Undercover im Frauenhaus und Hähnchennuggets mit einem Verdächtigen: In "Feuer" leistet das Dortmunder "Tatort"-Team kreative Ermittlungsarbeit in einem Familiendrama über häusliche Gewalt. Obacht, wegen Pfingsten läuft der "Tatort" diesmal am Montag, 9. Juni!

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Vor ihrem Tod hat Meike Gebken Schutz im Frauenhaus gesucht. Der Verdacht fällt nicht nur auf ihren gewalttätigen Partner: Ihr Sohn ist untergetaucht. Der eigentliche Angeklagte in diesem spannenden Familiendrama aber ist ein Rechtssystem, das es Opfern schwer macht, aus toxischen Abhängigkeiten auszubrechen.

Mehr News zum "Tatort"

Seit ungefähr acht Jahren ist Meike mit Jens zusammen. Seit ungefähr acht Jahren wird Meike Gebken (Nadja Becker) von Jens misshandelt. Vergewaltigt, geschlagen, beschimpft, beleidigt. Jetzt liegt Meike tot im gemeinsamen Haus, gestorben an einer Rauchvergiftung. Es sieht nach Brandstiftung aus.

Jens Hielscher (Sebastian Zimmler) hat ein Alibi, er war geschäftlich in Offenbach und hat in seiner Import-Export-Firma übernachtet. Import-Export – wenn man das schön hört. Nichts gegen Import-Export-Unternehmer, aber wenn ein Mann im Unterhemd auf der Couch in einem Raum schläft, der aussieht, als sei er Lagerhalle, Büro und Man Cave zugleich, da weiss man doch schon, was das für ein Typ ist, oder?

Nein, keiner, der "seine" Frau umbringt. Das machen Typen wie Jens nicht: Als Spielzeug zum Abreagieren ist Meike doch viel nützlicher, und ausserdem, wieso sollte er sein eigenes Haus anzünden?

Eine ekelhafte Kreatur von einem Mann

Natürlich wünscht man sich, dass Jens der Täter ist, diese ekelhafte Kreatur gehört lebenslang eingesperrt. Aber erstens ist da das Alibi, und zweitens ist da Finn (Caspar Hoffmann), Meikes 14-jähriger Sohn aus einer früheren Beziehung. Während Meike und Jens eine kleine Tochter haben, die ihren Papa richtig lieb hat und die von ihm vergöttert wird, hat Finn genau mitgekriegt, wie sein Stiefvater seine Mutter behandelt und hasst ihn abgrundtief. Und jetzt ist Finn verschwunden.

Die Sache ist die: Meike war vor ein paar Wochen endlich ausgezogen. Mit Tochter Zoe (Tesla Tekin) hat sie Schutz in einem Frauenhaus gesucht, für das Finn zu alt war, um mitzudürfen. Also konzentrieren sich die Ermittlungen zum einen darauf, herauszufinden, wo Finn ist. Darum kümmert sich Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann). Zum anderen ist es seltsam, dass Meike in der Nacht ihres Todes in das gemeinsame Haus zurückgekehrt ist. Darum kümmert sich Kommissarin Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger).

"Tatort" aus Dortmund: Eine selten gezeigte Seite von Kommissar Faber

"Feuer" ist ein Ermittlungs-"Tatort" im besten Sinne. Im Vordergrund stehen zwei Ermittler, die ruhig, konzentriert und mit Einfühlungsvermögen ihre Arbeit machen.

Hier kommt der Faber zum Vorschein, der nicht nur seine Frau und seine Tochter durch einen Serienkiller verloren hat, sondern der auch seelische Narben aus einer Kindheit mit abwesenden Eltern trägt.

Der schroffe Kommissar kann sich gut genug in Finn einfühlen, um herauszufinden, wo der Junge steckt, und er kann gut mit dem schweigsamen Teenager, nachdem er ihn gefunden hat. Ein grösseres Rätsel gibt ihm Meikes Freundin Fanny Bellmes (Karolina Lodyga) auf, bei der Meike früher mit ihren Kindern Schutz suchte. Das habe zuletzt "nicht funktioniert". Vielleicht, weil Fanny dauerbetrunken zu sein scheint?

Rosa ermittelt derweil auf Ira Klasnics (Alessia Lause) Befehl undercover in dem Frauenhaus, in dem Meike Gebken zuletzt gewohnt hat. Es ist eine legal fragwürdige Anweisung, und Rosa wehrt sich, aber sie spürt auch, dass die von ihr sonst als kaltherzig verhasste Kommissariatsleiterin einen Fall, in dem es um häusliche Gewalt gegen Frauen geht, persönlich nimmt.

