Podcaster Sebastian Tigges will in seinem neuen Format mit dem ewigen Tabu aufräumen, dass Männer keine Schwäche zeigen dürfen. Im Gespräch mit spot on news spricht er über emotionale Sprachlosigkeit unter Freunden, die Angst vor Männergruppen - und wie all das besser werden kann.

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Verletzlich, offen und ehrlich zeigte sich Sebastian Tigges schon in seinem Familienpodcast "Family Feelings" mit Marie Nasemann. In seinem neuen Podimo-Format "Männer weinen heimlich" spricht er nun mit prominenten Männern über Gefühle. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erzählt der Podcaster, warum ihn Männertränen so beschäftigen, wie Freundschaften unter Männern oft funktionieren und erklärt den "Lifehack" Gefühlsbereitschaft.

In der ersten Folge Ihres Podcasts fragen Sie an einer Stelle verzweifelt, wie man mit seinen männlichen Freunden über Gefühle sprechen soll. Als Frau für mich unverständlich. Wie funktionieren Freundschaften ohne diese Ebene?

Sebastian Tigges: Ich bin in der glücklichen Position, dass ich jetzt schon ein paar Jahre Therapie gemacht habe und das schon ein bisschen besser kann. Aber früher haben Männer-Freundschaften nicht über vermeintlich schwache Gefühle funktioniert, sondern über Emotionen wie Freude oder Wut. Man findet andere Ebenen, auf denen man connected - nie so richtig tief, aber das vermisst man nicht, wenn man nicht weiss, was so eine Tiefe mit sich bringen kann.

Beneiden Sie Frauen um ihre Freundschaften?

Ja, ich denke schon, dass das etwas Erstrebenswertes ist. Aber ich glaube nicht, dass das mit dem Geschlecht an sich zu tun hat, sondern mit Prägung und Erziehung und Rollenbildern. Und die kann man überkommen.

Mir scheint, dass das Thema "Männer dürfen Gefühle zeigen" eigentlich schon im Mainstream angekommen ist, sich das Verhalten von Männern dem aber nicht wirklich anpasst. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Ich glaube, es braucht für so einen Wandel immer Zeit. Der Moment, wenn es im Mainstream angekommen ist, ist ja nicht gleichbedeutend mit dem Moment, in dem es alle begriffen haben. Wir haben ja auch ganz rückläufige Beobachtungen, auf Social Media insbesondere, was das Thema angeht. Ich glaube nicht, dass das alles schon Konsens ist.

Und wie kann man das ändern?

Indem man darüber spricht und diskutiert und zuhört und immer wieder versucht, die Leute zu erreichen. Mit ein bisschen Glück führt das bei ein, zwei Männern zu Denkanstössen, dass es ihnen gar nicht gut geht mit dem, was sie da leben.

Kennen Sie Momente, in denen Sie sich wünschen, Sie wären schon weiter?

Ja, bei der Erziehung meiner Kinder, da renne ich häufig noch gegen die Wand der eigenen Prägung. Da würde ich mir natürlich schon wünschen, dass ich weiter wäre und mir das nicht mehr passiert in Alltagssituationen.

Im Familienkontext denke ich oft, ich bin der Mann, ich muss immer eine Antwort haben und wenn ich nicht weiter weiss, dann darf ich das nicht zeigen.

Sebastian Tigges

Tigges: "Im Familienkontext denke ich oft, ich bin der Mann"

Wie können Frauen dabei helfen?

Es ist nicht die Aufgabe der Frauen, dafür zu sorgen, dass Männer emotional intelligenter werden. Da müssen die Männer schon selbst in Verantwortung gehen. Aber mit Sicherheit kann man versuchen, seinen Partner wohlwollend gegenüber zu treten, wenn er die Bereitschaft zeigt, an sich zu arbeiten.

Welche Sprüche und Verhaltensweisen nerven Sie am meisten? Vielleicht an sich selbst, vielleicht an der Bro-Kultur?

Ich habe viele Verhaltensweisen, die ich immer noch nicht abgelegt habe. Im Familienkontext denke ich oft, ich bin der Mann, ich muss immer eine Antwort haben und wenn ich nicht weiter weiss, dann darf ich das nicht zeigen.

