"Gears" bleibt "Gears" - auch wenn das Namensanhängsel "of War" weg ist: Das Microsoft-Studio The Coalition durchmischt den fünften Teil des beliebten Deckungs-Shooters mit Open-World-Einflüssen und schickt anstelle der üblichen Testosteron-Brocken eine waffenschwingende Frau an die Action-Front.

Eine Kritik
von Robert Bannert

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Bis an die Zähne bewaffnete Bodybuilder, die sich langsam von Deckung zu Deckung vorarbeiten und währenddessen Monster aufs Korn nehmen - oder mit der Kettensäge spalten: Mit dieser Mischung hat der heutige "Fortnite"-Hersteller Epic Games vor beinahe 13 Jahren das Shooter-Genre revolutioniert.

Die zunächst exklusiv für Microsofts Xbox-360-Konsole entwickelten "Gears of War"-Teile waren keine flotten Ballereien. Vielmehr entschleunigte man das Genre, indem man Helden und Gegner dazu motivierte, sich hinter Mauern oder Barrikaden zu verkriechen und aus sicherer Position kurze, gezielte Schusssalven abzufeuern. Der Deckungs-Shooter war geboren.

Auf diese Weise erschuf Epic ein zwar langsames, aber trotzdem spannungsgeladenes Action-Universum - wie gemacht für den vergleichsweise trägen und Gamepad-fokussierten Multiplayer-Betrieb auf der Konsole.

Mit den populären "Horde"-Schlachten spendierte man der Serie schliesslich den passenden Spielmodus: Anstatt gegeneinander anzutreten, wehrten sich die Spieler Seite an Seite gegen heranrollende Feindwellen, die immer stärker wurden.

Aber "Gears of War" war noch viel mehr als das: Ein Grossteil der Fanverehrung ging auf das Konto der fulminanten Inszenierung, die der Entwickler mithilfe der firmeneigenen "Unreal Engine" umsetzte.

Für Epic fungierte die "Gears"-Reihe deshalb als imposante Technikdemo und trug damit massgeblich zum Erfolg der "Unreal Engine" als leitendes Entwicklungstool in der Generation Xbox-360/PS3 bei. Hersteller Microsoft wiederum bescherte die Saga um den "Gears"-Krieger Marcus Fenix das zweite Xbox-exklusive Aushängeschild neben dem Ego-Shooter-Epos "Halo".

Die nächste Action-Generation bei "Gears 5"

13 Jahre danach ist alles anders: Die Xbox hat massgeblich an Bedeutung verloren und "Gears"-Erfinder Epic hat die Marke nach Teil 3 hinter sich gelassen. Inzwischen befinden sich der Fenix-Clan und der Kampf gegen die unterirdischen Locust-Monster in den Händen des Microsoft-eigenen Entwickler-Studios The Coalition.

Das setzt für den Kampf Muskelmann gegen Monster zwar noch immer auf Epics "Unreal Engine" und Deckungsgefechte, aber trotzdem hat sich einiges geändert: Der einstige Frontmann Marcus ist noch mit von der Partie, hält sich aber im Hintergrund und hat die Führung an seinen (ähnlich breit gebauten) Sohn James Dominic ("JD") Fenix abgegeben.

Der kämpft am Anfang von Teil 4 zusammen mit seiner Freundin Kait Diaz und anderen zunächst nicht mehr gegen die monströsen Locust. Stattdessen werden Robotersoldaten im Dienst der neuen Core-Regierung zerlegt.

Aber als dann der besiegt geglaubte Monsterfeind wieder auf der Bildfläche des Planeten Sera erscheint, sind diese Zwistigkeiten schnell vergessen: Die Bestien haben einen Weg gefunden, menschliche Grabstätten in Zuchtlabore für einen neuen und noch hartnäckigeren Schwarm zu verwandeln - darum steht einmal mehr das Überleben der Menschheit auf dem Spiel.

"Gears 5" setzt genau da ein, wo Teil 4 aufhörte: JD, Fenix Senior und ihre Truppe wollen eine Verteidigungsfront gegen die Bestien aufbauen, bevor es zu spät ist - und die widerborstige Premierministerin der Core ist dabei nicht gerade hilfreich.

Gleiches gilt auch für das "Was bisher geschah"-Video: Es deckt nicht mal ansatzweise das komplexe Beziehungsgeflecht der Figuren ab. Neueinsteiger werden also Probleme haben, der Handlung zu folgen.

Dein Freund und Helfer

Zum Glück bekommt die Kämpferclique aber auch Unterstützung: Hin und wieder darf man jene Androidentruppen zur Hilfe rufen, die man im Vorgängerspiel noch bekämpft hat.

Ebenfalls mit von der Partie: der fliegende Roboterhelfer "Jack". Der verpasst Feuer und Säure spuckendem Feindgetier lähmende Blitzschläge oder sammelt Munition und Waffen ein, die für Fenix und Konsorten zu weit entfernt sind.

Wer den schwebenden Blechkasten regelmässig ausbaut, kommt ausserdem in den Genuss von Schutzschilden, kurzfristiger Feuerresistenz, Unsichtbarkeit oder anderen Extras.

