Israel greift iranische Militär- und Nuklearanlagen an, der Iran reagiert mit Raketen auf israelische Ziele. Könnte Israel vielleicht sogar das seit 1979 in Teheran herrschende Regime zu Fall bringen? Experten sind skeptisch.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Dominik Bardow sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Der Konflikt zwischen Iran und Israel ist eskaliert: Am vergangenen Freitag startete Israel Luftangriffe auf iranische Militär- und Nuklearanlagen, der Iran wiederum feuert seither mit Raketen zurück. Was bezweckt die Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu mit diesen Militärschlägen? Wie wehrhaft oder instabil ist das iranische Regime derzeit? Droht dort bald ein neuer Nahostkrieg?

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Fragt man Konfliktforscher, hört man Besorgnis und Empörung. "Israels Erstangriff verstösst gegen geltendes Völkerrecht", sagt etwa Politikwissenschaftlerin Hanna Pfeifer von der Universität Hamburg. Dass Israel sich selbst verteidigt, um einem Atomschlag durch den Iran zuvorzukommen, überzeugt sie nicht. "Das Maximum, das Militärschläge erreichen, ist, Irans Atomprogramm einige Jahre zu verzögern."

Ziele der israelischen Militärschläge

Die israelische Regierung hat wiederholt erklärt: Sie werde nicht zulassen, dass der Iran Atomwaffen entwickelt, die er gegen den Erzfeind einsetzen könnte. Teheran reicherte weiter Uran an, offiziell zu friedlichen Zwecken. Der israelische Angriff jetzt ist nach Einschätzung von Hanna Pfeifer, "eher ein Versuch eines von aussen erzwungenen Regimewechsels". Zeichnet sich wirklich ein Ende der Islamischen Republik ab, die im Iran seit 1979 autoritär regiert? Könnten die Angriffe einen inneren Aufstand gegen das Regime provozieren?

Experten sind skeptisch. "Dass ein politisches System durch einen äusseren Angriff gestürzt wird, dem eine Revolution folgt, ist historisch eine grosse Ausnahme", sagt Konfliktforscher Tareq Sydiq, der zu Protest im Iran promovierte. Zur Lage der Opposition im Land sagt er: "Sie wird jetzt wohl erst einmal eine Art Burgfrieden eingehen."

Die Stabilität des iranischen Regimes

Das habe praktische Gründe: "Wenn ich als Iraner Schutz vor einem Raketeneinschlag suche, bin ich auf den Staat angewiesen." Ob Zugang zu staatlichen Bunkern, Fluchtrouten, Krankenhäusern: Für viele Iraner sei der Staat nun wichtiger denn je, um Ordnung und Schutz aufrecht zu erhalten. Die Forschung zeige zudem, dass äussere Attacken oft dazu führten, dass sich die Reihen hinter der Regierung schliessen.

Plastisch formuliert: "Menschen, die ums Überleben kämpfen, sind kaum effektive Revolutionäre." Sydiq schildert den Zustand der Opposition als sehr heterogen, "von Gruppen, die revolutionär sind, bis hin zu solchen, die Reformen anstreben". 2022 gab es schon einmal massive Proteste gegen das Regime. Damals demonstrierten sowohl Gewerkschaften als auch Nachbarschaftsgruppen gegen die Kopftuchpflicht für Frauen. Der Aufruhr wurde jedoch gewaltsam niedergeschlagen.

Das Regime sollte nicht unterschätzt werden

Die Bedingungen wurden nun erschwert. Augenzeugen berichten von Militärpatrouillen in Teheran. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, Nachrichten-Apps wie WhatsApp von den Handys zu löschen.

"Die Militarisierung führt nun dazu, dass verbliebene Räume der Opposition geschlossen werden", sagt Sydiq. Er warnt davor, das Regime zu unterschätzen. Es könne verzweifelte Massnahmen ergreifen. Durch jahrelange Sanktionen des Westens seien viele Bürger noch abhängiger vom Staat geworden.