Und bei anderen Männern?

Wenn da so eine Gruppe heterosexueller Männer ist, die vielleicht auch noch mit Alkohol intoxikiert ist - da habe ich auch als grosser, weisser, erwachsener Mann Angst. Das sind Gefahrenmomente, die nur von Männern ausgehen und das nervt schon. Aber es gibt auch ganz viele Ebenen, in denen es viel schwerer ist, sich von dieser Kultur abzugrenzen.

Haben Sie ein Beispiel?

Als ich noch als Anwalt gearbeitet habe, da kam es im Büro tagtäglich zu irgendwelchen misogynen Sprüchen. Und ich bin damals nicht aufgestanden und habe gesagt: "Hört mal, Leute, so geht das aber nicht." Das habe ich einfach nicht gemacht. Aber wenn man Verantwortung übernehmen will, muss man genau in diesen Momenten, wo es unangenehm ist, aufstehen und seinen Senf dazu geben.

Sebastian Tigges hatte Depressionen

Warum braucht es für Männer so oft erst ein Kind, damit sie darauf kommen?

Das ist eine verdammt gute Frage, die ich mir auch schon öfter gestellt habe. Für mich war die Geburt meines Sohnes eine sehr einschneidende Erfahrung, nach der ich alle "Werte", die ich so hatte, hinterfragt habe. In der Elternzeit habe ich gemerkt, wie klein diese "Werte" auf einmal im Vergleich sind zu allem anderen, was jetzt in meinem Leben neu dazugekommen ist.

Dann war die Geburt Ihres Kindes der Moment, in dem Ihnen klar wurde, dass sich etwas ändern muss?

Es war nicht die Geburt meines Sohnes, aber die Zeit danach, die ich sehr intensiv erlebt habe. Ich bin in die Depression gerutscht und auf dem Tiefpunkt dieser Depression habe ich gewusst: So geht's nicht weiter. Irgendwas muss jetzt passieren.

Und Sie meinen, die Depression hatte damit zu tun, dass Sie Ihre Gefühle nicht so gut teilen konnten?

Ja, auf jeden Fall. Ich dachte immer: "Wieso krieg ich das nicht hin? Alle anderen kriegen das auch hin." Wenn ich mich damals besser hätte mitteilen können, wäre ich wahrscheinlich besser durch diese Zeit gekommen, vielleicht sogar ohne Depression.

Tigges: "Gefühle benennen ist ein Lifehack"

Meinen Sie denn, es gab auch eine Öffnung bei Ihren männlichen Freunden, dadurch, dass Sie sich geöffnet haben?

Wenn meine männlichen Freunde Bedarf haben an einem Gespräch, was eher auf einer emotionalen Ebene basiert, dann kommen die damit gerne zu mir, weil ich dafür offen bin. Zum einen freut mich das natürlich und zum anderen ist das auch ein ziemlich schlechtes Zeichen. Das sind teilweise Männer, die sich nicht mal ihren Partnerinnen gegenüber so öffnen wollen oder können.

Was war die grösste Erkenntnis aus Ihrer ersten Podcast-Folge mit dem Psychologen Lukas Klaschinski?

Wofür Lukas steht, ist diese Gefühlsbereitschaft, die das Leben bereichern kann. Das ist wirklich ein kleiner Lifehack: Gefühle erkennen, benennen und durchleben. Das ist in meiner Erfahrung wesentlich wohltuender, als unbewusst immer über sie hinwegzugehen, sie zu überspielen, wegzuschieben oder mit irgendeinem Verhalten zu kompensieren.

Tigges: "Männer sagen 'Schwamm drüber' und gehen ein Bier trinken"

Und um in diesem Gespräch nicht nur Männer-Bashing zu betreiben: Was ist denn so richtig gut am Mannsein?

Das ist nicht so leicht zu beantworten.

Oder an Männer-Freundschaften?

Da hab ich auch nur Klischees zu bedienen: Männer verzeihen sich eher und so. Aber das ist Quatsch. Männer reden einfach nicht über die Verletzungen, die sie sich gegenseitig zufügen, sagen "Schwamm drüber" und gehen ein Bier trinken. (mia/spot)

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