In der "Villa der Versuchung" lassen es derzeit so genannte Promis krachen: Sie müssen auf jeglichen Luxus verzichten, alles, was konsumiert wird, kostet extra – und wird von der Gesamtgewinnsumme abgezogen. Der Zoff ist demzufolge ständiger Begleiter. Unser Reality-TV-Experte Julian F. M. Stoeckel findet diese Entwicklung im Trash-Fernsehen bedenklich.

Ein Interview

Entertainer Julian F. M. Stoeckel hat diesmal das Wichtigste zu Hause gelassen: seinen Turban. "Das halte ich heute nicht aus", sagt der 38-Jährige. "Viel zu heiss." Ansonsten ist Stoeckel aber in seinem Element, es geht um die "Villa der Versuchung".

Unser Experte für Reality-TV hat sich die neue Show auf Sat1 ganz genau angeschaut und schlägt ernste Töne an: Wohin soll Trash-Fernsehen noch führen? "Mein Gefühl sagt mir, es ist noch nicht das Ende", ist sich der 38-Jährige sicher. "Es wird noch schlimmer."

In der "Villa der Versuchung" müssen mehr oder weniger prominente Menschen in Thailand auf jeglichen Luxus verzichten. Nur pürierte Pizza, Reis mit Ratatouille und Wasser gibt's umsonst, alles andere kostet – und nicht wenig. Eine Dose Cola: 200 Euro. Schlafen in einem richtigen Bett: 2.000 Euro pro Nacht. Eine Zigarette: 150 Euro.

Was konsumiert wird, wird von der Gewinnsumme von 250.000 Euro abgezogen. Und die so genannten Stars lassen es richtig krachen, nach wenigen Tagen liegt der Betrag bereits bei unter 100.000 Euro.

Wie würde Julian F. M. Stoeckel auf die ständige Entsagung reagieren? Einer Versuchung jedenfalls kann der Entertainer schon einmal nicht widerstehen: Ananasschorle. Im Verlauf des Gesprächs im Hilton-DoubleTree-Hotel am Ku'damm lässt er sich gleich zwei grosse Gläser davon bringen. Es ist heiss in Berlin.

Welcher Versuchung könnten Sie nicht widerstehen?

Ich kann wenig Versuchungen widerstehen. In der "Villa der Versuchung" wäre Alkohol kein grosses Thema für mich, auch Cola und Fanta nicht. Mich würde eher beschäftigen, dass man nichts Richtiges zu essen hat, nur diese gequirlte, gehäckselte, gemixte Pizza-Sosse säuft. Das wäre für mich das Drama. Vermutlich würde ich bei den Anderen um Abbitte betteln, um mal ein Toastbrot zu bekommen. Aber 14 Tage am Stück nur Toast essen? Allein schon die Verstopfungen! Das Gefühl der Mangelernährung ist eine Katastrophe. Also schrecklich. Alles schrecklich.

Was ist das Schlimmste in der "Villa der Versuchung"?

Ich bin witzigerweise gefragt worden, ob ich auch mitmachen wollen würde. Habe natürlich dankbarerweise sofort abgesagt, weil die Vorstellung, auf wahnsinnigen Luxus zu verzichten, auf dem Boden zu schlafen und mich irgendwie durch diese Zeit zu hangeln, das war keine Sache, die ich mir auch nur ansatzweise habe vorstellen können.

Das heisst, Sie wussten vorher, worum es in der Show geht?

Man sagte mir, ich müsse in Thailand irgendwo hinfahren und auf Luxus verzichten. Und das ist ja im Grunde genommen schon Endstation Eisenbahn: Um Gottes willen, man hat kein schönes Bett, keinen Rasierer, kein Parfum! Warum soll ich mich bestrafen lassen vom Showbusiness in irgendeinem Format? Nein, nein, nein.

Aber die Kandidatinnen und Kandidaten der aktuellen Staffel waren am Anfang alle so überrascht, als ihnen die Villa ausgeräumt wurde. So als hätten sie überhaupt keine Ahnung gehabt, worauf sie sich da eingelassen haben.

Ich glaube, das liegt daran, dass Fernsehsender bei grossen Stars mehr Informationen preisgeben. Wenn wir Stars hören, es gibt ein Format, über das es aber keinerlei Informationen gibt na, wer würde auf Grundlage dessen überhaupt irgendwas zusagen? Wir sind ja nicht wahnsinnig oder irre. Deswegen könnte ich mir vorstellen, dass die Produzenten vielleicht gedacht haben, dem einen oder anderen kann man eine Märchengeschichte erzählen. Und vielleicht gibt es Leute, die die glauben.

Was halten Sie vom Konzept der Show? Das hat es in der Art noch nicht gegeben.

