Der Mord an Charlie Kirk wühlt die USA auf. Seit Monaten wird das Land von politischer Gewalt heimgesucht. Droht nun ein politisches Erdbeben?
Der Tod des rechtskonservativen Aktivisten und landesweit bekannten Podcasters Charlie Kirk erschüttert die USA. Der 31-Jährige, der als
Kirk, der mit 18 Jahren die rechtskonservative Organisation "Turning Point USA" gegründet hatte, in der Folge Millionen junger Menschen erreichte und bei konservativen Medien wie "Fox News" und "Breitbart" auftrat, wurde Opfer eines politischen Mordes.
Nach dem Attentat auf Kirk wird der Ton noch viel rauer
Trump machte bereits kurz nach dem Vorfall die "radikale Linke" verantwortlich, nannte Kirk einen "Märtyrer der Wahrheit" und kündigte die Verfolgung aller Beteiligten an. Ausserdem veranlasste Trump, dass die US-Flaggen am Weissen Haus und allen öffentlichen Gebäuden der Bundesbehörden bis zum 14. September auf halbmast wehen.
Schrill waren nach der Tat die ersten Wortmeldungen aus rechten und sehr rechten Kreisen.
Ex-Trump-Berater Steve Bannon, ohnehin kein Freund der leisen Töne, schien sich gar schon im Bürgerkrieg zu wähnen, als er laut der Nachrichtenagentur "Reuters" davon sprach, dass "Charlie Kirk an der Front gestorben" sei. Matt Boyle, Autor der rechtspopulistischen bis weit rechts aussen stehenden Nachrichtenseite "Breitbart", sagte laut "Tagesschau": "In Amerika wurde eine Lunte entzündet."
Kirk kam in den sozialen Medien auf rund 30 Millionen Follower, seine Reichweite war riesig. Er hatte hunderte Aktionsgruppen an Universitäten gegründet und gerade junge Männer für die rechtspopulistischen und verschwörungstheoretischen Überzeugungen von Donald Trump mobilisiert, die sich bei der vergangenen Wahl mehrheitlich für den Republikaner entschieden haben.
Mord an Kirk reiht sich ein in Welle politischer Gewalt
Das Attentat auf Kirk reiht sich in eine Welle der politischen Gewalt ein. Allein in den ersten sechs Monaten des Jahres gab es rund 150 politisch motivierte Angriffe, wie "Reuters" berichtet. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sagte US-Forscher Mike Jensen: "Ich denke, wir sind gerade an einem sehr, sehr gefährlichen Punkt. Das könnte schnell zu weit verbreiteten Unruhen führen, wenn wir das nicht in den Griff bekommen."
Diese Gefahr sieht auch Politikwissenschaftler Tobias Fella. "In den USA ist ein Hang zum Freund-Feind-Denken verbreitet. Und wenn eine Person erst einmal als Feind gilt, ist die Anwendung von Gewalt nicht weit", sagt er.
Eine martialische Rhetorik von Gewinnen und Verlieren, von "Wir kämpfen für das Recht und die Moral, die anderen für das Unrecht und die Amoral" sei ein Teil der US-Kultur, die sich im Extremfall auch gegen die Gesundheit des politischen Gegners richten kann und schon gerichtet hat, sagt Fella.
Dabei kämen mehrere Faktoren zusammen: Beispielsweise eine zunehmend von Polarisierung und Verrohung geprägte politische Debatte und Gesellschaft, aber auch ein Land, in dem Schusswaffengewalt mehr oder minder Alltag sei.
Dass politische Gewalt ein fester Teil der US-Geschichte ist, zeigen nicht nur die Ermordung von Abraham Lincoln, John F. Kennedy und Bobby Kennedy. Erst im Juli vergangenen Jahres war bei einer Wahlkampfkundgebung in Pennsylvania auf Trump geschossen worden, im September hatte der Secret Service ein zweites Attentat auf Trump verhindert. Im Juni dieses Jahres waren die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses von Minnesota, Melissa Hortman, sowie ihr Ehemann erschossen worden. Der demokratische Senator John Hoffman und seine Frau überlebten ein Attentat schwer verletzt.
