Nach dem Tod von Charlie Kirk gewinnt die religiöse Rechte in den USA an Einfluss, der bis nach Deutschland reicht. Ein Blick auf die Netzwerke und Expansionsversuche zeigt: Die Strömung darf nicht unterschätzt werden.
Fast an jeder Ecke steht eine Kirche in den Südstaaten. Im sogenannten konservativen, streng gläubigen "Bibelgürtel" (Bible Belt) ist der evangelikale Protestantismus tief in der Kultur verwurzelt und die Unterstützung für US-Präsident
Rund zehn Jahre später stirbt Charlie Kirk bei einem Attentat vor den Augen der Welt. Er ist das Gesicht von "Turning Point USA" (TPUSA); einer der einflussreichsten konservativen Jugendbewegungen im Land. Kirk galt als Trump-Freund, der junge Menschen für rechtsextreme Ideologien überzeugte. Und er war ein Verfechter der christlich-nationalistischen Bewegung. Ihr Ziel: Demokratie abbauen und durch eine christliche Theokratie ersetzen.
In der Ausgabe im September titelt der Spiegel: "Fanatische Christen übernehmen die USA" und bezeichnet sie als "Gotteskrieger". Ein Ausdruck, für den die Journalistin Annika Brockschmidt 2021 noch Kritik einstecken musste, als sie genau davor in ihrem Buch warnte. Selbst in den USA kämpften Experten lange darum, gehört zu werden.
US-Experte warnt vor christlichen Rechten: "Spinner mit viel Einfluss"
"Ich habe mein Bestes getan, um auf diese Gefahren aufmerksam zu machen, und war dabei mässig erfolgreich", klagt Professor Matthew Boedy von der University of North Georgia im Gespräch mit unserer Redaktion. In seinem Buch erklärt er, wie die religiöse Rechte die USA christianisiert und die Demokratie zerstören will. Kirk galt als ein neues Gesicht des christlichen Nationalismus.
Der Autor kritisiert, dass christlich-fundamentalistische Ideologien in den vergangenen zehn Jahren weder von den Medien noch von den Demokraten ernst genommen wurden. Mit Kirks Tod, wie er sagt, besitzt die Bewegung jetzt einen Märtyrer und einen Präsidenten, der zu allem bereit ist. All das gebe den christlichen Rechten in den USA enormen Auftrieb.
"Die Kriegsrufe mögen von Spinnern kommen, aber es sind Spinner mit viel Einfluss", warnt er. Einfluss, den Kirk über die Grenzen der USA hinaustragen wollte. TPUSA besitzt Organisationen in Grossbritannien und Australien. Kurz vor Kirks Tod besuchte er Südkorea und Japan. Boedy geht davon aus, dass die internationalen Expansionsbemühungen von TPUSA zunächst ins Stocken geraten, da sich die Organisation in den kommenden Monaten auf die USA konzentrieren wird. "Das heisst nicht, dass die bereits etablierten Aussenposten seinen Tod nicht nutzen, um zu expandieren", sagt er mit Blick auf Deutschland.
Deutsche Influencer sehen in Charlie Kirk "Heiligen und Märtyrer"
"Ich bin so sprachlos. Ein Mann, der einfach für Wahrheit stand", schreibt Influencerin Jasmin Friesen über Kirks Tod und postet dazu einen Bibelvers. Ihrem Instagram-Account "liebezurbibel" folgen mehr als 90.000 Accounts. In den Kommentaren erhält sie viel Zuspruch. Kirk wird betrauert und gefeiert. Er sei "grossartig gewesen" und "stand zur Wahrheit". Eine Userin meint, sie habe "Angst um uns Christen".
Dass die Ermordung Kirks in diesen Kreisen auch in Deutschland so grosse Wellen schlagen würde, damit hätte Matthias Pöhl von "FundiWatch" nicht gerechnet. Er ist Teil des Recherchekollektivs, das über den "christlichen Fundamentalismus" im deutschsprachigen Raum aufklärt.
