Macron warnt vor einer "russischen Geheimarmee" in Europa – gemeint sind digitale Bots, die gezielt Desinformation verbreiten. Russland sei neben Terrorismus die grösste Bedrohung für die Demokratien, so der Präsident.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat vor der Ausbreitung "der russischen Geheimarmee in unseren Demokratien" gewarnt. "Sie besteht aus diesen kleinen, gesichtslosen Kriegern, die man digitale Bots nennt", sagte Macron in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Neben dem Terrorismus sei Russland "die grösste strukturelle Bedrohung für die Europäer".

Russland sei unterschätzt worden

"Lange Zeit haben wir Russland unterschätzt", erklärte Macron. "Man wechselt nicht mehr über Nacht vom Friedenszustand in den Kriegszustand. Wir befinden uns dauerhaft in einer Konfrontation", fügte er hinzu und verwies auf Cyberattacken, die Ermordung von Oppositionellen und Migrationsbewegungen, die als Druckmittel eingesetzt werden. "Russland testet unsere Luftabwehr und hat seine Nukleardoktrin geändert", betonte Macron.

Es werde unterschätzt, "wie sehr die Russen unsere öffentliche Meinung durch die Verbreitung von Unwahrheiten beeinflussen, bis hin zu den Geschichten über eine Bettwanzenplage in Frankreich". Die offenen westlichen Gesellschaften seien anfällig für Informationskriege. "Wir sind naiv, wenn wir verkennen, dass sich die russische Geheimarmee in unseren Demokratien ausbreitet", sagte Macron.

Die Frage, ob ein russisches Kampfflugzeug, das ohne Genehmigung in den europäischen Luftraum eindringt, abgeschossen werden sollte, liess Macron offen. "Gemäss der Doktrin der strategischen Ambiguität kann ich Ihnen sagen, dass nichts ausgeschlossen ist", erklärte er. Kreml-Chef Wladimir Putin müsse in Unsicherheit gewogen werden.

Überarbeitung französischer Nuklearstrategie

Macron bekräftigte, dass er die französiche Nuklearstrategie überarbeiten wolle. Er wolle "den strategischen Dialog mit den Europäern, die dies wünschen, weiter vertiefen", sagte er und kündigte eine Grundsatzrede zu dem Thema Anfang 2026 an.

Der französische Präsident zeigte sich weiterhin überzeugt, dass Deutschland bereit sei, "sich gemeinsam für die Ukraine zu verschulden". Er leitete dies aus dem Vorhaben ab, eingefrorene russische Vermögenswerte als Sicherheit für die anhaltende Unterstützung der Ukraine zu nutzen.

Den deutsch-französischen Dauerkonflikt um Atomenergie hält Macron für beendet. Atomenergie sei eine nötige Ergänzung zu erneuerbaren Ernergien, die nur zeitweise verfügbar seien. "Das Glück Deutschlands und Europas besteht darin, dass Frankreich CO2-freie Energie produziert", betonte Macron. Frankreich habe im vergangenen Jahr viel Atomenergie nach Deutschland exportiert.

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Auf die schleppende Regierungsbildung im eigenen Land angesprochen verwies Macron auf einen anhaltenden Lernprozess. "Wir lernen gerade, was Sie besser kennen als wir: Koalitionen zu bilden und zwischen den parlamentarischen Kräften zu verhandeln", sagte er. Kompromisse seien "lange nicht Teil unserer politischen Kultur" gewesen, räumte er ein. (afp/bearbeitet von skr)