Das Regime verbreite, wie seit jeher, das Versprechen einer starken Verteidigung des Landes. Es betone, wie viele feindliche Flugzeuge es abgeschossen habe und spricht nicht über den Kontrollverlust im Luftraum. "Es ist ein Propagandakampf, um zu verhindern, dass die eigene Bevölkerung desillusioniert wird", sagt Sydiq.

Wer könnte Ali Chamenei folgen?

Nahostkonflikt - Iran
Ali Chamenei. © dpa/Office of the Iranian Supreme Leader/AP

Könnte Israel, vom Teheraner Regime als "kleiner Satan" diffamiert, vom iranischen Volk als Befreier gesehen werden? "Die Wahrnehmung wird stark von der Anzahl ziviler Opfer abhängen", sagt Sydiq, bisher werden 224 Tote im Iran geschätzt. Israel behaupte, gezielt Führungskader zu attackieren, aber sein Ruf hat im Gazakrieg gelitten. Das Atomprogramm sei für Iraner "eher Elitenprojekt" als identitätsstiftend.

Unter diesen Eliten, militärischen wie religiösen, könnten sich Führungsfragen im Iran entscheiden. Der oberste Führer Ali Chamenei ist 86 Jahre alt. Israel gibt an, seine "Eliminierung" sei Kriegsziel. "Wir wissen nicht, wer Chamenei nachfolgen könnte", sagt Sydiq. Chameneis Sohn werde oft gehandelt. Aber insgesamt sei die jüngere Riege, die nun nachrückt, da viele Funktionäre sterben, nur radikaler.

"Ein offener Krieg wäre das schlechteste Szenario für einen Systemwechsel im Iran."

Tareq Sydiq

Die Rolle der internationalen Gemeinschaft

Tareq Sydiq ist der Meinung: Deutschland, Europa und die G7-Staaten müssten nun deeskalieren, "wenn die Oppositionsbewegung am Leben erhalten werden soll". US-Präsident Donald Trump sei jedoch der einzige, der die Eskalationsspirale auf beiden Seiten aufhalten könne. Wie sich die Vereinigten Staaten nun verhalten, ist noch völlig unklar.

"Ein offener Krieg wäre das schlechteste Szenario für einen Systemwechsel im Iran", sagt Sydiq. Auch Forscherkollegin Pfeifer sagt: "Kriege mit dem Zweck, einen Regimewechsel herbeizuführen, endeten oft im Desaster – man muss sich nur an den Irak und Afghanistan erinnern." Sie betont, die Frage des nuklearen Programms des Iran lasse sich nicht militärisch lösen, nur mit Verhandlung.

Die Position des Iran, der mit den USA ein neues Atomabkommen anstrebte, hat sich verschlechtert. "Der Iran ist ohne Verbündete in der Region geschwächt", sagt Pfeifer. Die Hisbollah (Libanon), Hamas (Gaza) und das gestürzte Assad-Regime (Syrien) sind keine effektiven Partner mehr. Auch Russland und China reagieren zurückhaltend, rufen halbherzig zu Frieden.

Aus Sicht von Pfeifer wäre es wichtig, "dass Deutschland und Europa klarstellen, dass das Verhalten Israels nicht akzeptabel ist". Auch und gerade im Gazakrieg, von dem der Irankonflikt ihrer Meinung nach ablenken solle.

Verwendete Quellen:

Zu den Experten:

  • Hanna Pfeifer: Dr. Hanna Pfeifer ist Leiterin des Forschungsbereichs Gesellschaftlicher Frieden und Innere Sicherheit am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) an der Universität Hamburg. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Dynamiken von Ordnung und Gewalt im Nahen Osten, insbesondere in Bezug auf islamistische und jihadistische Akteure.
  • Tareq Sydiq: Dr. Tareq Sydiq ist Konfliktforscher an der Philipps-Universität Marburg und hat sich auf die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft unter repressiven Bedingungen spezialisiert. Seine Forschung umfasst die Dynamiken von Protestbewegungen und die Reaktionen autoritärer Regime auf soziale Unruhen, insbesondere im Iran.