"Überrascht hat auch, dass Kirk trotz seiner extremistischen und rassistischen Ansichten teils als eine Art Heiliger und Märtyrer verehrt wird", sagt er auf Anfrage unserer Redaktion. Pöhl findet es erschreckend, wie Kirks Tod gezielt zur weiteren Polarisierung und Ideologisierung genutzt wird. Er werde etwa als "Kämpfer für westliche Werte" dargestellt und seine extremistischen und rassistischen Äusserungen als "nur" konservativ und als "legitim" verharmlost.
Viele christliche Fundamentalisten stellen sich seiner Ansicht nach auf die Seite Kirks als "einer von uns". Zugleich zeichne man ein Bedrohungsszenario, wonach Christen ihren Glauben nicht mehr vertreten dürften und ihr Leben bedroht sei.
Recherchen von "FundiWatch" zeigen, dass Kirk und seine Organisation vor seiner Ermordung hierzulande nur am Rande eine Rolle spielten. Seine radikalen Ansichten etwa zum Thema Abtreibung, queere Menschen und Rassismus seien aber durchaus in christlichen Kreisen in Deutschland anzutreffen. Etwa im Bereich der Sozialen Arbeit erkennen Pöhl und sein Team ein erhebliches Vordringen christlich-fundamentalistischer Gruppen. Unter dem Vorwand "echter Hilfsangebote", wie er sagt, wird von diesen häufig verdeckte Missionierung betrieben.
Kirk und "The Seven Mountain Mandate": Eine anti-demokratische Ideologie
Auch die Glaubenskonferenz "UNUM24 – EINS SEIN" vergangenen Sommer in der städtischen Münchener Olympiahalle hebt Pöhl hervor. Die Konferenz wurde laut ihm von über 80 christlichen Organisationen – ganz überwiegend aus dem christlich-fundamentalistischen Spektrum in Deutschland – aktiv unterstützt. Als "Star-Gast" trat der US-Pastor Bill Johnson aus der Trump-nahen kalifornischen "Bethel Church" auf. 2013 veröffentlichte Johnson gemeinsam mit Lance Wallnau (der J. D. Vance im Wahlkampf unterstützte) das Buch "Invading Babylon – The Seven Mountain Mandate".
Kirk galt ebenfalls als Verfechter der anti-demokratischen Ideologie "Seven Mountain Mandate" (kurz 7MM), die sich laut "FundiWatch" auch in Deutschland ausbreitet. Die Ideologie liegt der Vorstellung zugrunde, dass Christen es als göttlichen Auftrag verstehen, sich die Welt untertan zu machen. Das soll durch die "Übernahme" von sieben gesellschaftlichen Bereichen geschehen: Politik, Wirtschaft, Religion, Familie, Bildung, die Medien, Unterhaltung/Kultur.
"Dazu sollten Christ*innen alle Gesellschaftsbereiche mit ‚christlichen‘ Werten beeinflussen, transformieren und sie mit christlichen Weltanschauungen beherrschen", führt Pöhl aus. Auch bekannt als "christlicher Dominionismus" oder "Herrschaftstheologie". Und dennoch, wie der Experte kritisiert, haben viele Organisationen die "UNUM24 – EINS SEIN" unterstützt. Neben Bischof Heinrich Timmerevers und Bischof Tobias Bilz sollen auch Vertreter der beiden Amtskirchen teilgenommen haben.
Evangelische Kirche hat fundamentalistische Christen im Blick
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) betont auf Nachfrage unserer Redaktion, dass sie christlichen Fundamentalismus entscheidend ablehne. "Christlicher Glaube setzt auf Nächstenliebe und Verantwortung. Nicht auf Abgrenzung und Fanatismus", sagt ein Sprecher. Es sei schwer, den Einfluss christlich-fundamentalistischer Akteure in Deutschland zu beziffern.