Für mich ist es eine Mischung aus "Sommerhaus der Stars" und "Promi-Büssen". Promis werden für irgendwas bestraft, müssen auf dem Boden schlafen, bekommen nichts zu essen und müssen irgendwelche anstrengenden Spiele spielen. Die Grundidee finde ich eigentlich ganz cool für das, was heute so produziert wird. Früher wurde noch Good-Vibe-Fernsehen gemacht, heute geht es eigentlich nur noch um Krawall, die Leute sollen sich anschreien und zoffen, dazu Entbehrlichkeiten jeglicher Art. Das ist eine anstrengende Entwicklung, aber auch ein bisschen Zahn der Zeit.

Inwiefern Zahn der Zeit?

Ich war zum Beispiel beim "Club der guten Laune" dabei, ein Nachfolgeformat von "Promis unter Palmen". Nach dem Skandal mit Claudia Obert und dem plötzlichen Tod von Willi Herren hat man versucht, etwas zu produzieren, das irgendwie positiver, netter, lustiger, schriller war. Das hat quotenmässig nicht geklappt. Heute gibt es das "Promi-Büssen" oder "Prominent getrennt", da geht es nur noch um Geschrei und Gezoffe. Benehmen sich so richtige Prominente? Ich bin mir nicht sicher. Ich kann das jedenfalls kaum ertragen. Wenn ich zu Hause bin, möchte ich positiv unterhalten und entspannt werden und nicht Teil einer Streitkultur sein.

Aber warum schauen wir uns das an?

Ich bin ja nicht nur Zuschauer, sondern auch produzierender Künstler. Für mich ist Fernsehen wie ein Kreuzfahrtschiff. Das Schiff wird immer grösser, immer voluminöser, immer mehr. Man muss dabei bleiben und beobachten: Wohin fährt dieses Schiff? Rechts, links, Norden, Süden, Nordkap, Pazifik, Mittelmeer? Aus meiner Perspektive des Konsums kann ich diese Art von Fernsehen nicht mehr ertragen, da schau' ich mir lieber eine Doku auf Arte an. Aber ich glaube, viele Zuschauer haben sich inzwischen daran gewöhnt, dass wir diesen Trash-Promis und Reality-Stars zuschauen, die keiner Kunst mehr nachgehen, keine Moderatoren, Schauspieler, Sänger sind. Ihre blosse Existenz besteht darin, von Format zu Format zu gehen, um dann den grossen Star mimen zu können.

Ich bekomme viele Nachrichten auf Facebook, Instagram und TikTok, wo Leute mir schreiben, sie würden mich gerne mal wieder irgendwo sehen oder Micaela Schäfer oder Ross Antony, die alte Garde. Aber das Publikum versteht, glaube ich, nicht, dass wir, umringt von diesen Reality-Leuten, da gar nicht mitmachen wollen würden.

Ist das der Abgesang aufs Reality-TV?

Das ist eine berechtigte Frage. Es gibt diesen ulkigen oder merkwürdigen Trend, dass viele gestandene Fernsehstars in die Reality-Welt gehen, Anouschka Renzi, Raúl Richter, Jimi Blue Ochsenknecht. Produzieren wir im Showbusiness keine Qualitätsinhalte mehr, in denen es um Niveau geht, um guten Stil, um Kulturkunst? Produzieren wir nur noch diese Art von Formaten, und "die anderen" müssen sich nun auch in diese Welt integrieren? Wie weit geht diese Abwärtsspirale? Mein Gefühl sagt mir, es ist noch nicht das Ende, es geht noch weiter. Irgendwann werden wir wahrscheinlich ein Format haben, in dem die Frage ist: Wer springt zuerst vom Hochhaus und an einem ist kein Seil dran.

Es wird noch schlimmer. Die Frage ist nur, warum goutieren wir das eigentlich immer alles? Warum sagt nie jemand von Presseseite, von Senderseite okay, jetzt ist Schluss. Das sagt keiner. Dazu passt natürlich auch, dass diese Trash-Darsteller und Reality-Stars alle so günstig sind, dass die Produzenten natürlich lieber die Billigen nehmen. Die klatschen sich in die Hände und sagen, die Doofen kommen demnächst auch noch umsonst. Also ich nicht! Sag’ ich gleich!

Jimi Blue Ochsenknecht ist das Stichwort, er ist momentan überall, demnächst bei "Are You The One", machte jüngst mit seinem Gefängnisaufenthalt von sich reden. Wie bewerten Sie seine Rolle in der "Villa der Versuchung"?