Rosa willigt ein, bekommt im Frauenhaus Meike Gebkens altes Zimmer und knüpft vorsichtige Beziehungen zu den anderen Bewohnerinnen. Aber die Undercover-Ermittlungen belasten Rosa Herzog sehr: Da ist das schlechte Gewissen gegenüber den anderen Frauen, da sind deren mitleiderregende Geschichten – und da ist vor allem ein persönlicher Grund, der tiefer geht, wie Faber und das Fernsehpublikum schnell merken.

Rückblenden in eine toxische Beziehung

"Feuer" nimmt den horizontalen Erzählfaden des Dortmunder "Tatort"-Teams durchaus auf. So lässt Faber der Fall des ermordeten Rechtsmediziners Haller, in dem er selbst in Verdacht geriet, nicht los.

Auch Polizist Otto Pösken (Malick Bauer) ist wieder da, er und Rosa Herzog kommen sich noch näher als in der letzten Folge, in der Fabers Widersacher Daniel Kossik (Stefan Konarske), jetzt beim LKA, ihn in das Team gesteckt hatte. Man hat nach wie vor den Eindruck, dass Pösken für Kossik und Ira Klasnić ein Auge auf Faber werfen soll.

Doch die Arbeit an dem Fall hat Vorrang. Gleichzeitig scheint dieser Fall ganz subtil die Beziehungsdynamik innerhalb des Teams zu verändern - ohne viel Aufsehen, immer im Hintergrund der eigentlichen Ermittlungen.

Und die gekonnte psychologische Feinarbeit, die das Drehbuch von Markus Busch und die Regie von Nana Neul in Bezug auf das Ermittlerteam anwendet, erstreckt sich auch auf den Fall. "Feuer" behandelt das aufwühlende Thema von Gewalt gegen Frauen mit einer distanzierten Lakonie, die den Fokus auf ein Rechtssystem richtet, das es den Opfern schwer macht, aus toxischen Beziehungen auszubrechen.

Mit Hilfe der Schicksale der Frauen im Frauenhaus und der Rückblenden zu Meikes Beziehung mit Jens wird nicht nur der körperliche Schmerz erfahrbar. Ebenso erschreckend sind die pragmatischen Gründe, weshalb Frauen es so lange mit ihren Peinigern aushalten, vor allem, wenn Kinder im Spiel sind.

Juristische Begriffe wie Belastungseifer, womit Zeugenaussagen von Opfern diskreditiert werden, oder Bindungsintoleranz und Umgangsrecht, das Kinder quasi zum Umgang mit einem gewalttätigen Vater zwingt, solange dieser "nur" der Mutter gegenüber handgreiflich wurde, zeichnen ein erschreckend kaltes Bild der Gerichte.

Denn das rechtsstaatliche Grundprinzip der Unschuldsvermutung kann in Fällen häuslicher Gewalt dazu führen, dass toxische Abhängigkeiten und psychische Belastungen quasi weiterbestehen, selbst wenn sich die Opfer zu einem Befreiungsschlag durchgerungen haben.

Ein Rechtssystem, das die Täter schützt

"Feuer" wird dabei nie polemisch, sondern lässt den Schrecken über die Fakten wirken, nicht über emotionalen Übereifer der Figuren. Eine Ausnahme bildet höchstens Macho Jens, der dermassen dummdreist seine selbstherrlichen Vorstellungen einer Beziehung zum Besten gibt ("Wenn Meike zurückgekommen wäre, diesmal hätt' ich sie totgeschlagen"), dass nur das überzeugende Spiel von Darsteller Sebastian Zimmler ihn davor rettet, zur unglaubwürdigen Karikatur zu werden.

Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Opfer Meike im Vergleich zu dem Raum, der ihrem Peiniger gegeben wird, trotz aller Rückblenden blass bleibt.

Der Versuch, sie als Stimme aus dem Off ihre Beweggründe erklären zu lassen, wirkt gerade wegen der sonstigen Qualität von "Feuer" unbeholfen und plump. Doch das ändert nichts daran, dass "Feuer" ein fesselnder - und ausgezeichnet besetzter – "Tatort" ist, der das Dortmunder Team in einem konzentriert erzählten Familiendrama strahlen lässt.