Berlin - Ein Jahr bevor der Film überhaupt in den Kinos anläuft, halten manche ihn schon jetzt für das grösste Kinospektakel 2026. Im "Oppenheimer"-Nachfolger von Starregisseur Christopher Nolan (55) geht es um nichts Geringeres als eine der legendärsten und ältesten Geschichten der Menschheit: die dem antiken Dichter Homer zugeschriebene "Odyssee".
Irgendwo zwischen königlichem Helden und schlitzohrigem Hochstapler, sich sorgendem Vater und notorischem Schürzenjäger, verkörpert Odysseus eine der komplexesten Gestalten der altgriechischen Literatur. Ein Meisterwerk hat Homer mit seiner "Odyssee" geschaffen, die seit fast 2.800 Jahren in ihren Bann zieht. Ob in Kino oder Literatur: Aktuell herrscht offenbar wieder einmal eine grosse Lust auf die Story um den sagenumwobenen König von Ithaka.
Etwas rätselhaft hält es auch
Odysseus, der Hochmütige
Berühmt wird Odysseus, weil er es ist, der mit seinen Kriegern im Bauch des legendären Holzpferdes sitzt, das die Griechen ihren trojanischen Feinden schenken. Erst durch diese List überwinden die Angreifer nach zehn Jahren Belagerung endlich die Mauern des als uneinnehmbar geltenden Troja.

Wegen seiner Selbstüberschätzung vom Meeresgott Poseidon bestraft, muss sich Odysseus ab dann in einer zehn Jahre dauernden Irrfahrt über die Meere gegen den Groll der Götter, Monster und Stürme, liebliche Versuchungen und manch moralisches Dilemma durchsetzen. Da wären der einäugige Riese Polyphem, die tödlichen Gesänge der Sirenen, die schlingenden Meerungeheuer Skylla und Charybdis oder die Reize der Zauberin Kirke. Am Ende lassen ihn die Götter zurückkehren zu seiner treuen Penelope, die über zwanzig Jahre lang ihre Verehrer mit geschickten Verzögerungstaktiken abhält.
Uberto Pasolini und das Nachkriegstrauma
Mit dieser Ankunft auf Ithaka setzt Uberto Pasolinis Film "The Return" (2024) ein, der hierzulande bisher ein Nischendasein fristet. Ungeheuer sind hier nicht zu sehen. Das Augenmerk ist stattdessen auf etwas anderes gerichtet: auf den von Krieg und den Strapazen der Reise traumatisierten Helden.
Gespielt wird dieser von einem drahtig-muskulösen
Stephen Fry adaptiert Homer
Auch der britische Komiker und Schauspieler Stephen Fry (67) kann dem antiken Stoff offensichtlich nicht widerstehen. Seine bisherige Mythen-Trilogie ("Mythos", "Helden", "Troja") erweitert er um einen vierten Band. Mitte Oktober wird seine "Odyssee" auch auf Deutsch erscheinen.
"Er ist clever, er ist gerissen, er ist schlau", bewundert der Autor seinen Helden in einem Interview anlässlich der Veröffentlichung in Grossbritannien. Von allen Figuren der griechischen Mythologie passt er wohl am besten zu Frys saftiger Sprachlust und mitreissendem Schalk. Dessen reflektierte Unbeschwertheit ist mehr als eine Nacherzählung Homers. In einer Art Bildungsauftrag vermittelt er en passant genauso Diskussionen aus Sprach- und Altertumsforschung.

Weil Fry auch etwa die Nach-Troja-Heimkehr des Griechenkönigs Agamemnon (der zu Hause von seiner Frau Klytaimnestra ermordet wird) oder des Trojaners Aeneas (der nach einer eigenen Irrfahrt schliesslich zum Gründervater Roms wird) beschreibt, wirkt sein Buch zuweilen überfrachtet. Was allerdings stärker aufstösst: Er macht den Fehler vieler früherer "Odysseus"-Adaptionen, indem er für die Erhöhung seines Helden die Frauencharaktere zu abhängigen und unselbstständigen Nebenfiguren degradiert. Dabei hätte Fry doch mit einem feministischeren Ansatz etwa über Margaret Atwoods "Die Penelopiade" (2005) durchaus zu einer komplexeren Deutung Homers finden können.
Ulrike Draesner zeigt die Irrfahrten der Penelope
Einer solchen geht wiederum die deutsche Autorin Ulrike Draesner (63) nach. In ihrem sogenannten Post-Epos "penelopes sch()iff", das dieser Tage erscheint, erzählt sie in durchaus herausfordernder Versform von "jenem dunklen Raum, in dem üblicherweise nur noch Abspann läuft".
Soll heissen: Während Penelope und ihre Sklavinnen in den meisten Umsetzungen des Stoffes vernachlässigt werden, rücken sie bei Draesner ins Zentrum eines alternativen Geschehens. "Selbstverständlich hatte sie Sex mit den Freiern", stellt die Autorin über die Königin von Ithaka klar.
Bei der Autorin gibt es kein Happy End mit der Wiederherstellung der Herrschaft des Odysseus, denn die freiheitsliebende Penelope sticht mit ihren Frauen selbst in See. "herumstieben werden sie / wie rinder einer herde die / anschwirrt die bremse und / vor sich herjagt - kopflos", dichtet Draesner.
Empfehlungen der Redaktion
Die Frauencrew segelt anders als der homerische Odysseus ohne Eroberungsvorsatz ins Ungewisse. An einer Lagune in der Nordadria gründen sie eine Siedlung (heute Venedig), mit einem neuen Gesellschaftsbild und einer neuen Form von Zusammenleben. Ganz unhierarchisch - und im beherzten Sinne unhomerisch. © Deutsche Presse-Agentur