosse Demokratien zwei scheinbar übermächtigen Autokratien mit weit grösseren Machtmitteln gegenüberstehen", fasst er zusammen. Taiwan habe für die USA allerdings eine grössere Bedeutung als die Ukraine –geostrategisch, technologisch und als belagerte Demokratie in Asien.

"Seit dem Ukraine-Krieg unterstreichen die USA immer wieder, dass eine militärische Konfrontation mit China über Taiwan nicht ausgeschlossen ist", erinnert Fella. Peking lege aber kein aggressives Handeln in russischen Dimensionen an den Tag und gehe sorgsamer im Bewusstsein einer Macht im Aufstieg vor. "Es präferiert und verfügt über ein grösseres Machtpotenzial als Russland, und setzt daher darauf, Taiwan und seine Unterstützenden zu ermatten", schätzt er.

Über den Experten: Tobias Fella ist sicherheitspolitischer Referent des Hamburger Haus Rissen. Zuvor war er Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und der Stiftung Wissen und Politik (SWP). Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen russische Aussen- und Sicherheitspolitik, neue Militärtechnologien und der Formwandel des Krieges sowie soziale Medien und Desinformationskampagnen.
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