Zwei Ministerinnen werden wegen Suiziden von Ärzten und Pflegekräften verklagt. Die Krankenversorgung in Frankreich ist dramatisch, überall fehlen Ärzte und Krankenschwestern.

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Mehrere Ärzte und Pflegekräfte in Frankreichs Krankenhäusern sich das Leben genommen, weil sie total überarbeitet waren. Angehörige haben deshalb eine Klage gegen zwei Ministerinnen eingereicht, die sie dafür verantwortlich machen. Die 19 Klägerinnen und Kläger werfen Gesundheitsministerin Catherine Vautrin und Hochschulministerin Elisabeth Borne Mobbing und fahrlässige Tötung vor, so ihre Anwältin Christelle Mazza.

Doch wie konnte es so weit kommen? Chronischer Personalmangel, hohe Arbeitsbelastung und emotionaler Stress sind in Frankreichs Krankenhäusern Alltag. Die Zustände im Gesundheitssystem sind dramatisch, Krankenhäuser sind völlig überlastet, sogar in der Notaufnahme warten Patienten oft stundenlang; nur ganz schwere Fälle werden sofort behandelt.

Nicht unüblich ist es, dass Patienten schnell abgewimmelt werden, etwa eine 93-jährige Pariserin, die mit dem Rettungswagen eingeliefert wurde, weil sie über Herzrasen und Schwindel klagte. Nachts um zwei Uhr wurde sie mit Medikamenten ins Taxi gesetzt und wieder nach Hause geschickt, weil kein Bett frei war.

Immer weniger Ärzte in Frankreich, immer ältere Patienten

Der nationale Ärzterat "Conseil national des ordres des médecins" gab die Zahl der Ärzte in Frankreich mit 237.303 an und beschrieb die Situation in einem Kommuniqué: "Mehrere Millionen Franzosen haben keine ärztliche Betreuung." Die Experten erwarten zumindest bis zum Jahr 2030 eine weitere Verschlechterung der Situation. Im Jahr 2014 waren es noch rund 276.354 Ärzte. Das klingt nicht nach viel Schwund, doch das Problem ist, dass die Zahl der Allgemeinmediziner dramatisch abnimmt, die rund 40 Prozent der Ärzte ausmachen. Seit 2010 ist sie laut "RecoMedicales" um über zehn Prozent geschrumpft und ein Drittel ist über 60 Jahre alt. Was dazu führt, dass viele Patienten einfach ins Krankenhaus gehen.

Während die Zahl der Ärzte abnimmt, altert die Bevölkerung und wächst. Auf einen Arzt kommen also nicht nur mehr, sondern auch ältere Patienten, die häufiger krank sind und mehr Termine brauchen. Laut Statistikamt DARES (Direction de l'animation de la recherche, des études et des Statistiques) herrscht im Gesundheitsbereich nach Bau und Industrie am meisten Mangel, vor allem bei Ärzten. Besonders bei den Spezialisten war der Rückgang zuletzt erheblich, von 190 Ärzten auf 100.000 Einwohner 2023 auf 174 im Jahr 2024, wie "le Figaro berichtet".

Harsche Worte in der Anklageschrift gegen die Ministerinnen

In der Anklageschrift gegen die Ministerinnen, aus der "le Figaro" zitiert, die die Zahl der Suizide in verschiedenen Regionen Frankreichs nicht angibt, werden "komplett illegale und tödliche Arbeitsbedingungen" und eine "unerträgliche Arbeitsbelastung" aufgeführt. Die Politik habe nicht den Willen gezeigt, den Niedergang der öffentlichen Krankenhäuser zu stoppen. Seit der Pandemie habe sich die Situation verschärft. "Warnhinweise, die von einzelnen oder systematisch geäussert wurden, wurden ignoriert", heisst es weiter. Es habe "weder politisches Bewusstsein noch den Willen gegeben, den Niedergang der öffentlichen Krankenhäuser zu stoppen".

Unter anderem berichtete die Witwe eines Notarztes im Interview mit der Zeitung "Le Monde" von 80 bis 90 Arbeitsstunden pro Woche und 37 Arbeitstagen hintereinander ohne zwei Ruhetage in Folge. "Die Arbeitsbedingungen haben ihn in den Tod getrieben", erklärte die Frau, die ebenfalls im Krankenhaus arbeitet. "Die Misshandlung von Ärzten und Pflegepersonal muss endlich aufhören." Gesundheitsministerin Catherine Vautrin reagierte auf die Anschuldigungen und verteidigte die "Investitionen" in staatliche Krankenhäuser. Seit der Pandemie seien 15 Milliarden Euro investiert worden, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, unter anderem seien auch Gehälter erhöht worden.

