Sébastien Lecornu ist neuer Premierminister Frankreichs. Er muss schnell einen neuen Haushalt für 2026 auf den Weg bringen und den Franzosen das Sparen beibringen. Alles andere als eine leichte Aufgabe.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Tanja Kuchenbecker sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Frankreichs neuer Premierminister Sébastien Lecornu erlebt sein Land gleich am ersten Amtstag, wie man es kennt. Eine neue Protestwelle erschüttert Frankreich. Die soziale Wut entlädt sich gegen die Politik von Präsident Emmanuel Macron. Die neue Protestbewegung nennt sich "Bloquons tout" (Alles blockieren) und ist am linken politischen Rand zu verorten. Sie wurde schon mit den Gelbwesten-Protesten des Jahres 2019 verglichen, weil sie sich auch über die sozialen Netzwerke organisiert hat.

Dieses Mal richtet sich der Protest in erster Linie gegen die Sparpolitik der Regierung. 80.000 Polizisten sind im Einsatz, an vielen Orten kam es zu Krawallen, Mülltonnen brennen, Strassen sind blockiert, öffentliche Verkehrsmittel werden bestreikt. In grossen Städten wie Paris, Marseille, Lyon und Bordeaux gehen Demonstranten auf die Strasse.

Es ist eine Feuerprobe für Lecornu im wahrsten Sinne des Wortes.

Macron nimmt mit Lecornu keinen Kurswechsel vor

Schneller als gedacht hat Macron am Dienstag den bisherigen Verteidigungsminister Lecornu zum neuen Premierminister ernannt, nur einen Tag nachdem Premierminister François Bayrou über die Vertrauensfrage gestürzt ist.

Der 39-jährige Lecornu ist ein Vertrauter Macrons und steht politisch rechts der Mitte. Die wichtigste Aufgabe des neuen Regierungschefs: die bei diesem Thema ziemlich widerspenstigen Franzosen zum Sparen bringen und schnell einen Haushalt für 2026 durchzusetzen, an dem Bayrou gescheitert ist. Bei der Verteidigung behält er dabei die Oberhand. Dafür soll weiterhin viel Geld fliessen.

Präsident Macron hat also keinen Kurswechsel vorgenommen. Zuvor war spekuliert worden, er könne auch einen Premier aus dem linken Lager ernennen. Möglich, dass er sich dabei auch von den Märkten leiten liess: Die Ratingagentur Fitch wird am Freitag vermutlich die Kritikwürdigkeit Frankreichs herabstufen, was höhere Zinsen und damit noch mehr Schulden bedeuten würde. Wenn die Regierung nicht spart, droht ein Teufelskreis.

Macron will deshalb seine Rentenreform retten, mit der das offizielle Rentenalter von 62 auf 64 Jahre angehoben wurde. Auch seine wirtschaftsfreundliche Politik mit weniger Steuern für Unternehmen will er nicht aufs Spiel setzen. Im Amt ist er noch bis 2027.

Experten gehen davon aus, dass der neue Sparplan nicht so ehrgeizig ausfällt wie unter Bayrou, der 44 Milliarden Euro einsparen wollte. Trotzdem wird es für den neuen Premier nicht einfach. Denn die linkspopulistische LFI (La France Insoumise) und die Rechtsnationalen von Marine Le Pens "Rassemblement National" (RN) verfolgen trotz aller Unterschiedlichkeit das gleiche Ziel: Sie wollen auch die neue Regierung so schnell wie möglich loswerden und Neuwahlen herbeiführen. Davon könnte vor allem der RN profitieren.

Ist Lecornu "Macrons Klon"?

Der diskrete Lecornu, der aus der Normandie stammt, wurde von Kritikern schon als "Macrons Klon" bezeichnet. Er kommt von den konservativen Republikanern, schloss sich 2017 Macrons Bewegung an und leitete dessen Kampagne zur Wiederwahl im Jahr 2022. Er war schon 2008 Mitarbeiter des ehemaligen Finanz- und Wirtschaftsministers Bruno Le Maire, der lange unter Macron im Amt war.

Der neue Premier ist ein politischer Überflieger: Schon mit 22 Jahren war er Bürgermeister des Ortes Vernon in der Normandie, mit 27 Jahren Präsident des Départements Eure. Seit 2017 hatte Lecornu verschiedene Ministerposten in Folge.

Macron macht mit dem neuen Mann im Amtssitz Matignon weiter wie bisher und hört nicht auf die Franzosen, die sich laut Umfragen einen Wechsel wünschten. Lecornu sei eine "Provokation", hiess es sofort von linken Politikern. Die linke Partei LFI will einen Misstrauensantrag stellen.

Kritik an Lecornu

Lecornu soll zuerst einen Haushaltskompromiss mit den anderen Parteien suchen und seine Minister erst danach auswählen – eine ungewöhnliche Reihenfolge. Bei seinem Amtsantritt sagte er, er wolle "ernsthafter mit den Oppositionsparteien zusammenarbeiten". In Frankreich gilt er als guter Verhandler, der vor Kompromissen nicht zurückscheut.

Frankreichs Sozialisten trauen Lecornu trotzdem nicht über den Weg. Bei ihnen gilt er als Politiker, der vor Deals mit Le Pens Rechtsnationalen nicht zurückschreckt. Französischen Medien zufolge wird er aber nach Verhandlungen mit den Allianzparteien von Macrons Mitte sofort mit Sozialisten und Grünen sprechen – offenbar noch vor Le Pen.

Empfehlungen der Redaktion

Ruhe kehrt in Frankreich aber noch lange nicht ein: Die Proteste gehen weiter. Alle Gewerkschaften haben zu einem landesweiten Protesttag am 18. September aufgerufen. Ursprünglich ging es gegen Bayrous Sparhaushalt, aber ein neuer Grund findet sich schnell. Etwa die Ernennung von Lecornu als Macrons rechte Hand.

Verwendete Quellen