Bis zu seinem Tod stand Papst Franziskus über zwölf Jahre an der Spitze der katholischen Kirche. Im Konklave wird bald ein Nachfolger bestimmt. Der Vatikan-Kenner Andreas Englisch sagt im Interview, wer das Zeug zum Bischof von Rom hat – und was von Franziskus bleibt.

Ein Interview

Die Welt schaut gebannt nach Rom. Nach dem Tod von Papst Franziskus sucht die katholische Kirche ein neues Oberhaupt. 135 wahlberechtigte Kardinäle kommen dafür im Mai zusammen. Die grosse Frage ist: Wer von ihnen wird Nachfolger auf dem Stuhl Petri?

Mehr Panorama-News

Der Journalist und Autor Andreas Englisch hat bereits Favoriten ausgemacht. Er lebt seit 1987 in Rom und gilt als profilierter Kenner des Vatikans. Wenn einer nah dran ist an der katholischen Kirche, dann er. Englisch sagt, dass die Kardinäle im Konklave die Chance hätten, eine mutige Entscheidung zu treffen. Wie meint er das?

Herr Englisch, wann haben wir einen neuen Papst?

Andreas Englisch: Das Konklave beginnt am 7. Mai. Ich schätze, dass es drei Tage dauern wird, was für eine Papstwahl relativ lange ist. Mein Tipp wäre: Am 10. oder 11. Mai haben wir einen neuen Papst.

Warum könnte die Wahl diesmal länger dauern?

Der verstorbene Papst hat viele neue Kardinäle ernannt, vor allem in entlegeneren Regionen der Welt. Die Europäer sind so zum ersten Mal in der Minderheit. Dafür sitzen jetzt Kardinäle aus der Mongolei, aus Pakistan, aus dem Irak am Tisch. Diese Zusammensetzung ist einzigartig. Das heisst auch: Die Kardinäle müssen sich erst kennenlernen. Früher war es so: Die Italiener haben entschieden, wer neuer Papst wird. Doch das ist vorbei.

Wie kam es dazu?

Zum einen sind viele Kardinalsstellen in Europa weggefallen. Es gibt keinen Kardinal mehr in Mailand oder Berlin, dafür auf Tonga im Südpazifik. Der entscheidende Punkt aber ist: In Europa, im alten Westen, sind die Kirchen leer. Und die Kardinäle aus der Dritten Welt sagen: 'Euch laufen die Leute davon, wie wollt ihr dann die Weltkirche leiten? Jetzt sind wir dran.' Das wiederum wollen die Europäer verhindern.

Vatikan-Kenner Andreas Englisch vor dem Petersdom in Rom. © ©Riccardo Musacchio/©Riccardo Musacchio

Gibt es bereits einen Favoriten fürs Konklave?

Es gibt Favoriten. Aber auch das ändert sich täglich. Ein Kompromisskandidat wäre zweifellos Kardinal Pietro Parolin, ein Italiener. Er ist Staatssekretär des Vatikans und stünde für ein Weiter-so. Er ist erfahren, er kennt sich aus. Das wäre keine Überraschung. Wenn die Kardinäle sich aber entscheiden, eine mutige Entscheidung zu treffen, dann wird er es nicht. Dann wird es einen Franziskus II. geben.

Wer könnte das sein?

Dafür gibt es Kandidaten, die sich in Stellung bringen. Etwa Kardinal Pierbattista Pizzaballa, der sich als Patriarch von Jerusalem auch im Gaza-Streifen auskennt. Ein anderer Kandidat wäre Mykola Bychok, der junge Kardinal aus der Ukraine. Auch er wäre eine Sensation. Ebenfalls interessant ist Kardinal Tagle. Er kommt von den Philippinen, hat aber chinesische Vorfahren und spricht Mandarin. Über einen solchen Papst wäre das autoritäre China sicher nicht glücklich. Die Frage ist: Entscheiden sich die Kardinäle für einen Kandidaten, der auch weltpolitisch ein Zeichen setzt – oder wollen sie nach Franziskus lieber wieder Ruhe im eigenen Laden?

Bedeutet ein Konklave vor allem Machtkampf, Politik oder ist es mehr?

Was kirchenferne Menschen oft nicht verstehen können: Die Kardinäle glauben daran, dass Gott jemanden von ihnen aussucht. Der Papst wird im Konklave also nicht im klassischen Sinne gewählt. Gott gibt den Kardinälen ein Zeichen. Das ist aber nur die eine Seite.

Und die andere?