Wie konnte es zu der Krise kommen?

Doch wie konnte ein Land wie Frankreich in eine solch katastrophale Krise rutschen? Grund für den Ärztemangel ist die schlechte Planung über Jahrzehnte. Die Zahl der Ausbildungsplätze wurde immer weiter reduziert, um Geld zu sparen. Und erst seit der Jahrtausendwende wurde die Zahl wieder erhöht, weil die Politik sich der Auswirkungen bewusst wurde.

Die Zahl der Ausbildungsplätze pro Jahr lag in den 1990er-Jahren nur noch bei 4.000, 2019 waren es wieder 9.500. Für 2025 sind 12.000 geplant und 2027 dann 16.000. Doch die jungen Ärzte müssen ausgebildet werden, während die älteren in Rente gehen. Laut Zahlen des Statistikamtes DREES (Direction de la recherche, des études, de l'évaluation et des statistiques) kamen 2022 auf einen neuen Medizinstudenten drei Ärzte, die in Rente gingen.

Die Franzosen fühlen sich schlecht oder gar nicht behandelt: 63 Prozent der Franzosen gaben laut der Ipsos-Umfrage für den Krankenhausverband Fédération Hospitalière de France von 2024 an, in den letzten fünf Jahren (2019 bis 2024) auf einen Arztbesuch verzichtet zu haben, 50 Prozent davon, weil die Wartezeit zu lang war. Seit 2019 ist die Wartezeit in allen Bereichen gestiegen, von sechs Tagen beim Allgemeinmediziner, drei Wochen beim Kardiologen bis zu einem Monat beim Hautarzt.

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In Frankreich sind rund 230.000 Ärzte gemeldet. Laut Statista-Zahlen der Bundesärztekammer gab es 2023 im Vergleich dazu in Deutschland 428.500 Ärzte. Die Ärztedichte ist damit in Deutschland grösser, etwa 410 zu 310 laut praktischarzt.de. Vergleichbar ist die Situation allerdings kaum. In Frankreich sind alle Bürger in der staatlichen Krankenversicherung versammelt und werden gleich behandelt, während in Deutschland Privatpatienten Vorrang haben.

Im zentralistischen Frankreich gibt es auch stärkere regionale Unterschiede. In ländlichen Regionen nimmt die Zahl der Ärzte besonders ab, Krankenhäuser wurden aus Kostengründen zusammengelegt und geschlossen, die Wege zum Arzt wurden länger. So sind es etwa in Paris 888 Ärzte für 100.000 Einwohner, in einem Département wie Haute-Loire im Landesinneren nur 244 für 100.000 Einwohner. Es ist leichter, einen Spezialisten in Paris und Umgebung und um Lyon zu finden als im Rest des Landes. Und selbst in Paris erscheint die Wartezeit oft ewig.

Weg aus der Krise?

Auf höchster Regierungsebene wird derzeit über das Gesundheitssystem beraten und nach Lösungen für den Ärztemangel gesucht. Premierminister François Bayrou schlug vor, die Ärztelandschaft neu zu strukturieren und junge Ärzte in abgelegene Regionen zu schicken. Über ein Gesetzesprojekt dazu wird im Parlament diskutiert: Ärzte, die in Gegenden mit hoher Ärztedichte praktizieren wollen, sollen einen Pflichtdienst in unterversorgten Gegenden absolvieren und Notdienste könnten verpflichtend werden.

Der Ärzterat ist dagegen: "Die Ärzte weigern sich, Opfer des Ärztemangels zu werden. Sie sind schon jetzt überlastet." Der Pariser Mediziner und auf soziale Themen spezialisierte Senator Bernard Jomier kommentierte dieses im TV-Sender "Public-Senat" laut Bericht: "Das eigentliche Problem ist der Ärztemangel. Wir befinden uns auf dem Grund des Schwimmbads und es wird Jahre dauern, wieder an die Oberfläche zu kommen." In absehbarer Zeit wird sich nicht viel am Arbeitsalltag der erschöpften Mediziner im Krankenhaus ändern.

Verwendete Quellen