Schiessereien in Little Italy, Alkoholschmuggel in East Harlem – in den Gassen New Yorks schreiben die Mobster Geschichte. Teil drei unserer Mafia-Serie nimmt Sie mit zu den "Gangs of New York".

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Er war berüchtigt für seinen Appetit – angeblich verschlang er mehrere Portionen Pasta am Tag. Joe Masseria, der opulente und kaltblütige Pate, galt als der unangefochtene Boss von New York.

Am Mittag des 15. April 1931 betritt er "Scarpato's Restaurant" auf Coney Island. Sein Freund "Lucky" Luciano hat ihn eingeladen, bei Brot und Wein spielen die beiden Karten.

Luciano entschuldigt sich, er muss auf die Toilette. In diesem Moment stürmen vier bewaffnete Männer das Lokal und eröffnen das Feuer. Vier Kugeln treffen Masseria in den Rücken, eine in den Kopf. Er sinkt auf den Tisch, dann auf den Boden. Ein Foto vom Tatort geht in die Geschichte ein: Es zeigt seine blutige Hand, die eine Spielkarte - das Pik-Ass - umklammert.

Der Mord an Boss Joe Masseria erschüttert die Mafia

Um den Mord an "Joe the Boss" ranken sich viele Legenden. Doch eines steht fest: Masseria sollte nicht der einzige Boss bleiben, der in einem New Yorker Restaurant erschossen wird. Mehr als eine halbe Million Italo-Amerikaner leben Mitte des 20. Jahrhunderts in der US-Metropole, die meisten von ihnen aus Süditalien und Sizilien. Die Restaurants, Clubs und Kneipen von Littly Italy und East Harlem in Manhattan sind ihre Spielwiese.

Im ersten Teil unserer Mafia-Serie ging es um die Ursprünge der Mafia auf Sizilien. Im Teil zwei begaben wir uns in die USA, wo der italo-amerikanischen Mobster berühmt und berüchtigt wurde. Wir nahmen Sie mit in illegale Kneipen, in denen nur geflüstert wurde, in die Casinos von Las Vegas und sprachen vom wohl bekanntesten Mobster aller Zeiten – Al Capone. Auch der hat seine kriminelle Karriere in New York. Wo auch sonst?

Bandenkriege und Korruption

New York ist in den 1920ern die perfekte Stadt für kriminelle Karrieren. Lose Banden liefern sich Revierkämpfe in den Gassen von Manhattan und Brooklyn, Iren gegen Juden, Sizilianer gegen Neapolitaner oder andere Italiener. Sie alle haben im Alkoholschmuggel während der Prohibition eine Gans entdeckt, die ihnen über Jahre goldene Eier legt. Die Umstände in New York sind für ihr Business günstig: Politiker und Stadtverwaltung lassen sich schmieren, das illegale Geschäft gedeiht prächtig. Das Ausmass der Korruption wird besonders deutlich, als Franklin D. Roosevelt, Gouverneur von New York und später US-Präsident, in der Stadtverwaltung ermittelt. Weil er die horrenden Summen auf seinen Konten nicht erklären kann, tritt sogar der damalige Bürgermeister Jimmy Walker zurück.

Mit den italienischen Einwanderern sind auch sizilianische Mafia-Bosse alter Schule ins Land gekommen. Die jüngeren Gangster schimpfen sie "Mustache Petes" wegen ihrer altmodischen Schnauzer, oder auch "Greaseballs", was so viel wie "Fettklösse" heisst. Den Alten ist es wichtig, die traditionellen Bräuche ihrer Heimat zu pflegen. Einer von ihnen ist Joe Masseria, der aus Sizilien geflüchtet ist, um Mordanklagen zu entgehen. In New York landet er zunächst im Umfeld von Giuseppe "Klauenhand" Morello, dem ersten sizilianischen Mafiaboss der USA. Doch Masseria steigt schnell auf und wird selbst zum mächtigsten Boss Manhattans. Das gefällt nicht allen.

Der Krieg der verfeindeten "Mustache Petes"

Es heisst, Salvatore Maranzano kommt Ende der 1920er von der sizilianischen Mafiahochburg Castellammare del Golfo nach New York, um dort die Kontrolle über die Cosa Nostra zu übernehmen. Der Mobster ist bereits Anfang 40 und die ehemaligen Bewohner seiner Heimatstadt empfangen ihn mit offenen Armen. Genau wie Masseria ist er ein "Mustache Pete". Sein Ziel: Masseria ausschalten und dessen Imperium in Manhattan erobern.

Was folgt, ist eine Reihe blutiger Morde, die als "Krieg von Castellammare" in die Geschichte eingeht. Bald schon fliegen zwischen den Anhängern Masserias und Maranzanos die Kugeln, ein Gefolgsmann nach dem anderen fällt. Die Stimmung ist so angespannt, dass sich die Bosse nur noch in gepanzerten Limousinen bewegen. Zwischen 1930 und 1931 lebt es sich als Mafioso gefährlich in New York.

Eine neue Generation übernimmt das Geschäft

Masseria fördert gerne Nachwuchstalente, eines davon ist "Lucky" Luciano. Seinen Spitznamen bekommt er, als er einen Überfall überlebt, bei dem man ihm die Kehle durchschneidet – allerdings nicht tief genug.

Luciano ist als Kind nach New York gekommen und fängt in Manhattan an, seine Mitschüler zu erpressen. Er schliesst sich der Five Points Gang an – dort macht auch Al Capone seine ersten Schritte im Milieu. Ein weiterer Jugendfreund ist Meyer Lansky, späterer Boss der jüdischen "Kosher Nostra", eine Wortkombination aus "Cosa Nostra" und der jüdischen Bezeichnung "kosher".

Luciano ist von Masseria enttäuscht. Er will die Bandenkriege beenden und die Cosa Nostra für Nicht-Italiener öffnen. Er erahnt das Ende der Prohibition und lauert auf neue Geschäfte. Für Masseria ist das Spinnerei – er misstraut ja schon Italienern, die nicht aus Sizilien kommen. Doch seine Macht bröckelt, und Luciano fasst einen Entschluss. Er bietet Maranzano an, seinen eigenen Boss zu beseitigen. Das Treffen im "Scarpato's" ist eine Falle.

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Mit dem Mord von Masseria ist der Krieg vorerst beendet. Maranzano, der neue "Boss der Bosse", macht sich daran, die US-amerikanische Cosa Nostra nach seinem Geschmack umzustrukturieren. Doch sein Siegestaumel währt nicht lange. Als "Lucky" Luciano erfährt, dass Maranzano ihn beseitigen will, kommt er ihm zuvor.

Die alten "Mustache Petes" sind damit Geschichte. Nach dem Krieg von Castellammare übernimmt eine neue Generation, die in den USA geboren wurde oder in jungen Jahren dorthin ausgewandert ist. Bosse wie "Lucky" Luciano oder Al Capone haben jetzt das Sagen.

"Lucky" Luciano: Der "Reformer" der Mafia

Luciano reformiert jetzt das organisierte Verbrechen. Über die Gründung des National Crime Syndicate haben wir bereits berichtet. Neben dem "Chicago Outfit" um Al Capone und der "Kosher Nostra" um Meyer Lansky sitzen dabei auch die "Fünf Familien" aus New York am Tisch. In den anderen amerikanischen Städten gibt es damals maximal eine Mafia-Familie – in New York teilen sich Joe Bonanno, Lucky Luciano, Tommy Gagliano, Vincent Mangano und Joe Profaci das Terrain. Weil sich die Namen der Anführer im Laufe der Zeit verändern, sind sie heute als die Familien Bonanno, Genovese, Lucchese, Colombo und Gambino bekannt. Noch immer haben sie in der Unterwelt von New York das Sagen.

Die Bandenkriege sind nun beendet, die Kommission koordiniert die Geschäfte. In den folgenden Jahrzehnten kann die Cosa Nostra fast ungestört wachsen und erweitert ihre Tätigkeiten um Kreditwucher und die Infiltration von Gewerkschaften. Das Geld fliesst nun direkt aus der Industrie in die Taschen der Mafiosi. Gemordet wird weiter, aber effizienter. Die Killertruppe "Murder Inc." – zu Deutsch etwa "Mord AG" – kümmert sich um diejenigen, die der Mafia im Weg stehen. Den Auftragsmördern werden Hunderte Morde zugerechnet.

Und "Lucky" Luciano? Das "Time"-Magazin erklärt den "Reformer" später zu einer der einflussreichsten Personen des 20. Jahrhunderts. Mehrfach wird er verhaftet, mehrfach wieder freigelassen. 1936 kommt er schliesslich wegen Zwangsprostitution in 62 Fällen hinter Gitter. Die Haftstrafe soll eigentlich 50 Jahre dauern, doch dann bricht der Zweite Weltkrieg aus. Die Navy macht sich Lucianos Kontakte zunutze. Der Mafioso soll den Alliierten sogar dabei geholfen haben, die Offensive auf Sizilien vorzubereiten. 1946 wird er aus dem Gefängnis entlassen und nach Italien abgeschoben. Dort stirbt er 1962 – für einen Mafioso eher untypisch – eines natürlichen Todes.

Verwendete Quellen