Angriffe durch GPS-Jamming und -Spoofing nehmen rasant zu und bedrohen Flugverkehr sowie wichtige Infrastrukturen. Besonders im Ostseeraum kommt es immer wieder zu gezielten Störattacken aus Russland und Belarus.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Tim Frische sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es sind beunruhigende Zahlen, die die schwedische Transportbehörde Anfang September veröffentlicht hat: Von Jahresbeginn bis zum 28. August wurden 733 Störangriffe auf satellitengestützte Navigationssysteme von Flugzeugen – darunter auch GPS – registriert. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2023 waren es lediglich 55 Fälle. Laut dem "Spiegel" teilte die dänische Transportbehörde der Nachrichtenagentur Ritzau mit, dass vor zwei Jahren noch ein bis zwei Fälle von sogenanntem GPS-Jamming pro Monat gemeldet wurden. Inzwischen hat sich die Zahl auf rund zwei Vorfälle pro Woche erhöht.

Jamming und Spoofing: Wie GPS angegriffen wird

Beim Jamming wird ein Störsignal gesendet, das das Empfangsgerät daran hindert, die richtigen Satellitensignale zu empfangen. Dadurch kann keine Positionsbestimmung erfolgen, und das Gerät kann seinen eigenen Standort nicht ermitteln – die GPS-Funktion wird praktisch blockiert. Noch gefährlicher ist das Spoofing: Dabei werden gezielt Signale ausgesendet, die die Satellitensignale imitieren. Das Empfangsgerät erhält dadurch falsche Positionsdaten. Es zeigt zwar eine Position an, diese entspricht jedoch nicht dem tatsächlichen Standort. Auch die angezeigte Uhrzeit kann dabei falsch sein.

"Dass Angriffe auf GPS-Systeme stattfinden, ist angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen wenig überraschend", sagt Informatik-Professorin Dr. Christina Pöpper. Die Expertin denkt dabei insbesondere an den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. "Es ist nur logisch, dass alle verfügbaren Mittel eingesetzt werden, um andere Länder oder Systeme zu beeinflussen."

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs setzt Russland GPS-Jamming vor allem zur Abwehr von Drohnen ein. Dabei kommt es jedoch auch unter anderem zu Störungen von Flugzeugen und Schiffen. Laut Luftfahrtexperte Heinrich Grossbongardt, der bei "ZDFheute" ausführlich zu Jamming und Spoofing befragt wurde, gibt es zudem gezielte Störattacken durch Schiffe in der Ostsee und im Schwarzen Meer. Er erklärt, dass diese Störungen über grosse Entfernungen erfolgen und die Störsender in der Regel nicht lokalisierbar sind.

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Massiver Anstieg von GPS-Störungen

Zahlen verdeutlichen den Anstieg der GPS-Störungen: Während 2018 im gesamten Ostseeraum noch weniger als 100 Vorfälle gemeldet wurden, waren es 2024 nach Angaben der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) bereits weit über 10.000, wie "Deutschlandfunk" berichtet.

Besonders betroffen sind die Grenzregionen zum russischen Kernland sowie der Exklave Kaliningrad: Litauen, Lettland, Estland, Finnland und Polen. "Wir sehen den Trend, dass Russland wesentlich mehr in diese Aktivität investiert", zitiert "Politico" den litauischen EU-Botschafter Nerijus Aleksiejunas. Laut "Euronews" berichten europäische Minister in einem Schreiben im Mai 2025, dass im Ostseeraum seit 2022 GPS-Jamming und -Spoofing beobachtet wird, vor allem aus Russland und Belarus, und dass die Störungen bei Flugzeugen seit August 2024 drastisch zunehmen.

GPS ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken

Eine von "Politico" erstellte Grafik, basierend auf Daten der litauischen Kommunikationsregulierungsbehörde RRT, zeigt, dass zwischen Oktober 2024 und August 2025 zahlreiche Flugzeuge stark von GPS-Störungen betroffen waren – zuletzt teils mehr als 1.000 Maschinen, in Polen im Juni sogar über 3.000. Litauens Aussenminister Kestutis Budrys betont, dass es sich um systematische und fortlaufende Aktionen Russlands handelt, die nicht nur ein Risiko für den zivilen Luft-, See- und Landverkehr darstellen, sondern auch zentrale Infrastrukturen gefährden.