Als Grund nennt er die unscharfe Grenze des Begriffs und des Phänomens sowie die überwiegend freikirchliche Organisation fundamentalistischer Christen, was oftmals mit einer Nichterfassung durch Mitgliederlisten einhergeht. Die "Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen" (EZW) behält die Strömung im Blick. Dort äussert sich der wissenschaftliche Referent Martin Fritz besorgt.
"Es ist ein politischer Faktor geworden", warnt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Kirks Bewegung findet ihm zufolge vor allem im freikirchlich-evangelikalen und insbesondere im charismatischen Spektrum eine Rolle. Dabei stehe das "Nationalistische" hierzulande weniger im Fokus.
Vielmehr würde Fritz es als christlichen Rechtspopulismus bis hin zu Rechtsradikalismus bezeichnen. Als Beispiel nennt er den pietistischen Christen und Ex-ZDF-Star Peter Hahne. Er ist seiner Meinung nach der derzeit "einflussreichste christliche Rechtspopulist" Deutschlands und zeigt auch offen seine AfD-Nähe. 2024 hat er sich etwa positiv über den rechtsextremen Politiker Björn Höcke geäussert.
Starke Kirchen und klare Abgrenzung gegen christlichen Rechtspopulismus
Auch die 7MM-Anhänger hat die EZW auf dem Schirm. Sie versuchen, in Deutschland Einfluss zu gewinnen, indem sie etwa Stars aus Sport und Unterhaltung für sich gewinnen. "Aber auf der politischen Ebene sind sie bisher weniger erfolgreich", sagt Fritz. Deutschland sei noch weit von US-amerikanischen Verhältnissen entfernt. Als stabilisierenden Faktor nennt er die (noch) starke Stellung der grossen Kirchen, die mit ihrem grundsätzlich aufklärungsoffenen und mehr oder weniger "liberalen" Christentum eine Art christlich-fundamentalistische Strömungen bilden. Hinzu komme die starke Aufklärungstradition in der deutschen Kultur und Deutschlands Erfahrung mit dem Dritten Reich.
Klar sei aber auch, wie Pöhl von "FundiWatch" betont, dass zahlreiche Akteure aus christlich-fundamentalistischen Kreisen die Ermordung Kirks als einen Wendepunkt ansehen, was zu einem radikaler werdenden "christlichen Kulturkampf" führen könnte.
Empfehlungen der Redaktion
Er fordert daher eine klarere Positionierung, mehr Aufklärung, aber auch eine klare Abgrenzung – sowohl von Seiten der evangelischen als auch der katholischen Amtskirchen. Vor allem dann, wenn menschenfeindliche Positionen vertreten werden. "Solchen Personen und Organisationen sollten die Amtskirchen durch gemeinsame Auftritte und Zusammenarbeit keine Bühne bieten", sagt er. Leider geschehe das aber immer wieder.
Über die Gesprächspartner
- Matthew Boedy ist Professor am Fachbereich Englisch der University of North Georgia. Er lebt in Gainesville, Georgia. In seinem Buch "The Seven Mountains Mandate: Exposing the Dangerous Plan to Christianize America and Destroy Democracy" beschäftigt er sich intensiv mit der Entwicklung des Christlichen Nationalismus in den USA.
- Matthias Pöhl gehört zum Kollektiv von "FundiWatch", das es sich zum Auftrag gemacht hat, über die Gefahren christlich-fundamentalistischer Ideologien im deutschsprachigen Raum aufzuklären.
- Martin Fritz ist wissenschaftlicher Referent bei der "Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen" (EZW). Sie ist die zentrale wissenschaftliche Studien-, Dokumentations-, Auskunfts- sowie Beratungsstelle der Evangelischen Kirche in Deutschland für die religiösen und weltanschaulichen Strömungen der Gegenwart.
Verwendete Quellen
- Intagram-Beitrag von Liebe zur Bibel
- evangelische-zeitung.de: Peter Hahnes Hasspredigt in Bülow: Geht’s noch!?