Bei einem Gipfeltreffen zwischen europäischen Spitzenpolitiker, Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump sollte ein gemeinsamer Weg zum Ende des Ukraine-Kriegs ausgelotet werden. Der US-Kenner und Historiker Mischa Honeck ordnet ein, wie weit das gelungen ist.
Herr Honeck, die Erwartungen an das Treffen in Washington waren gross. Wie bedeutend war es nun tatsächlich?
Prof. Dr. Mischa Honeck: Es war eine wichtige Zwischenetappe in einem Prozess, dessen Ausgang noch völlig ungewiss ist. Es gibt eine neue Dynamik, allerdings auch viel Bauchpinselei seitens der Europäer, um dem bekannten grossen Ego
Warum?
Die Nationalgarde verbreitet in der US-Hauptstadt Angst und Schrecken. Trump tritt als Friedensstifter auf, während er die innenpolitische Auseinandersetzung in den USA zusehends militarisiert.
Was waren bei dem gestrigen Treffen die wichtigsten Ergebnisse?
Ein Eklat wurde verhindert. Denn beim letzten Treffen zwischen Trump und Selenskyj erlebten wir ein Trauerspiel im Oval Office, als der ukrainische Präsident vor aller Welt fertig gemacht wurde. Ich glaube aber, dass wir einem Frieden nicht wirklich nähergekommen sind. Denn es ist noch immer kein Ziel- oder Fluchtpunkt erkennbar. Es sieht sehr nach Aktionismus aus.
Beim Treffen mit Putin hat Trump ihm applaudiert und den roten Teppich ausgerollt. Ist es den Europäern gelungen, diese Putin-Euphorie bei Trump wieder etwas zu dämpfen?
Das ist bei Trump alles sehr tagesaktuell. Wir erleben momentan eine historische Verschiebung: die Europäer werden vom Subjekt zum Objekt der grossen Weltmachtpolitik. Trump versteht sich dabei nicht mehr als "primus inter pares" (Anm. d. Red. zu Deutsch etwa: der Erste unter Gleichen) des Westens, sondern als über der Allianz stehender Macher. Im letzten Jahrhundert haben Länder wie Frankreich und England noch in der ersten Liga der globalen Politik gespielt – jetzt geht es nur noch um Schadensbegrenzung. Trump ist dabei ein autoritärer Opportunist.
Europa bleibt also auch nach diesem Treffen am Katzentisch sitzen?
Zumindest kommen wir immer mehr dahin, dass Grossmächte zu Lasten kleinerer Länder Politik machen. Trump hat traditionell vor der Europäischen Union relativ wenig Respekt, trotz aller Bekundungen gestern vor den Kameras. Trump lebt in einer Welt der Nationalstaaten, mit einem "Winner-Takes-All-Prinzip". Der Kleine muss sich da mit den Krümeln zufriedengeben, die ihm die Grossen übriglassen.
Ist man bei den gestrigen Treffen in puncto Sicherheitsgarantien weitergekommen?
Das scheint mir alles eher wie vage Absichtsbekundungen. Dahinter kann sich eine Menge verstecken – von Militärberatern, die ukrainischer Soldaten in der Ukraine ausbilden, bis zur Präsenz von europäischen und vielleicht auch amerikanischen Soldaten. Das bewertet Russland jedoch als feindseligen Akt. Mich beunruhigt jedoch die Äquidistanz, die Trump zwischen Russland und der Ukraine einnimmt.
Was meinen Sie damit?
Trump sagt quasi: "Ich liebe sie alle, ich liebe die Russen, ich liebe die Ukrainer. Und ich bin derjenige, der einen magischen Deal hervorzaubert." Das spielt Putin in die Karten. Es gab bereits im Zuge des Budapester Memorandums von 1994 Sicherheitsgarantien für die Ukraine.
Damals bekam unter anderem die Ukraine Sicherheitsgarantien, musste aber im Gegenzug Atomwaffen abgeben, die sie von der Sowjetunion geerbt hatte. Die USA, Grossbritannien und Russland garantierten im Gegenzug die Sicherheit und Souveränität der Ukraine.
Genau, und trotzdem wird heute die Souveränität der Ukraine mit Füssen getreten. Ich habe manchmal den Eindruck, es scheint Trump mehr um den Friedensnobelpreis zu gehen als um den Frieden.
Trump macht sozusagen "Weltinnenpolitik" – Aussenpolitik ist für ihn immer auch Innenpolitik.
Falls dem so ist: Wie lange reicht Trumps Geduld dann noch für den Friedensprozess?
Solange es ihm nützt. Solange wir über die Ukraine und Russland und einen komplizierten Konflikt sprechen, reden wir nicht über Trumps autoritären Umbau der USA weg von einer Demokratie hin in Richtung einer quasi diktatorischen, autoritären Herrschaft. Trump macht sozusagen "Weltinnenpolitik" – Aussenpolitik ist für ihn immer auch Innenpolitik.
Die Europäer pochen auf einen Waffenstillstand, Trump will lieber einen direkten Friedensvertrag. Warum?
Putin hat ihm sehr deutlich gemacht, dass er an einem Waffenstillstand nicht interessiert ist. Der russische Herrscher favorisiert eine Friedenslösung, die einem sehr fundamentalen Umbau der Sicherheitsarchitektur in Europa gleichkommt. Er will die USA als wichtige Macht aus Europa herausdrängen. Ausserdem will Trump in die Champions League der grossen Friedensstifter der Weltgeschichte eingehen.
Die Idee von Trump, Konflikte mit einem Deal zu lösen, bleibt realitätsfremd.
Welche Rolle hat Friedrich Merz in Washington übernommen? Von ihm kamen eher harte Worte.
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Ich denke, dass es im Vorfeld unterhalb der europäischen Staatschefs Absprachen gegeben hat. Merz hat deutlich gemacht, dass es ohne Waffenruhe eigentlich gar keinen Anlass gibt, sich weiter zu treffen. Das war aber kein Alleingang, er hat damit eine Position zum Ausdruck gebracht, die die Europäer teilen.
Ihr Blick insgesamt auf die Treffen?
Schöne Fernsehbilder, aber wir dürfen unsere Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Das ist ein Konflikt, der militärisch noch lange nicht am Ende ist. Putin sieht sich momentan im Vorteil und wird weiter auf Zeit spielen. Die Idee von Trump, Konflikte mit einem Deal zu lösen, bleibt realitätsfremd. Es kann sein, dass er irgendwann genug davon hat, wenn es ihm politisch nichts mehr nützt, und dann sagt: "Ich habe alles versucht, dann sollen doch die Europäer selbst die Suppe auslöffeln."
Über den Experten:
- Prof. Dr. Mischa Honeck lehrt die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika an der Universität Kassel. Er forscht an den Schnittstellen zwischen globaler und nationaler Geschichte. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen die vielfältigen – oft ungleichen – Wechselbeziehungen von Menschen, Ideen und Waren aus Nordamerika und anderen Teilen der Welt.