Mit 18 ist man in Deutschland zwar auf dem Blatt Papier offiziell "erwachsen", doch fühlt man sich automatisch auch so? Oft lautet die Antwort: nein. Welche Momente es einem aber so richtig bewusst machen können.
Wählen, Geschäfte abschliessen, alleine Autofahren: Ab 18 Jahren gilt man in Deutschland rechtlich als "erwachsen". Bis zum Ende des 20. Lebensjahres fällt man jedoch noch in die Kategorie "heranwachsend" – und das ist laut Forschung gar nicht so verkehrt. Denn kognitive Prozesse, die das Verhalten im Erwachsenenalter beeinflussen, sind Studien zufolge erst um das 20. Lebensjahr auf Erwachsenenniveau stabilisiert.
In welchem Moment wurde Ihnen bewusst: Jetzt bin ich wirklich erwachsen? Teilen Sie Ihre Erlebnisse mit uns!
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Doch wer fühlt sich mit 18 oder 20 Jahren schon erwachsen? Manche werden es schneller, andere bleiben für immer jugendlich im Kopf. Wir haben in der Redaktion herumgefragt – und diese Geschichten sind dabei herausgekommen.
36 Jahre alt – und am liebsten immer Kind
Um mich erwachsen zu fühlen, fühle ich mich noch nicht erwachsen genug! Ich bin auf dem Papier 36 Jahre alt, letzte Woche habe ich mit Freunden eine eigene "Badminton-WM" veranstaltet. Zwölf Erwachsene, keine Kinder. Ich habe das Spass-Turnier für die stolze Nation Schweden gewonnen und bin anschliessend vor lauter Freude mit Klamotten in einen Aufstell-Pool gesprungen. Wichtig ist es, in den richtigen Situationen erwachsen handeln zu können. Aber in allen anderen Situationen möchte ich das Kind in mir am liebsten für immer behalten.
Philipp Scheiner
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Ein Bein fest im Leben, das andere auf dem weissen Teil des Zebrastreifens
Es passierte an einem Mittwoch. Es war kein besonderer Tag, kein Geburtstag, keine lebensverändernde Entscheidung. Nein, ich stand einfach nur in der vollen Bahn. Und dann hat mich zum allerersten Mal ein kleines Kind gesiezt. GESIEZT! Ich sah mich um. Vielleicht meinte es einen grauhaarigen Herrn mit Aktentasche? Aber nein. Es meinte mich.
Das war er, der Moment, in dem ich dachte: Jetzt bin ich wohl erwachsen. Mit 15.
Es blieb aber nicht bei diesem einen Moment, es folgten noch viele weitere, kleine und grosse: Mein Name auf einem eigenen Klingelschild. Die erste Steuererklärung. Studienbeginn. Studienende. Der Kauf eines neuen Küchengeräts – und die erschreckend grosse Freude darüber. All das fühlte sich erwachsen an. Verantwortlich. Durchdacht. Solide, irgendwie.
Aber dann ... Dann gibt es die anderen Momente. Die, in denen ich auf dem Gehweg absichtlich grosse Schritte mache, um die weissen Parts der Zebrastreifen zu erreichen, als wäre der Boden dazwischen Lava. Und plötzlich ist das mit dem "Erwachsensein" gar nicht mehr so klar.
Erwachsenwerden scheint eines dieser ungreifbaren Ziele zu sein, die immer ein bisschen weiter entfernt sind, je näher man ihnen kommt. Aber wenn ich ehrlich bin: Ich möchte dort gar nicht ankommen. Möchte mich nicht von den "Erwachsenen-Momenten" blenden lassen, sondern im Herzen immer auch ein bisschen Kind bleiben. Denn nur dann können wir mit einem Bein fest im Leben stehen – und mit dem anderen auf dem weissen Teil des Zebrastreifens.
Alina Lingg
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Beim Mietvertrag erwachsen, beim Lampenmontieren wieder Kind
Gab es einen Moment in meinem Leben, in dem ich plötzlich gedacht habe: Jetzt bin ich wirklich erwachsen? Die kurze Antwort darauf lautet: nein. Denn es gab nicht den einen Moment, es gab viele kleine – und manchmal musste ich im Nachhinein auch feststellen, dass ich doch nicht so erwachsen bin, wie ich dachte.
Erwachsen gefühlt habe ich mich, als ich mit 19 Jahren meinen ersten Mietvertrag unterschrieben habe. Weniger erwachsen gefühlt habe ich mich, als ich kurz darauf meinen Papa angerufen habe, weil ich es nicht hinbekommen habe, meine Lampen selbstständig zu montieren. Erwachsen gefühlt habe ich mich auch, als ich meine erste Steuerklärung abgegeben habe. Dass ich kurz zuvor vor lauter Verzweiflung in Tränen ausgebrochen bin, hat das Gefühl jedoch etwas gedämpft.