GPS ist heutzutage nicht nur für die Luftfahrt unverzichtbar, sondern unterstützt zudem Verkehr, Landwirtschaft, Bauwesen, Rettungsdienste sowie Telekommunikations- und Energienetze. Ausserdem findet es in der Wissenschaft und im Alltag vielfältige Anwendung.

Warum GPS anfällig ist

Das Problem: GPS ist ein offenes System, daher ist es relativ einfach, Einfluss mit Störsignalen zu nehmen. "Um GPS-Signale zu stören oder zu fälschen, benötigt man ein Sendegerät, das Signale im Gigahertz-Bereich auf derselben Frequenz wie GPS übertragen kann", erklärt Prof. Dr. Christina Pöpper. Technisch ist das nicht besonders schwierig, da entsprechendes Equipment relativ leicht verfügbar ist.

In Deutschland ist der Einsatz solcher Geräte für Privatpersonen verboten, in anderen Ländern, vor allem ausserhalb Europas, jedoch frei möglich. Die Effektivität hängt von der Signalstärke ab: "GPS-Signale der Satelliten sind sehr schwach, da sie grosse Entfernungen zurücklegen müssen. Ein Stör- oder Spoofing-Signal muss daher am Empfangsgerät stärker sein als das Originalsignal, um Wirkung zu zeigen."

Vorfall bei von-der-Leyen-Flug sorgt für Aufruhr

Medienwirksam war jüngst ein Vorfall rund um einen Flug, in dem sich unter anderem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen befand. Die Chartermaschine war am 31. August auf dem Weg von Warschau nach Plowdiw und soll kurz vor der Landung in der bulgarischen Stadt Ziel einer mutmasslich russischen Störattacke gewesen sein. Tatsächlich zeigt der Flug-Tracking-Dienst "Flightradar24" aber, dass die GPS-Verbindung während des Fluges stabil war und die Maschine anders als zunächst berichtet nur wenige Minuten Verspätung hatte. Der Vorfall verdeutlicht jedoch die allgegenwärtige Sorge vor russischen GPS-Jamming- und -Spoofing-Attacken.

Zusätzliche Navigationssysteme mindern die Gefahr

Eine absolute Sicherheit gegen Störattacken gibt es nicht, erklärt Prof. Dr. Christina Pöpper: "Wenn man ausreichend starke Signale auf dem GPS-Frequenzbereich einspeist, kann die GPS-Lokalisierung grundsätzlich immer gestört werden. GPS funktioniert nur, wenn Signale von mindestens vier Satelliten empfangen werden. Werden diese Signale durch ausreichend starkes Jamming unterdrückt, kann die Positionsbestimmung immer beeinträchtigt werden."

Für zivile Flugzeuge besteht jedoch meist keine akute Gefahr. "Entscheidend ist, um welche Art von Flugzeugen es sich handelt und welche alternativen Navigationsmethoden zur Verfügung stehen", betont die Expertin. Piloten können bei Problemen die Landung beispielsweise über das Instrument Landing System (ILS) durchführen.

Empfehlungen der Redaktion

Während Drohnen durch GPS-Jamming leicht fehlgeleitet oder zum Absturz gebracht werden können, verfügen grössere kommerzielle und militärische Flugzeuge über zusätzliche Navigationssysteme – die jedoch ebenfalls gefährdet sind, wenn Systeme wie Radar gezielt gestört werden.

Zur Gesprächspartnerin:

  • Prof. Dr. Christina Pöpper ist Professorin für Informatik an der New York University Abu Dhabi (NYUAD) mit Schwerpunkt auf Informations- und Kommunikationssicherheit. Sie leitet das Cyber Security & Privacy Lab und ist Forschungsdirektorin am Center for Cyber Security der NYUAD. Ihr Forschungsziel ist es, die Sicherheit und den Datenschutz aktueller und zukünftiger IT- und Kommunikationssysteme besser zu verstehen und zu verbessern.

Verwendete Quellen: