Was mit einzelnen Videos auf TikTok begann, hat sich in Polen zu einem landesweiten Phänomen mit gefährlichen Konsequenzen entwickelt. Unter dem Namen "Szon Patrol" jagen Jugendliche - meist Jungen - junge Frauen und Mädchen, die ihrer Meinung nach zu freizügig gekleidet sind. Die Opfer werden heimlich fotografiert oder gefilmt, online blossgestellt und mit Hasskommentaren überzogen. Die Folgen sind schwerwiegend.
Zunächst wurde es als harmloser Trend unter Kindern abgetan: Polnische Schüler kommentierten auf TikTok die ihrer Ansicht nach unpassende Kleidung ihrer Mitschülerinnen. Doch schnell verlagerte sich die Aktion auf Instagram und Facebook - und dort eskalierte sie.
Gruppen junger Männer ziehen seither vereinzelt in gelben Westen mit der Aufschrift "Szon Patrol" durch Städte und Dörfer. Der Begriff "Szon" leitet sich vom vulgären Wort "Kurwiszon" ab, einer Beleidigung, die so viel bedeutet wie "Hure" oder "Schlampe".
Das Ziel dieser selbst ernannten Sittenwächter: Mädchen und junge Frauen zu fotografieren oder zu filmen, die ihrer Meinung nach "unmoralisch" gekleidet sind. Die Aufnahmen werden anschliessend online gestellt, mit beleidigenden Hashtags versehen und öffentlich bewertet. Vereinzelt sind auch Jungen betroffen.
"Dieser Trend ist abscheulich und eskalierte in eine Richtung, die niemand erwartet hatte", sagt Kinga Szostko, Gründerin der App "KidsAlert", im polnischen Radiosender Tok FM. Die App informiert Eltern über gefährliche Internet-Trends.
Laut Szostko begann "Szon Patrol" Anfang Juli. Als ältere Jugendliche mitmachten und es sich auf die Meta-Plattformen verlagerte, entwickelte sich daraus eine Welle der psychischen und sexuellen Gewalt. Szostko berichtet, dass viele Opfer sich nach den Sommerferien nicht mehr zur Schule trauten.
Soziale Medien tragen zur Eskalation bei
"Das ist kein Spass, das ist Cybermobbing", betont die Psychologin Dominika Mastalerz beim Radiosender Radio ESKA Lodz. Sie erklärt, dass sich junge Menschen oft nicht über die Konsequenzen eines solchen Handelns bewusst sind. Angelika Beranek, Professorin für Medienbildung an der Hochschule München, geht im Gespräch mit unserer Redaktion unter anderem auf die Folgen für die Geschädigten ein: "Wird man Opfer einer solchen Tat, hat dies vielschichtige Auswirkungen. Unsicherheit, Angst oder auch körperliche Symptome wie Kopfschmerzen können entstehen. Merkt man in der Familie, dass sich ein Kind plötzlich anders verhält als sonst, sollte man aufmerksam werden und dem auf den Grund gehen."
Für Beranek, die sich in ihrer Arbeit intensiv mit dem Thema Cybermobbing beschäftigt, ist der Trend Ausdruck eines tieferliegenden Problems: "Die Bewertung der weiblichen Körper ist Teil der westlichen Kultur. Social Media verstärkt diese, da hier viel bildbasiert kommuniziert wird. Frauen sollen auf der einen Seite unschuldig sein, auf der anderen aber greifbar und objektivierbar. Beides gleichzeitig geht nicht."
Auch die Dynamik sozialer Medien trage zur Eskalation bei: "Die jungen Männer fühlen sich durch die Klickzahlen und die Angst, die sie verbreiten, in ihrer Meinung gestärkt. Es entsteht für sie der Eindruck, dass sie die moralisch Guten sind. Soziale Medien können hier durch ihren Echokammer-Effekt und die Bevorzugung von viel diskutierten Inhalten dafür sorgen, das Phänomen zu befeuern."
Politik und Plattformen unter Druck
Der Trend ist längst kein Randphänomen mehr. Dutzende "Szon Patrol"-Profile sind auf Social Media entstanden. Die Kinderrechtsbeauftragte Monika Horna-Cieslak forderte Meta und TikTok bereits auf, entsprechende Inhalte konsequent zu löschen. Zehntausende Posts sollen in den vergangenen Wochen entfernt worden sein.
Für Konrad Ciesiolkiewicz, Psychologe und Mitglied der staatlichen Kommission zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Minderjährigen, ist die "Szon Patrol" alles andere als eine harmlose Jugendbewegung: "Das ist nichts anderes als reine Gewalt unter Gleichaltrigen - psychische und sexuelle Gewalt. Mädchen, die dieser Form der Gewalt ausgesetzt sind, können mit ihren psychischen und sozialen Folgen viele Jahre lang zu kämpfen haben", betont er in einem Beitrag für das Nachrichtenportal "Interia.pl".
Juristisch sei die Lage klar, erklärt Dr. Mikołaj Małecki von der Jagiellonen-Universität in Krakau beim Online-Portal "Onet": "Siehst du eine 'Szon Patrol', ruf die Polizei", fordert er seine Leserinnen und Leser auf. Schon das Auftreten mit den "Szon Patrol"-Westen in der Öffentlichkeit könne als Störung der öffentlichen Ordnung gewertet werden. Das Fotografieren, Filmen und Veröffentlichen fremder Personen erfülle den Tatbestand der Belästigung oder des Stalkings. Problematisch bleibt jedoch: In Polen gelten Jugendliche erst ab 17 Jahren als strafmündig – viele der Beteiligten sind jünger, ihre Eltern haften für sie.
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Eltern und Schulen in der Pflicht
Viele Fachleute sehen auch deshalb die Eltern in der Verantwortung. Die Sozialwissenschaftlerinnen Katarzyna Krzywicka-Zdunek und Dorota Peretiatkowicz fordern beim Online-Magazin "kobieta.onet.pl": "Wenn wir wollen, dass junge Menschen sich ausdrücken können, ohne andere zu verletzen, müssen wir neu lernen zu erziehen - klare Grenzen setzen, Empathie lehren, die Konsequenzen von Worten und Taten aufzeigen." Der Anwalt Tymoteusz Paprocki ergänzt: "Wir können weitere Gesetze schaffen, aber solange Eltern keine Grenzen setzen und ihre Kinder nicht zur Verantwortung für ihre Worte erziehen, wird kein Gesetz das Problem lösen."
Professorin Beranek nimmt die Schulen in die Pflicht, vorbeugend zu handeln: "Eine Mischung aus moderner Sexualpädagogik und Medienpädagogik sollte präventiv in Schulen eingeführt werden. Insgesamt ist alles hilfreich, was die Thematisierung von Geschlechterrollen angeht." Sie betont zudem: "Für Opfer müssen passende Anlaufstellen angeboten werden, zum Beispiel in Form von geschulten Schulsozialarbeiterinnen und -arbeitern."
Über die Gesprächspartnerin
- Prof. Dr. Angelika Beranek ist Professorin für Medienbildung an der Hochschule München und Studiendekanin der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften. Sie beschäftigt sich intensiv mit Themen wie Cybermobbing, Medienkompetenz und der kreativen Nutzung digitaler Medien.
Verwendete Quellen
- Interview mit Prof. Dr. Angelika Beranek
- tokfm.pl: Jak tiktokowy "szon patrol" wymknął się spod kontroli? "Masowo odzywają się do nas rodzice"
- lodz.eska.pl: Nowy, niebezpieczny trend wśród nastolatków. "To nie jest zabawa, to jest cyber przemoc"
- wydarzenia.interia.pl: Szon patrol - okrutna zabawa, która wymyka się spod kontroli
- onet.pl: Szon Patrol. Wybryk, demoralizacja, a nawet przestępstwo
- kobieta.onet.pl: "Szon patrol" rozgrzał media do czerwoności. "To my klikamy to zdjęcie i przesyłamy je dalej. To my robimy z tego temat"