Ich fühle mich erwachsen, wenn ich auf Hochzeiten von engen Freunden bin, wenn ich etwas Aufwendiges koche (und es dann sogar schmeckt), wenn ich mich auf einen Feierabend-Wein mit einer guten Freundin treffe oder wenn sich in meinem Einkaufswagen im Supermarkt ausschliesslich gesunde Lebensmittel befinden. Weniger erwachsen fühle ich mich allerdings, wenn mir mein Vater mein Dirndl umnäht, weil ich zuvor kläglich gescheitert bin, oder wenn ich sehe, dass mein neues Regal seit vier Monaten auf dem Boden herumliegt, weil ich es mir selbst nicht zutraue, es an die Wand zu schrauben.
Ich vermute, dass ich einfach das Glück habe, noch nicht in allen Bereichen meines Lebens erwachsen sein zu müssen. In manchen Momenten darf ich es mir rausnehmen, das Kind meiner Eltern, die kleine Schwester oder die jüngere Kollegin zu sein. Und solange das noch in Ordnung ist, werde ich einfach Stück für Stück, von Tag zu Tag und von Jahr zu Jahr erwachsener. Ich bin gespannt, ob es in diesem Punkt überhaupt ein wirkliches Ende gibt.
Malina Köhn
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Wenn's letztlich doch ausartet: Erwachsensein ist ein bisschen wie Trash-TV
Jemand, der sich damit auskennen muss, hat mir mal gesagt, dass man dann erwachsen ist, wenn man Erwachsenenrollen einnimmt und Erwachsenendinge tut. Natürlich gab es Rollen und Situationen, die mir mal mehr oder weniger viel über das Leben beigebracht haben. Mit den drei grossen H's des Lebens – Hochzeit, Haus, Hämorrhoidensalbe – hatten sie nichts zu tun. Aber hey, sag niemals nie.
Es waren eher das Harte, Unvorhergesehene, das sich erst aus der Retrospektive wie ein Meilenstein anfühlt: Der Weg zurück aus der Sackgasse im heiss geliebten und innig gehassten Kiez. Ein abgedunkeltes Schlafzimmer, das plötzlich der Lebensmittelpunkt ist. Eine Umarmung in Stille, weil Worte an bestimmten Punkten nichts mehr bringen.
Es ist eine poetische Grundhaltung "Was zum F. passiert da gerade?" und "Wird schon wieder". Vielleicht ist Erwachsenwerden auch ein bisschen wie die Teilnahme an einem Trash-TV-Format: Eigentlich war die Rolle, die man einnehmen sollte, gescripted. Dann artet das Ganze doch aus. Und hinterher ist man im besten Fall zumindest ein bisschen schlauer. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich Trash-TV nicht mag.
Tanja Ransom
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Ein Kostüm, das mir nicht wirklich passt
Ich zucke jedes Mal zusammen, wenn mich jemand mit "Sie" anspricht – an der Supermarktkasse, in der Bar, überall dort, wo ich bis vor ein paar Jahren noch geduzt wurde. Es fühlt sich an wie ein Kostüm, das mir nicht wirklich passt. Und dann gibt's da diese Momente: Steuererklärung machen, Versicherungen vergleichen, Mietverträge lesen. Alles Dinge, bei denen ich das Gefühl habe: Bin ich jetzt also wirklich einer von denen? Einer von diesen Erwachsenen?
Ich fühle mich meistens jünger, als ich bin. Ich denke, das ist auch okay so. Erwachsensein ist für die wenigsten ein fester Zustand, sondern eher ein vermutlich ewig andauernder Prozess. Als Kind schaut man zu den Erwachsenen auf und denkt sich: Wahnsinn, was die alles können und verrückt, dass die dabei auch noch den vollen Durchblick haben. Bis man selbst Verantwortung übernimmt und sich insgeheim denkt: Ich bin gerade nicht annähernd so souverän, wie das auf Aussenstehende wirkt, aber Let's give it a try!
Amadeus Banerjee
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Erwachsen sein und trotzdem Hilfe annehmen dürfen
Ich habe schon verdammt viel alleine geschafft. Grosses: Mit gerade einmal 19 für mein Studium ans andere Ende von Deutschland gezogen, den Umzug selbst finanziert, fortan siebenmal umgezogen (wenn man das Auslandssemester mit eingerechnet) – das erste Mal einen Vollzeitjob gekündigt und einen neuen angefangen, mehrmals neue Freundeskreise aufgebaut, zweimal die Stadt gewechselt, eine Küche gekauft.
Aber auch Kleines: Gardinen umgenäht, Socken gestopft, einen Schreibtisch selbstgebaut, die Steuererklärung alleine ausgefüllt, Pflanzen umgetopft und vieles mehr.
Empfehlungen der Redaktion
Ob ich alles anfangs zum ersten Mal gemacht habe? Ja. Ob ich dabei manchmal mehrmals die Woche meine Eltern oder Grosseltern angerufen und um Rat gefragt habe? Klar. Ob mich das weniger erwachsen macht? Auf keinen Fall. Jeder macht Dinge irgendwann zum ersten Mal im Leben. Es geht doch immer nur darum, wie man sich zu helfen weiss. Umso schöner, wenn man sich ein Umfeld aufbauen konnte, in dem man sich jederzeit unterstützt.
Laura Czypull
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