Der Fall zählt zu den bekanntesten Kriminalfällen Deutschlands: Die damals neun Jahre alte Peggy verschwindet im Mai 2001 auf dem Heimweg nach der Schule im oberfränkischen Lichtenberg spurlos. Erst 2016 wird ihre Leiche in einem Waldstück in Thüringen an der Grenze zu Bayern entdeckt. Ein Täter ist bis heute nicht überführt. Nun steht ein weiteres Urteil an.

Zwar wurden die Ermittlungen zum Fall Peggy 2020 eingestellt, doch am 14. August steht das Urteil in einem Zivilverfahren an: Peggys Mutter Susanne K. fordert von einem ehemaligen Verdächtigen Schmerzensgeld, da sie – so der Vorwurf – aufgrund seiner Aussagen über 15 Jahre im Unklaren über den Verbleib ihres Kindes gewesen sei und dadurch psychische Beeinträchtigungen erlitten habe.
Doch worum geht es eigentlich in dem Fall? Welche Rolle spielen zurückgezogene Geständnisse, vermeintliche Verbindungen zum NSU und warum lief so viel schief bei der Aufklärung?
Justizirrtum im Fall Peggy
Am 7. Mai verschwindet die neunjährige Peggy K. aus Lichtenberg (Landkreis Hof), sie kommt von der Schule nicht mehr nach Hause. Die Suche nach ihr verläuft in den Monaten nach ihrem Verschwinden ohne Erfolg. Die Ermittler gehen Tausenden Spuren nach, doch Peggy wird nicht gefunden.

Ins Visier der Polizei gerät Ulvi K.: Der Mann lebt mit einer geistigen Behinderung und war schon zuvor als Exhibitionist und durch mutmasslichen sexuellen Missbrauch von Kindern aufgefallen und daher in Verdacht geraten. 2002 wird K. festgenommen und verhört. Dabei gesteht er, die Neunjährige am 3. Mai missbraucht und am 7. Mai 2001 getötet zu haben. Später widerruft K. jedoch das Mordgeständnis. Der Anwalt und die Eltern des Mannes werfen der Polizei vor, dass das Geständnis durch Suggestivfragen und falsche Versprechungen zustande kam. Demnach wurde die sogenannte Reid-Methode angewandt, eine umstrittene Vernehmungstaktik aus den USA.
Ulvi K. wird dennoch im April 2004 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt – basierend auf seinem Geständnis. Der Bundesgerichtshof bestätigt das Urteil im Jahr darauf.

