In Frankreich ist eine Regierung gescheitert. Mal wieder. So langsam dürften Emmanuel Macron die Premierminister ausgehen. Beeilen muss er sich dennoch. Eine neue Protestbewegung steht bereits in den Startlöchern.
Am Montagabend kam es, wie es kommen musste: Frankreichs Premier François Bayrou hat die Vertrauensabstimmung im Streit um die Haushaltsplanung politisch nicht überlebt. Die Mitte-Rechts-Minderheitsregierung ist damit gescheitert. Präsident
Seit seiner Wiederwahl 2022 hat Macron drei Premierminister und eine Premierministerin ernannt. Niemand hat lange in der Position bestanden. Nun gilt das nach nur knapp neun Monaten auch für Bayrou.
Der Auftritt des 74-jährigen Zentrumspolitikers in der Nationalversammlung war somit gleichzeitig ein Abschied. "Ihr habt das Recht, diese Regierung zu stürzen, aber ihr könnt die Realität nicht wegwischen", sagte er während seiner 40-minütigen Rede in Richtung Opposition. Das Land, warnte er, stehe am Abgrund.
Bayrou: Ein Abgang aus freien Stücken
Über Bayrous Motivation, die Vertrauensabstimmung zu erzwingen, wurde viel spekuliert. Fast niemand hatte erwartet, das er diese überstehen würde. "Eine Erklärung ist, dass Bayrou nicht wie sein Vorgänger aus dem Amt gejagt werden wollte, sondern lieber aus freien Stücken gehen wollte. Michel Barnier war nach nur wenigen Monaten am Haushaltsgesetz gescheitert. Eine andere Lesart ist, dass Bayrou sich bereits für die Präsidentschaftswahl 2027 positionieren möchte", sagt Stefan Seidendorf, Vize-Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg im Interview mit unserer Redaktion. Für den Zentristen selbst könnte es klüger erscheinen, mit einer Warnung abzutreten, um sich später als Kandidat der Mitte in Stellung zu bringen.
Unabhängig von den Beweggründen: Frankreich steckt jetzt erneut in einer Regierungskrise. Und Emmanuel Macron ist unter Zugzwang. Auch wenn sein eigener Posten nicht von dem Misstrauensvotum abhängt, schwächt ihn der Ausgang politisch. Die Oppositionen und neue Protestbewegungen treiben ihn zunehmend vor sich her.
Macron will sein Amt "bis zum Ende ausüben"
Seit der vorgezogenen Neuwahl 2024 sind die Mehrheitsverhältnisse im Parlament unklar, Kompromisse kaum erreichbar. Manchen Beobachtern gilt Frankreich mittlerweile gar als unregierbar.
In dieser Gemengelage obliegt es dem französischen Präsidenten, einen Notausgang zu finden. Für das Land, und für sich. "Macron hat angekündigt, dass er sehr schnell einen neuen Premierminister ernennen möchte, dafür braucht er keine Mehrheit im Parlament. Bis dahin wird die jetzige Regierung geschäftsführend im Amt bleiben. Eine Möglichkeit, die noch offen steht, ist, dass Macron wieder Neuwahlen ausruft", sagt Seidendorf.
Doch deren Ergebnis dürfte kaum anders ausfallen als im Vorjahr: drei grosse Blöcke – rechts, links-grün und das Regierungslager – ohne klare Mehrheiten. Dass Macron selbst zurücktritt, gilt als äusserst unwahrscheinlich. Seidendorf: "Er sieht sich als Bollwerk gegen das Chaos."
Beim deutsch-französischen Ministerrat in Toulon hatte Macron zudem angekündigt, sein Mandat "bis zum Ende auszuüben". Als potenzielle Nachfolge für François Bayrou werden Verteidigungsminister Sébastien Lecornu, ein enger Vertrauter von Macron, Finanzminister Éric Lombard und Gesundheitsministerin Catherine Vautrin gehandelt. Aktuell ist jedoch noch alles offen. Und auch für die genannten Kandidaten dürfte es schwierig werden, eine stabile Mehrheit hinter sich zu vereinen.
