Selenskyj sieht keine Perspektive für Verhandlungen mit der aktuellen russischen Delegation – Friedensgespräche hält er nur auf höchster Ebene für sinnvoll. Zugleich verstärken Deutschland, die Niederlande und weitere Länder ihre militärische Unterstützung für die Ukraine, um deren Verteidigungsfähigkeit weiter auszubauen.

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist der Ansicht, dass eine Fortsetzung der Gespräche seines Landes mit Russland in Istanbul mit den aktuellen Delegationen "keinen Sinn" ergeben würde. Er glaube, dass Russland bereit sei, weitere Gefangene auszutauschen, sagte Selenskyj am Mittwoch in Kiew. Aber die aktuelle russische Delegation habe nicht die Befugnisse, eine Waffenruhe zu verhandeln und beschliessen.

"Die diplomatischen Treffen in Istanbul auf einer Ebene fortzusetzen, auf der nichts beschlossen werden kann, ergibt keinen Sinn", sagte Selenskyj. Er sei "jederzeit" zu einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, US-Präsident Donald Trump und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bereit, um Friedensgespräche mit Moskau voranzubringen, setzte er hinzu.

In Istanbul hatten am Montag zum zweiten Mal seit Mitte Mai Unterhändler der Ukraine und Russlands beraten. Sie vereinbarten zwar einen neuerlichen Gefangenenaustausch, konnten sich aber nicht auf eine Waffenruhe einigen.

Neuer Anlauf für Verstärkung der Luftabwehr

Bei einem Treffen der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe am Mittwoch in Brüssel kündigte Verteidigungsminister Boris Pistorius derweil an, einen neuen Anlauf für die internationale Verstärkung und Aufrechterhaltung der ukrainischen Flugabwehr unternehmen zu wollen. Dazu solle eine multinationale Initiative ("Immediate Action on Air Defense") neu aufgelegt werden, sagte der SPD-Politiker in Brüssel.

Er kündigte auch an, dass die Gruppe der Unterstützer für den Ausbau der Fähigkeiten zum elektromagnetischen Kampf wachsen werde. Belgien, Estland, Italien, Schweden und die Türkei wollten sich der Initiative anschliessen. Dabei geht es um die Sicherstellung der ukrainischen Kommunikation, die Aufklärung und Störung der russischen Kommunikation sowie die Drohnenabwehr.

"Es ist offensichtlich, jeden Tag: Russland greift die Ukraine weiterhin massiv aus der Luft an, die Zahl der Drohnenangriffe und der Angriffe mit Marschflugkörpern ist immens. Immer wieder, jeden Tag sterben unschuldige Ukrainerinnen und Ukrainer bei diesen Angriffen oder werden verletzt", sagte Pistorius.

Pistorius nennt Angriff auf Militärflughäfen spektakulären Schlag

Er bezeichnete die jüngsten Drohnenangriffe der Ukraine mit der Zerstörung russischer Militärflugzeuge weit im russischen Hinterland als spektakulären Schlag, wie auch den Angriff auf die Krim-Brücke. Dies zeige: "Die Ukraine gibt nicht auf."

Die Verteidigungsminister aus Deutschland, Grossbritannien und zahlreichen anderen Staaten wollen weitere Militärhilfen für die von Russland angegriffene Ukraine koordinieren. Zu dem Treffen ist auch der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow angereist.

Gruppe von USA gegründet

Die Ukraine-Kontaktgruppe war im April 2022 vom damaligen US-Verteidigungsminister Lloyd Austin ins Leben gerufen worden, um die Hilfen für die Ukraine zu koordinieren. Nach dem Amtsantritt von Donald Trump zogen die USA sich aus der Führung des Formats zurück und kündigten keine neuen Militärhilfen für die Ukraine mehr an. Unter US-Präsident Joe Biden waren die USA der grösste Unterstützer Kiews im Kampf gegen Moskau.

Austins Nachfolger Pete Hegseth nahm am Mittwoch nicht an dem Treffen teil. Er wird für das Treffen der Nato-Verteidigungsminister am Donnerstag in Brüssel erwartet. Nato-Generalsekretär Mark Rutte bekräftigte dennoch das Bekenntnis der USA zur Ukraine. "Die USA bekennen sich voll und ganz zur Nato und zu unseren gemeinsamen Unternehmungen", sagte Rutte. "Was die Ukraine betrifft, gibt es keinen Grund, daran zu zweifeln."

Pistorius sagte, es gebe bislang "keine Anzeichen", dass der Stopp finanzieller Unterstützung Washingtons für Kiew "endgültig" sei. Sollte dies aber der Fall sein, seien die Europäer und Deutschland "bereit, hier in die Verantwortung zu gehen". Es werde sich zeigen, "was wir kompensieren können", sagte Pistorius.

Nato-Botschafter warnt vor weiterer Aufrüstung Russlands

Der US-Nato-Botschafter Matthew Whitaker warnte unterdessen, Moskau bereite bereits die nächsten Schritte vor. Der Kreml arbeite daran, sein Militär wieder aufzubauen, sagte Whitaker in Brüssel vor Journalisten. Die Nato-Verbündeten müssen Russland bei der Aufrüstung "hinter sich lassen", forderte er. "Wir haben keine andere Wahl."

In der Nato hatte es rund um Trumps Wiederwahl im November Befürchtungen gegeben, der Republikaner könnte dem transatlantischen Militärbündnis den Rücken kehren. Trump hatte den europäischen Verbündeten und Kanada im Wahlkampf mit einem Aus des Beistandspakts gedroht, wenn sie nicht genug in die eigene Verteidigung investierten.

Niederlande kündigt Rüstungslieferungen an

Die Niederlande haben bereits weitere Lieferungen von Rüstungsgütern an die Ukraine zugesagt. Verteidigungsminister Ruben Brekelmans kündigte ein neues Unterstützungspaket für die maritime Sicherheit in Höhe von 400 Millionen Euro an. Dazu gehörten Patrouillenboote, Transportboote, Abfangjäger, Spezialeinsatzfahrzeuge - "also ein breites Spektrum von mehr als 100 Schiffen", sagte der Niederländer bei einem Treffen der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe.

Darüber hinaus umfasse das Paket auch mehr als 50 Seedrohnen sowie Waffensysteme, Sensoren, Ersatzteile und Ausbildung. Es sei ein komplettes Paket zur Stärkung der maritimen Sicherheit der Ukraine. Das sei sehr wichtig, da die russischen Bedrohungen beispielsweise sowohl im Schwarzen Meer als auch rund um Cherson zunähmen. Die Niederlande lieferten der Ukraine bislang unter anderem F 16-Kampfflugzeuge sowie Artillerie, aber wenig Waffen für den Einsatz auf See.

Trotz der neuen politischen Situation in Den Haag bleibe die Position der niederländischen Regierung in Fragen der internationalen Sicherheit, der Verteidigung und der Unterstützung der Ukraine die gleiche, versicherte Brekelmans. Die Koalitionsregierung in den Niederlanden war am Dienstag im Zuge eines Streits um die Asylpolitik zerbrochen. Voraussichtlich im Herbst wird es deswegen zu einer Neuwahl kommen. (afp/dpa/bearbeitet von skr)