Im Konklave prallen Welten aufeinander. Da sitzt der Kardinal aus Burkina Faso mit am Tisch, das ist eines der ärmsten Länder der Welt. Der sieht, wie Menschen sterben, weil das Geld für Medikamente fehlt. Ebenso dabei ist ein Kardinal Woelki aus Köln, der Immobilien mit einem Milliarden-Wert verwaltet. Natürlich geht es da um Politik. Um das geopolitische Machtgefälle zwischen Nord und Süd, um Reichtum und Armut. Man darf auch nicht vergessen: In der Weltkirche verschiebt sich etwas. In den nächsten 25 Jahren wird jeder dritte Christ aus Afrika kommen. Die Kardinäle werden sich also umschauen und darüber nachdenken, wer von ihnen wirklich ein heiliger Mann ist.

Der Papst ist nicht nur das Oberhaupt von 1,4 Milliarden Katholiken. Er ist auch ein Staatsoberhaupt. Welche Eigenschaften muss er mitbringen?

Es gibt drei Bedingungen. Erstens: Idealerweise ist er ein charismatischer Mensch, so wie Franziskus oder auch Johannes Paul II. es waren. Es kann aber auch schiefgehen und jemand wie Joseph Ratzinger wird gewählt, der kein bisschen charismatisch war. Zweitens: Der neue Papst sollte sehr gut Italienisch können, eine Grundvoraussetzung im Vatikan. Das macht es schwer für Kardinäle aus der Dritten Welt.

Und die dritte Bedingung?

Die ist vielleicht die Komplizierteste: Er muss komplett sauber sein, also ohne Skandale. Stellen Sie sich vor, es käme irgendwann heraus, dass Kardinal X vor 21 Jahren bei einer Geburtstagsfeier mal eine Frau geküsst hat, die das nicht wollte. Das wäre eine Katastrophe.

Die katholische Welt ist gespalten. Im Westen sinkt die Zahl der Gläubigen, in anderen Weltregionen boomt die Kirche. Was bedeutet das für den nächsten Papst?

Die Konservativen sagen: Der letzte Papst hat sich vor allem um Muslime, um Flüchtlinge, um Arme gekümmert. Aber nicht um die Leute, die in Rom oder in Deutschland jeden Sonntag in die Kirche gehen und Kirchensteuer zahlen. Damit muss Schluss sein. Die Progressiven hingegen wollen da weitermachen, wo Franziskus aufgehört hat – und sie sind eindeutig in der Mehrheit.

Dauer-Themen in der katholischen Kirche sind das Zölibat und die Priesterinnenweihe. Wird sich daran etwas ändern?

Ja, ganz sicher. Ein mutiger Papst wird hier ansetzen. Schon Franziskus hat Durchbrüche erzielt. Als erster Papst hat er gesagt, dass die katholische Kirche sich für ihren Umgang mit homosexuellen Menschen entschuldigen müsse. Auch die Abschaffung des Pflichtzölibats für Priester hat er nicht mehr ausgeschlossen. Das wird irgendwann so kommen. Mit Raffaella Petrini steht schon heute eine Frau an der Spitze des Vatikans. Sie bereitet das Konklave massgeblich mit vor. Ich bin mir sicher: Irgendwann werden auch Frauen zu Priesterinnen geweiht.

"Die arrogante, protzige, machtverliebte Kirche gibt es nicht mehr. Die hat Franziskus begraben."

Andreas Englisch

All das ist eine Kampfansage an den konservativen Flügel der katholischen Kirche.

Das stimmt. Und der konservative Flügel hat immer wieder mit Spaltung gedroht. Es wäre auf jeden Fall das Ende der Massenkirche mit 1,4 Milliarden Mitgliedern. Dann gibt es eben eine konservative Kirche mit 200 oder 300 Millionen Gläubigen. Und es gibt den grossen Rest. Die haben dann einen neuen Papst – und eine andere Kirche.

Welches Erbe hinterlässt Papst Franziskus, was bleibt von seinem Pontifikat?

Er hat einen epochalen Wandel durchgesetzt. Die arrogante, protzige, machtverliebte Kirche gibt es nicht mehr. Die hat Franziskus begraben. Sein Credo war: Entweder stellen wir uns auf die Seite der Armen oder wir gehen ein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das zurückdrehen kann.

Und welche Fehler hat er gemacht?

Er hat ein weltweites Verbot von Leihmutterschaften gefordert und auch beim Thema Abtreibung war er kompromisslos. Man könnte auch sagen: Hier war er voll auf klassischer Kirchenlinie. In beiden Fällen hätte er mehr tun können.

Und trotzdem könnte es in naher Zukunft einen Franziskus II. geben?

Auf jeden Fall. Ich glaube, dass schon der nächste Papst Franziskus II. wird.

Über den Gesprächspartner

  • Andreas Englisch ist ein deutscher Vatikan-Kenner. Er ist 1963 geboren und studierte nach dem Abitur Literaturwissenschaften und Journalistik. Für die Springer-Zeitungen Bild und Bild am Sonntag berichtete er viele Jahre lang als Italien- und Vatikan-Korrespondent. Englisch hat mehrere Bücher über Kirche, Papst und Glauben geschrieben.