Bei diesem Song kann ein falscher Ton den Tod bedeuten: Auf den Philippinen kommt es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Gewaltdelikten, wenn Menschen den Frank-Sinatra-Klassiker "My Way" beim Karaoke singen – einige Streitigkeiten enden sogar tödlich. Was steckt hinter dem düsteren Phänomen der "My Way Killings"?
Im Juni 2018 fordert der "My Way"-Fluch ein weiteres Opfer. In der philippinischen Stadt Dipolog City stirbt laut dem Medienportal "GMA Network" ein 61-jähriger Mann im Zusammenhang mit dem legendären Hit des US-amerikanischen Sängers und Entertainers
Ein tragischer Vorfall mit tödlichem Ausgang – und nicht der erste seiner Art. In den Jahren zuvor kommt es im südostasiatischen Inselstaat bereits mehrfach zu ähnlichen Gewalttaten, bei denen der Song "My Way" immer wieder eine zentrale Rolle spielt.
"New York Times" berichtet über die "My Way Killings"
Im Februar 2010, mehr als acht Jahre vor dem tödlichen Streit in Dipolog City, veröffentlicht der japanisch-kanadische Journalist Norimitsu Onishi in der "New York Times" einen Artikel über die sogenannten "My Way Killings". Darin berichtet er, dass es im zurückliegenden Jahrzehnt "mindestens ein halbes Dutzend Opfer" und zahlreiche Verletzte in Karaoke-Bars im Zusammenhang mit dem 1969 veröffentlichten Sinatra-Hit gegeben habe.
In seinem Artikel begleitet Onishi einen philippinischen Mann namens Rodolfo Gregorio, der in seiner Heimatstadt General Santos eine Karaoke-Bar besucht. Dort singt Gregorio mehrere Lieder, doch einen bestimmten Song lässt er aus gutem Grund aus. "Ich mochte es, 'My Way' zu singen, aber nach all den Problemen habe ich damit aufgehört. Man kann getötet werden", sagt er.
Das Schlimme daran ist, dass er Recht hat. Nur zwei Beispiele: Im Jahr 2007, so berichtet unter anderem die philippinische "Esquire"-Ausgabe, erschiesst ein Türsteher einen Karaoke-Sänger, weil dieser bei "My Way" den Ton verfehlt und trotz Beschwerden nicht aufhört zu singen. 2014 eskaliert laut "GMA Network" in Legazpi City ein Streit unter Trinkfreunden darüber, wer den Song singen darf. Einer von ihnen fordert das Lied an, doch ein anderer besteht darauf, selbst aufzutreten. Anschliessend rammt ihm der Zurückgewiesene ein Messer in den Rücken, das Opfer erliegt seinen Verletzungen. Es gibt mehrere ähnliche Vorfälle dieser Art.
Karaoke als philippinisches Kulturgut
Doch warum geschehen diese immer wieder auf den Philippinen? Um dieser Frage nachzugehen, ist ein Blick in die Kultur des Landes vonnöten. Karaoke gehört dort zum Alltag – es ist nicht bloss Unterhaltung, sondern ein wichtiger Teil des sozialen Lebens. Allerdings nennen die Filipinos es nicht Karaoke, sondern Videoke. Diese populäre Variante zeigt nicht nur Liedtexte mit Hintergrundvideos, sondern es werden oft auch Punktzahlen für die Gesangsleistung vergeben.
Insbesondere in den Armenvierteln bietet dieses preisgünstige Hobby eine Möglichkeit, dem Alltag zu entfliehen. "Hier in den Slums, wenn die Leute Probleme haben, trinken sie ein wenig und singen Videoke. Für einen Moment vergessen sie ihre Sorgen", sagt die Strassenverkäuferin Erlu Barcarcel im Jahr 2007 gegenüber Reuters Television.
Auch Vern dela Pena, ein Musikwissenschaftler, erklärt damals bei Reuters Television, dass das Singen den Armen ermögliche, sich in eine andere Welt zu versetzen: "Es ist wie eine andere Zeitzone. Du bist plötzlich Frank Sinatra oder wer auch immer. Du bist ganz in dem Lied drin. Es ist ein magischer Moment, der vom Alltag abgetrennt ist."
