Berlin - Bricht die neue Koalition ein zentrales Versprechen? Die Absage einer schnellen Stromsteuersenkung für alle bringt das schwarz-rote Regierungsbündnis unter Druck. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), die Senkung der Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmass sei im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD eindeutig beschlossen. Er könne Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) nur davor warnen, an dieser entscheidenden Stelle einen Bruch des Koalitionsvertrags zu verursachen.
Breite Kritik
Ähnlich äusserten sich der Handelsverband Deutschland und der Verbraucherzentrale Bundesverband. In einem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Schreiben an Bundeskanzler
Die Chefin des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier, nannte die Entscheidung, Energie nur für Unternehmen billiger zu machen und nicht für die Verbraucher, ein absolut falsches Zeichen. Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, sprach in der "Bild"-Zeitung von einem "Wortbruch".
Ankündigung im Koalitionsvertrag
CDU, CSU und SPD haben im Koalitionsvertrag angekündigt, die Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmass zu senken - und damit auch private Haushalte zu entlasten. Allerdings nennt Schwarz-Rot dafür keine Jahreszahl, sondern spricht von einer "Sofortmassnahme": "Dafür werden wir als Sofortmassnahme die Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmass senken und Umlagen und Netzentgelte reduzieren", heisst es wörtlich.
Die Stromsteuer für private Verbraucher liegt derzeit bei 2,05 Cent je Kilowattstunde (kWh). Das europäische Mindestmass beträgt 0,1 Cent je kWh. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft würde eine vierköpfige Familie mit einem typischen Jahresverbrauch von 4.000 Kilowattstunden dadurch 93 Euro im Jahr weniger zahlen. Die Senkung der Stromsteuer habe private Haushalte auch bei der steigenden CO2-Bepreisung entlasten sollen.
Eine Senkung würde zudem private Verbraucher nicht nur bei den Stromkosten entlasten, auch Wärmepumpen oder E-Autos könnten attraktiver werden.
Klingbeil verteidigt Entscheidung
Finanzminister
Der SPD-Chef verwies auf die geplante Senkung der Netzentgelte als Bestandteil des Strompreises. Zudem sollen Gaskunden künftig nicht mehr die Gasspeicherumlage zahlen müssen, und die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe werde gesenkt. Schon das kostet einige Milliarden. Klingbeil sieht den Bundeshaushalt unter Konsolidierungsdruck.
Streit in Koalition bahnt sich an
Vor allem Unionspolitiker fordern aber, dass die Regierung die Stromsteuer dennoch für alle senkt.
Der Chef des Bundeskanzleramts, Thorsten Frei (CDU), verteidigte den Schritt hingegen: "Tatsächlich ist es so, dass man nicht alles, was man gerne machen würde, auch tatsächlich realisieren kann", sagte er im Nachrichtensender Welt TV. "Und wir haben eben die Situation, dass wir eine angespannte Haushaltslage haben und deswegen schauen müssen, wie wir damit umgehen."
Die SPD kontert denn auch die Kritik von mehreren Unions-Politikern. Der Beschluss zur Stromsteuer sei "selbstverständlich eng in der Koalition abgestimmt", sagte Generalsekretär Tim Klüssendorf der "Bild"-Zeitung.
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Wiebke Esdar sagte der dpa, es liege derzeit ein gemeinsamer Vorschlag der Regierung Merz vor, über den demnächst die Fraktionen beraten würden. Mit Blick auf geplante Entlastungen etwa bei den Netzentgelten sagte sie: "Ob darüber hinaus weitere Schritte möglich sind, etwa eine weitergehende Stromsteuersenkung, wird nun im Bundestag beraten. Jede zusätzliche Entlastung muss solide gegenfinanziert sein." Eine Steuersenkung könne nicht über das Sondervermögen finanziert werden.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke rief die Bundesregierung zu einer Senkung der Strompreise für die gesamte Wirtschaft auf. "Wir brauchen Fairness - und das heisst alle Wirtschaftsbereiche. Und ich hoffe, dass die Bundesregierung über diese Fragen noch nachdenkt", sagte der SPD-Politiker beim Sommerfest der Landesregierung.
Wie es weitergeht
Der Streit um die Stromsteuer dürfte sich fortsetzen. Auch viele Verbände aus dem Mittelstand kritisieren die Regierung. Nach einer langen wirtschaftlichen Stagnation hatte sich zuletzt die Stimmung verbessert, Institute erhöhten ihre Konjunkturprognosen. Die Regierung plant milliardenschwere Entlastungen über steuerliche Abschreibungsregeln. Die Stromsteuer könnte nun aber zu einem echten Problem der Regierung vor allem beim Mittelstand werden.
Der Haushalt ist allerdings noch längst nicht in trockenen Tüchern, am Zug ist jetzt der Bundestag. Im parlamentarischen Verfahren könnte die Stromsteuersenkung für alle doch noch beschlossen werden. Dafür müsste an anderer Stelle Geld freigeschaufelt werden - es geht um zig Milliarden Euro. © Deutsche Presse-Agentur