Viele Menschen zweifeln jedoch an seiner Schuld – es wird eine Bürgerinitiative gegründet und eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. 2012 widerruft ein Hauptbelastungszeuge zudem seine Aussage gegen K. Im Dezember 2013 kommt es zur Wiederaufnahme des Verfahrens – ein sehr seltener Vorgang in Deutschland. Am 14. Mai 2014 hebt das Landgericht Bayreuth die Verurteilung Ulvi K.s auf. "Er ist aus tatsächlichen Gründen freizusprechen; ein Tatnachweis ist nicht möglich", sagt der Vorsitzende Richter laut "Spiegel Online".
Die Polizei geht nach der Aufhebung des Mordurteils weiteren Spuren nach, die jedoch zu nichts führen. Unter anderem wird gegen zwei vorbestrafte Sexualstraftäter ermittelt, ein Grab geöffnet, in einem Stausee nach Peggys Schulranzen gesucht und der Fall in der TV-Sendung "Aktenzeichen XY … ungelöst" vorgestellt.
Vielversprechender Fund – doch Ermittlungen laufen erneut ins Leere
Erst im Juli 2016 gibt es einen vielversprechenden Fund: Ein Pilzsammler entdeckt in einem Wald bei Rodacherbrunn in Thüringen Skelettteile von Peggy. Der Fundort ist mehrere Kilometer von ihrem Wohnort in Franken entfernt. DNA-Spuren vom Fundort stammen von dem Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, der zum Kern der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gehörte. Später stellt sich jedoch heraus, dass die DNA offenbar während der Spurensicherung an den Leichenfundort gelangt ist – wie, ist unklar.
Ende 2018 gibt es Ermittlungen gegen einen weiteren Tatverdächtigen: Von Manuel S., einem Freund von Ulvi K., werden Mikropartikel auf den sterblichen Überresten von Peggy gefunden. Gegenüber der Polizei sagt er aus, dass er den leblosen Körper des Mädchens von einem anderen Mann an einer Bushaltestelle in Lichtenberg entgegengenommen habe. Manuel S. soll nach eigenen Angaben versucht haben, die Neunjährige wiederzubeleben, bevor er sie in das Waldstück brachte. Er kommt in Untersuchungshaft, doch nur einige Tage später ist er wieder ein freier Mann. Bei seiner Vernehmung soll der Mann unter Druck gesetzt worden sein. Die Polizei bestreitet dies zwar, doch der Mann widerruft sein Geständnis und kommt auf freien Fuss.
Im Oktober 2020 werden die Ermittlungen eingestellt – nach Tausenden Spuren und Vernehmungen sowie mehr als 200 Gutachten. Peggy K. wird am 6. April 2022 beigesetzt – es wäre ihr 30. Geburtstag gewesen.
Und jetzt: ein Zivilverfahren
Peggys Mutter Susanne K. gibt jedoch auch nach Einstellung der Ermittlungen nicht auf. Im April 2024 beginnt ein Zivilverfahren gegen Manuel S. Susanne K. fordert von ihm Schmerzensgeld in Höhe von 75.000 Euro. Sie führt in ihrer Klage an, dass sie aufgrund von Aussagen des ehemaligen Verdächtigen während einer Vernehmung über 15 Jahre im Unklaren über den Verbleib ihres Kindes gewesen sei. Dadurch habe sie psychische Beeinträchtigungen erlitten – für jedes Jahr der Ungewissheit fordert sie 5.000 Euro.
Eine Zivilkammer des Landgerichts Hof hat die Klage der Mutter vor einem Jahr als unbegründet abgewiesen. Da die Frau Berufung einlegte, muss sich nun das Oberlandesgericht (OLG) in Bamberg damit beschäftigen.
Zur Verhandlung vor dem OLG ordnet der Zivilsenat an, dass beide Parteien persönlich erscheinen. Zunächst gibt die Vorsitzende Richterin in einer vorläufigen Bewertung jedoch zu erkennen, dass sie die Klage der Mutter von Peggy ebenfalls für unbegründet hält. Es gebe keine Indizien, die eindeutig auf den Beklagten hinwiesen, sagt die Richterin. Seine damaligen Aussagen seien in mehreren Punkten widersprüchlich und durch Ermittlungen zum Teil klar widerlegt. Das Oberlandesgericht geht davon aus, dass der ehemalige Verdächtige seine Aussage glaubhaft zurückgezogen hat.
Es sei durchaus nachvollziehbar, dass der Mann bei der damals mehr als zehn Stunden dauernden Vernehmung zunächst falsche Angaben gemacht habe, um sich der für ihn unangenehmen Situation zu entziehen, sagt die Vorsitzende Richterin.
Die Mutter von Peggy wendet ein, dass auch sie wiederholt über Stunden zum Verschwinden ihrer Tochter befragt worden sei. Nie wäre sie jedoch auf die Idee gekommen, falsche Angaben zu machen. Sie habe wegen des Beklagten über Jahre nicht mit der Trauer über den Tod ihrer Tochter abschliessen können. Anders als in einem Strafverfahren muss die Klägerin in dem Zivilprozess selbst Beweise für ihre Forderungen vorlegen.
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Der Anwalt des Mannes spricht dagegen von "einem klassischen Fall eines falschen Geständnisses". Der Beklagte selbst sagt: "Ich hab' einfach nichts verbrochen." Er könne nur sagen, dass er damit nichts zu tun habe. Er habe sich über Jahre mit Anfeindungen und falschen Verdächtigungen auseinandersetzen müssen und wolle damit endlich abschliessen. Ein Urteil soll am 14. August verkündet werden. Wer für den Tod des Mädchens in dem sogenannten Cold Case verantwortlich ist, wird auch in diesem Verfahren wohl nicht abschliessend geklärt werden.
Verwendete Quellen
- dpa
- spiegel.de: Freispruch für Ulvi K. im Mordfall Peggy
- heise.de: Der Fall Peggy
- sueddeutsche.de: Ein totes Mädchen, die DNA-Spur eines Terroristen - und viele Fragen
- spiegel.de: Spuren des Todes