Das Kernstück des bewährten "Gears"-Gameplays haben die Entwickler allerdings nicht angetastet: Nach wie vor ballern die grimmigen Kraftpakete am liebsten aus der Deckung heraus - im direkten Kampf Mann gegen Locust verlassen sie sich auf kurze, schnelle Messerstiche oder werfen die in ihre Schiessprügel eingelassenen Kettensägen an.

Grundsätzlich gilt wie früher: Die Schlachten sind funktionell und zusammen mit anderen Gamern entwickeln sie (gerade im Koop-Modus an der Seite von zwei Mitspielern) sogar eine taktische Note.

Aber allzu ausschweifende Feuergefechte werden wegen der niedrigen Spielgeschwindigkeit irgendwann langweilig. Hier wäre weniger manchmal mehr gewesen - aller Bemühungen zum Trotz, das Spiel mit Schwärmen aus fliegenden Blutegeln, Roboterzombies oder anderen neuen Feindgattungen abwechslungsreicher zu gestalten.

Zu viel Bewegung schadet

Da helfen auch zwei grosse, Hub-ähnliche Spielgebiete nicht, mit denen "Gears 5" ein bisschen Open-World-Logik in seinen bleihaltigen Genre-Cocktail aufnehmen will: Denn ab Akt zwei spielt nicht mehr Fenix Junior die erste Gamer-Geige, sondern seine Freundin Kait übernimmt die Heldenrolle.

Die prescht an Bord eines Segelschlittens durch Eis- und Sandwüsten, um nicht nur der Kerngeschichte zu folgen, sondern ausserdem einige Nebenmissionen zu erledigen. Durch diesen Dreh wollen die Entwickler ihre in die Jahre gekommene Serie vermutlich vor der Gameplay-Stagnation bewahren.

Aber letztlich zeigt das oft ermüdende Geschlittere und Gelatsche nur, wofür die Marke "Gears" überhaupt nicht geeignet ist - und das ist zu viel Bewegung. Dafür sind die schwerfälligen Muskelberge einfach zu langsam.

Leider geht die erfolglos gesteigerte Bewegungsfreiheit zulasten von Präsentation, Inszenierung und Spektakel - den (zumindest kampagnenseitig) wichtigsten Disziplinen der auf brachialen Grafikpomp ausgelegten Reihe.

Das Resultat ist eine Spielwelt, die diesmal deutlich mehr Szenariobreite zeigt als von der Marke "Gears" gewöhnt, dafür aber visuell weit weniger in die Tiefe geht. Sich wiederholende Grafikbausteine, leblose Weiten und nicht immer sauber ausgearbeitete 3-D-Modelle sowie Texturen erwecken den Eindruck, als wären die Entwickler mit der schieren Menge an Szenariomaterial überfordert gewesen.

Auf muskulösen PCs beziehungsweise einer Xbox One X bietet das Spiel zwar eine knackscharfe 4K- oder sogar 8K-Darstellung, aber auch in Full-HD macht das Effektgewitter noch eine ausgesprochen gute Figur. PC-Gamer setzen dafür vorzugsweise auf eine starke AMD-Karte, denn "Gears 5" entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Grafikchip-Hersteller. Die Dolby-Atmos-Soundkulisse inklusive prominenter Synchronsprecher wie Maria Koschny (Jennifer Lawrence) komplettiert das Erlebnis.

"Gears 5": Fazit & Multiplayer

All das macht "Gears 5" zu einem mitunter behäbigen Action-Brocken. Der hat zwar immer noch seine Höhepunkte, ringt aber so verzweifelt darum, der alten Rezeptur neue Impulse zu verpassen, dass er den über so lange Zeit gereiften Action-Cocktail zeitweise empfindlich aus der Balance bringt.

Wer wissen will, wie es mit dem Planeten Sera oder dem Fenix-Clan weitergeht und was es mit Kaits geheimnisvoller Affinität zum Locust-Schwarm auf sich hat, der macht mit dem Kauf trotzdem nichts falsch: Auch das neue "Gears" bietet packende Action, die bis zum Abspann und darüber hinaus zu gelungenen Mehrspielerpartien motiviert.

Die sind intensiver, ausladender und vielfältiger denn je: Neben dem populären Horde-Modus, in dem 50 Gegnerwellen mit immer neuen Waffen und Fallen abgewehrt werden müssen, wartet "Gears 5" auch mit neuen Varianten auf: Bei der hektischen "Flucht" fliehen bis zu drei Spieler aus einem Schwarm-Bau, der sich langsam mit Gas füllt, und stellen sich dabei ständig die Frage: Riskiert man für etwas Munitionsnachschub, dass man von der wabernden Wolke erwischt wird?

In "Versus" wiederum treten zehn Spieler in zwei Teams gegeneinander an. Die grösste Neuerung ist jedoch, dass alle Figuren nun individuelle Fähigkeiten besitzen, die vor allem im "Horde"-Modus zum Tragen kommen und die Abwehrschlacht noch taktischer machen.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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