Frankreich-Experte Seidendorf sieht in der Dauerkrise ein tiefer liegendes Problem: das politische System selbst. Die Fünfte Republik sei stärker als das deutsche System auf Konfrontation angelegt. Koalitionen nicht zwingend vorgesehen. "So wie die Polarisierung zwischen den politischen Extremen gerade ist, kommt beides zusammen: Die Nationalversammlung sucht keine pragmatischen Kompromisse, und der Präsident hat keine Mehrheit", so Seidendorf.
Diskutiert werde daher, ob sich angesichts der Aneinanderreihungen gescheiterter Regierungen das System der Fünften Republik in seiner jetzigen Form selbst überlebt habe.
Frankreich mit Schuldenberg: Neue Protestbewegung in Frankreich in den Startlöchern
Hinzu kommt die angespannte wirtschaftliche Situation. Frankreich ist hoch verschuldet, die Quote liegt bei 114 Prozent der Wirtschaftsleistung. Diesen Freitag dürfte die Ratingagentur Fitch die Kreditwürdigkeit des Landes weiter herab stufen, wie unter anderem "Investment Week" berichtet. Eine anhaltende politische Krise droht die finanzielle Notlage weiter zu verschlechtern. Wirtschaftsvertreter warnen laut tagesschau.de schon vor einer drohenden Rezession.
Aufgrund dieser finanziellen Notlage war Bayrou mit einem Haushaltsplan für 2026 vorgeprescht. Insgesamt sollten rund 44 Milliarden Euro eingespart werden. Bei der Opposition und bei den Bürgerinnen und Bürgern kam das schlecht an. "Die vorgeschlagenen Sparmassnahmen von Bayrou waren immens. Hinzu kam, dass unklar blieb, wie durch diese Massnahmen der Haushalt konsolidiert werden soll", sagt dazu Seidendorf.
Als Reaktion darauf gründete sich in Frankreich eine neue Protestbewegung. "Bloquons tout" hat im September zu einer Blockade des Landes aufgerufen und weckt Erinnerungen an die Gelbwesten. Der Druck auf Macron, schnell zu reagieren, kommt also auch von der Strasse. Typisch für Frankreich, das in seiner Geschichte zahlreiche, teils heftige, Proteste erlebt hat.
"Die neue Bewegung, im Internet organisiert, ohne Hierarchien, ist schwer einschätzbar. Bislang sind keine konkreten Forderungen bekannt, ausser, dass sie alles blockieren wollen", so der Politikwissenschaftler Seidendorf. Die Frage sei, ob diese Bewegung breit von den Gewerkschaften und den Schüler- und Studierendenverbänden aufgegriffen wird. Stand jetzt planen die Gewerkschaften selbst einen Generalstreik am 18. September.
Für Seidendorf ein Zeichen, das in Frankreich ein "heisser Herbst" bevorstehen könnte. Und für Macron eine Frist: Sollte er bis dahin keine Lösung parat haben, dürfte der französische Präsident weiter unter Druck geraten.
Ein Rückschlag auch für die deutsch-französische Achse
Auch für Deutschland ist das Misstrauensvotum ein Rückschlag. Kein anderes europäisches Land ist für Berlin als Partner so wichtig wie Frankreich. Erst beim Ministerrat in Toulon hatten beide Seiten betont, neue Dynamik in die bilateralen Beziehungen bringen zu wollen und trotz aller Krisen Optimismus ausgestrahlt.
Bundeswirtschaftsministerin Katherine Reiche (CDU) sprach im Vorfeld gar von einem "Neustart", so unter anderem ZDFheute. Nun droht dieser Schwung durch den Regierungswechsel in Paris zu verpuffen.
Zum Gesprächspartner
- Stefan Seidendorf ist Vize-Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg und studierter Politikwissenschaftler und Historiker. Seine Themen sind unter anderem die deutsch-französischen Beziehungen und der europäische Integrationsprozess.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Stefen Seidendorf
- ZDFheute: Deutsch-französischer Ministerrat gestartet
- Tagesschau.de: Warnung vor Rezession in Frankreich
- Investment Week: Herabstufung durch Fitch als mögliche Realität: Frankreichs ökonomische Herausforderungen