Der politische Kampf um die Macht im US-Kongress geht in eine neue Runde: Texas hat mit einer umstrittenen Neuordnung seiner Wahlkreise vorgelegt, Kalifornien reagiert mit einem radikalen Gegenmanöver. Gouverneur Gavin Newsom will per Volksabstimmung neue Wahlkreisgrenzen durchsetzen.

In den USA eskaliert ein politisches Ringen, das bislang meist im Schatten geführt wurde: Die Neuordnung von Wahlkreisen wird zur offenen Waffe im Kampf um die Macht im Kongress. Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom will mit einer eigenen Abstimmung im November direkt auf die republikanischen Pläne aus Texas reagieren – und damit den Grundstein für eine neue Eskalationsstufe im Prozess der Wahlkreisbildung legen.

Der Ton wird rauer in der amerikanischen Innenpolitik – und das nicht nur in den Wahlkampfreden. Seit Texas im Juli überraschend neue Wahlkreisgrenzen beschlossen hat, um bis zu fünf zusätzliche Sitze für die Republikaner im Repräsentantenhaus zu schaffen, schlägt Kalifornien zurück. Im November stimmen die Wählerinnen und Wähler des demokratisch dominierten Westküstenstaats über Proposition 50 ab – einen Plan, der ebenfalls fünf neue demokratisch geprägte Wahlkreise schaffen könnte. Ein juristisch und politisch fragwürdiges Vorgehen, sagen Kritiker. Eine notwendige Verteidigung der Demokratie, kontern dagegen Befürworter.

Wie funktioniert "Gerrymandering" – und was haben Texas und Kalifornien davon?

Neu ist "Gerrymandering", die gezielte Neuordnung von Wahlkreisen, um einer Partei Vorteile zu verschaffen, nicht. Politikwissenschaftlerin Emily Harper, die am "Center for American Democracy" in Berkeley forscht, erklärt dazu im Gespräch mit unserer Redaktion: "Der Wahlkreiszuschnitt ist in den USA ein hochwirksames politisches Werkzeug, das oft unterschätzt wird. Denn: Wer die Linien zieht, entscheidet über Repräsentation."

In Texas liegt diese Macht traditionell beim Parlament – dort dominieren die Republikaner. Die jüngste Neuzuordnung wurde in einem beschleunigten Gesetzgebungsverfahren durchgesetzt, nachdem Demokraten zwischenzeitlich sogar den Bundesstaat verlassen hatten, um den Prozess zu blockieren.

Kalifornien hingegen hatte 2008 eine unabhängige Bürgerkommission eingeführt, die politisch neutrale Wahlkreise garantieren sollte. Doch Gouverneur Gavin Newsom erklärte im Juli, dass es nun "eine existenzielle Bedrohung für die Demokratie" gebe – und kündigte laut der Website "Cal Matters" eine temporäre Aussetzung der Kommission an, um neue Wahlkreise zugunsten der Demokraten zu schaffen. Newsom begründete den Schritt offen als direkte Antwort auf Texas. "Wenn wir dem nichts entgegensetzen, wird es 2028 vielleicht keine freie Wahl mehr geben", sagte er laut "BBC" bei einem Pressetermin in Sacramento. Die Massnahme sorgt jedoch auch innerhalb der Demokratischen Partei für Unruhe.

Proposition 50 – Reaktion oder Provokation?

Die Organisation Common Cause California kritisierte den Schritt scharf als "gefährlichen Präzedenzfall". "Politico" berichtet zudem von parteiinternen Zweifeln, ob man das Vertrauen in demokratische Institutionen für einen kurzfristigen Vorteil aufs Spiel setzen dürfe.

Auch Politikwissenschaftlerin Harper warnt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Die Demokraten betreten mit diesem Vorhaben rechtliches Neuland. Wenn Kalifornien jetzt seine unabhängige Kommission aussetzt, nur um politisch zu kontern, wird das auch anderen Bundesstaaten als Rechtfertigung dienen. Das könnte das gesamte System dauerhaft destabilisieren."

Die kalifornischen Republikaner schlagen ebenfalls Alarm. Bei ihrem Parteitag in Garden Grove Anfang September wurde Proposition 50 zur "Überlebensfrage" erklärt. Steve Hilton, republikanischer Gouverneurskandidat und Trump-naher Kommentator, nannte die Massnahme laut der Website "LAist" derweil "offen verfassungswidrig" und reichte Klage ein, bislang ohne Erfolg vor dem kalifornischen Supreme Court. Hilton bezeichnete die Aktion der Demokraten als "schamloses Manöver" und warnte, dass das neue Kartenwerk "die politische Landschaft Kaliforniens dauerhaft verzerren" werde.

Ein offener Machtkampf mit ungewissem Ausgang

Bis zu 200 Millionen Dollar könnten laut Schätzungen beider Lager in die Kampagne um Proposition 50 fliessen – so viel wie bei einer US-Präsidentschaftsvorwahl. Für die Demokraten geht es darum, die fünf Sitze, die Texas gewinnen möchte, durch eigene Gewinne zu neutralisieren – und damit die Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus zu kippen.

Besonders betroffen wären die republikanisch geführten Wahlkreise in Riverside, Orange County und dem Central Valley, darunter die Sitze von David Valadao, Darrell Issa und Ken Calvert. "Beispielsweise würde der 41. Bezirk von Ken Calvert künftig stärker in Richtung Coachella Valley verlagert – einem traditionell demokratischen Gebiet. Auch Darrell Issas bisher solide republikanischer Bezirk in San Diego bekäme eine demokratische Mehrheit. Für die Republikaner wären das schwer verteidigbare Sitze", erläutert Harper.

Sie warnt gleichzeitig: "Wenn sich dieser Trend fortsetzt, erleben wir das Ende überparteilicher Wahlprozesse in den USA." Die aktuelle Entwicklung sei ein Beispiel für einen offenen Machtkampf, der bislang im Stillen geführt wurde, nun jedoch im grellen Licht der Öffentlichkeit stattfindet. Auch andere Bundesstaaten wie Missouri, Indiana oder Florida haben bereits angekündigt, eigene Wahlkreisreformen auf den Weg zu bringen – jeweils mit klarer parteipolitischer Zielrichtung.

Der Wahlkreis als neue politische Waffe

Noch nie zuvor haben zwei Bundesstaaten derart offen und öffentlich mit Wahlkreisgrenzen um politische Macht gerungen. Was einst als technischer Verwaltungsakt galt, wird zur strategischen Waffe. Zwar gibt es das bewusste Verändern von Wahlkreisgrenzen, um sich einen Vorteil bei Wahlen zu verschaffen, schon seit vielen, vielen Jahren. Was aber derzeit in den USA geschieht, könnte das politische Kräfteverhältnis auf Jahre hinaus beeinflussen.

Die Abstimmung über Proposition 50 ist dabei mehr als nur ein kalifornisches Thema – sie ist ein Spiegelbild der zunehmenden Politisierung demokratischer Prozesse in den Vereinigten Staaten.

Empfehlungen der Redaktion

Ob Kalifornien damit ein Zeichen für "demokratische Gegenwehr" oder für "politische Doppelmoral" setzt, wird sich am 4. November zeigen wenn die Wahlberechtigten entscheiden, ob sie den Kurs von Newsom mittragen.

Über die Gesprächspartnerin

  • Dr. Emily Harper ist Professorin für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt auf Demokratieforschung am Center for American Democracy der University of California, Berkeley. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem mit Wahlrecht und politischer Repräsentation.

Verwendete Quellen