Das bedeutet aber auch: Karaoke ist für manche mehr als nur Spass – es ist eine Leidenschaft, die der eine oder andere womöglich zu ernst nimmt.
Viele Theorien zu den "My Way Killings"
Auch wenn es keine empirischen Belege gibt, existieren verschiedene Erklärungsansätze für das düstere "My Way Killings"-Phänomen. Zum einen spielt dabei der Inhalt des Songs eine Rolle: Der Text betont Stolz, Selbstbestimmung und Unbeugsamkeit – in Macho-geprägten Kulturen wie auf den Philippinen kann das als konfrontativ oder provozierend wahrgenommen werden.
"'I did it my way' – das ist so arrogant", sagt Butch Albarracin, Inhaber des "Centre for Pop", einer Gesangsschule in Manila, im Artikel der "New York Times". "Der Liedtext weckt im Sänger Gefühle von Stolz und Überheblichkeit, als wäre man jemand Besonderes, obwohl man in Wirklichkeit niemand ist. Er überdeckt das eigene Scheitern. Deshalb führt er zu Streit." Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Alkohol: Die meisten Auseinandersetzungen geschehen in Bars unter Alkoholeinfluss, durch welchen Konflikte entsprechend schneller eskalieren.
Hinzu kommt die emotionale Wirkung des Songs. Viele Sänger legen beim Vortrag viel Pathos und Selbstinszenierung an den Tag, was Zuhörer als arrogant empfinden können. Und da Karaoke auf den Philippinen extrem beliebt ist, herrschen hohe soziale Erwartungen an eine gute Darbietung.
Gewalt ist seit langer Zeit ein Problem auf den Philippinen
"Die Philippinen sind eine sehr gewaltbereite Gesellschaft, deshalb löst Karaoke nur das aus, was hier ohnehin schon vorhanden ist, wenn bestimmte soziale Regeln verletzt werden", sagt Roland B. Tolentino, Popkultur-Experte an der Universität der Philippinen, im "New York Times"-Artikel. Der triumphale Ton des Liedes könne möglicherweise zur Gewalt beitragen.
Auf den Philippinen kommt schwere Gewaltkriminalität mit tödlichem Ausgang häufiger vor als in Europa. 1990 liegt die Mordrate dort laut "IndexMundi" bei 14,99 pro 100.000 Einwohner, sinkt bis 2018 auf 6,46, bleibt aber relativ hoch. In Europa fällt sie laut einer UN-Studie von 8,8 (1994) auf unter 3 (2017). Ursachen für die höhere Rate auf den Philippinen sind beispielsweise Armut, Waffenverfügbarkeit und politische Spannungen.
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Gibt es eine einfache logische Erklärung?
Für das "My Way Killings"-Phänomen gibt es derweil noch einen weiteren Erklärungsansatz: Der Song könnte demnach ein Opfer seiner grossen Beliebtheit sein. Da er lange Zeit häufiger als die meisten anderen Lieder gesungen wurde, ist die Wahrscheinlichkeit schlichtweg höher gewesen, dass Karaoke-bezogene Gewalt gerade während dieses Songs passiert.
Ob begründet oder nicht: Aus Angst und Aberglauben haben viele philippinische Karaoke-Bars "My Way" in den vergangenen Jahren aus ihren Playlists verbannt – um die Gefahr zu bannen, dass bei weiteren "Karaoke-Sinatras" der "final curtain" unfreiwillig zu früh fällt.
Verwendete Quellen
- gmanetwork.com: Lalaki sa Zambo Norte patay sa pananaksak nang dahil sa 'My Way'
- nytimes.com: Sinatra Song Often Strikes Deadly Chord
- esquiremag.ph: How Frank Sinatra's Song 'My Way' Triggered Filipino Karaoke Killings
- gmanetwork.com: 'My Way' strikes again? Man killed in videoke row over Sinatra classic
- reuters.com: Karaoke the great escape in Philippine slums
- indexmundi.com: Philippines - Intentional homicides (per 100,000 people)
- United Nations Office on Drugs and Crime: Global Study on Homicide