Es ist schicksalshaft, dass Jimi Blue parallel zur Ausstrahlung in eine, ich sage mal, schwierige justiziable Schieflage gekommen ist und es da zudem auch noch um Geld geht. Schicksal oder Karma können einem manchmal ins Gesicht schlagen. Ich glaube, Jimi Blue hat erkannt, ähnlich wie viele etablierte Leute aus unserem Showbusiness, dass man in diesen Reality-Formaten Geld verdienen kann. Er bekommt sicher eine hohe Gage und dann im besten Fall noch 50.000 oder 100.000 oder, hätten sie gar nichts aus der Kostbar genommen, 250.000 Euro oben drauf. Das verdienen manche Leute ihr ganzes Leben lang nicht. Ich kann also schon verstehen, dass er mitmacht. Seine Rolle dort gefällt mir sehr gut, ich finde ihn nahbar, nett und charmant.

Das Spannende an diesem Format ist die Taktik, etwa als Raúl Richter und Jimi Blue Gigi Birofio dazu gebracht haben, verbotenerweise etwas aus der Kostbar zu nehmen.

Ich weiss nicht diese Taktik. Bei diesen Allianzen habe ich das Gefühl, dass immer etwas sehr Negatives gemacht wird. Eigentlich müsste es so sein wie im Bundestag: Jeder soll nach seinem Gewissen handeln. Ich möchte, dass jeder seine eigene Strategie hat. Aber ich glaube, das ist nicht immer nur die Schuld der Teilnehmer, dahinter steckt vielleicht auch eine Manipulation der Produktion, die die Kandidaten durch gezielte Fragen sukzessive dorthin führen, wo sie sie haben wollen.

In seinem Element: Julian F. M. Stoeckel beim Abgesang aufs Trash-TV? © Kämpf

Einmal zum Verständnis: Die Teilnehmenden bekommen zusätzlich zu den 250.000 Euro Gewinnsumme oder wie viel eben übrig bleibt auch noch eine Gage?

Also wenn jemand ohne Gage in ein derartiges Format geht, müsste man den Manager feuern! Wenn ich zum Beispiel bei so etwas mitmache und zwei, drei, vier Wochen nicht da bin, habe ich einen Verdienstausfall. Es ist ja nicht so, dass ich nichts zu tun habe, und das muss man natürlich kalkulieren. Deswegen muss das bezahlt werden. Jedenfalls bei Leuten, die einem richtigen Beruf nachgehen. Bei diesen Trash-Darstellern, wie zum Beispiel Gigi, weiss ich nicht, was der macht, wenn er nicht in Formaten ist. Aber ich bin schockiert: Wie können die in der Villa so viel Geld ausgeben? Sagen wir mal, man bekommt 50.000 Gage, dann nochmal 50.000 bis 100.000 Euro das muss ja versteuert werden. Ich frage mich bei den Leuten in diesen Formaten häufig, wie die das mit ihrer Steuer hinbekommen. Können die überhaupt Steuer? Haben die schon jemals eine gemacht? Keiner ist dir so treu wie das Finanzamt und der Tod.

Man könnte das Gefühl bekommen, die können es sich fast alle leisten, die 250.000 Euro nicht zu bekommen.

Ich habe den Eindruck, dass manche Leute gebrieft worden sind. Vielleicht bekommen die einen Bonus von der Produktion, 5.000 Euro oben drauf, wenn sie sich morgens, abends, mittags, zwischendurch was aus der Kostbar nehmen. Die haben so eine Lust an der Verschwendung! Aber am Ende fällt das ja auf jeden einzelnen zurück, es ist ja ein gemeinsamer Pot. Ist doch komisch, dass sich manche Leute so viel rausnehmen, als gäbe es kein Morgen mehr.

Haben Sie Namen im Kopf?

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Was halten Sie von Moderatorin Verona Pooth?

Ich wundere mich über sie. Ich mag Verona sehr, finde aber, man hat ihr ein zu starres Korsett von Produktionsseite her angezogen. Sie wurde einst berühmt durch Verrücktheit, durch Lustigkeit, durch Leichtigkeit, durch Schnelligkeit. In der "Villa der Versuchung" wirkt es immer so, als dürfe sie nur vorbereitete Texte vorlesen, aber von ihr kommt wenig. Ich hatte bislang nicht das Gefühl, dass ein Witz, eine Pointe, ein Kommentar von ihr selbst kam. Sie moderiert mit einer Distanz zu den Kandidaten. Was ich schade finde, sie hätte ruhig mal einen frechen Kommentar machen dürfen.

Sie sagten anfangs, sie wären für die "Villa der Versuchung" auch angefragt worden. Jetzt, wo sie gesehen haben, wie es dort zugeht: Würden Sie mitmachen?

Lustigerweise hat mich vor kurzem Dolly Buster angeschrieben und gefragt, ob ich mit ihr zusammen beim nächsten Mal in der "Villa der Versuchung" sein möchte. Würde ich nochmal gefragt werden, ist es immer eine Frage des Preises, ich mache nicht mehr viel für wenig. Jetzt wollen Sie wahrscheinlich wissen, ob ich gerne mitmachen würde. Nee, nicht wirklich.

Teaserbild: © IMAGO/Gartner/IMAGO/Gartner