Droht den USA eine Spirale der Gewalt?
Fella sieht auch die Gefahr, dass sich die Gewalt wie in einer Spirale immer weiterdreht und schlimmer wird. Gegengewalt sei für Menschen leichter vertretbar als der erste Gewalteinsatz. So könnte sich die Situation immer weiter hochschaukeln.
Ausserdem sieht der Politikwissenschaftler, dass Kirk zu einem Märtyrer stilisiert wird. "Die USA sind eine Gesellschaft, in der häufig in religiös-mythischen Kategorien, in Gut und Böse gedacht wird, in der sich eine selbsternannte oder durch andere Personen bestimmte Heldenfigur für eine höhere Sache gewissermassen aufopfert", sagt er. Anhänger und Anhängerinnen beider Parteien seien in eigenen Wahrheitsräumen unterwegs. Das führe oft zur Dämonisierung politischer Gegner anstelle einer Debatte.
Dabei war es gerade Kirk, der sich öffentlich mit dem politischen Gegner und mit Andersdenkenden gestritten und die Debatte gesucht hatte. Auch am Tag seines Todes diskutierte er auf dem Gelände einer Universität mit seinem Publikum. Es war eines seiner Markenzeichen: Den Diskurs zu suchen, auch wenn die Meinungen himmelweit auseinanderliegen. Dass er seinen Gesprächspartner dabei auch immer wieder lächerlich machte oder gar beleidigte, tat seiner Beliebtheit keinen Abbruch.
Zur Person Charlie Kirk gehört auch, dass er haarsträubende Verschwörungsmythen verbreitet hat, etwa zum Coronavirus oder zur angeblich "gestohlenen" US-Präsidentschaftswahl 2020, als Trump gegen Biden verloren hat. Für ihn waren viele absurde Verschwörungstheorien Realität, die Zahl seiner falschen Behauptungen ist Legion. Er vertrat ein fundamental-christliches Weltbild, trat für ein konservatives Familienbild und freien Waffenbesitz ein und war damit für viele Republikaner eine Heilsfigur, für zahlreiche Demokraten das genaue Gegenteil.
Republikaner könnten Kirks Tod ausschlachten
US-Experte David Sirakov vermutet, dass die Republikaner seinen Tod jetzt für ihre Zwecke ausschlachten. Einflussreiche Akteure wie die Influencerin Laura Loomer hätten bereits ein hartes Vorgehen gegen die Linke mit voller Regierungskraft gefordert. "Zudem sehen wir den Versuch der religiösen Aufladung, wenn evangelikale Führer einen 'spirituellen Krieg' heraufbeschwören", sagt er.
Ziel sei es, die konservativen Kräfte in den USA zu mobilisieren. "Die Wahrscheinlichkeit, dass dies gelingt, ist hoch", sagt Sirakov. Die Republikaner würden Kirks Tod systematisch für Fundraising, politische Mobilisierung und möglicherweise legislative Versuche gegen die politische Opposition nutzen.
Kirks Tod als Chance für Trumps gespaltene Maga-Bewegung
Sirakov sieht im Tod von Kirk für die rechtskonservative Bewegung sogar eine Chance für neue Einigkeit. "Die rechtskonservative Maga-Bewegung in den USA ist momentan nicht so einig, wie sie es noch während der Wahlen und zu Beginn der zweiten Amtszeit Donald Trumps war", erinnert er. Die politischen Entscheidungen würden kaum Wirkungen zeigen, die Arbeitslosigkeit steige und Trump verstricke sich immer weiter in den Missbrauchsskandal um Jeffrey Epstein.
"Kirks Tod hat das Potenzial, diese Bewegung wieder zu einen. Und wir sehen das bereits jetzt. Konservative Christen interpretieren seinen Tod bereits als Martyrium", sagt Sirakov. Der Tod von Kirk könne die Streitpunkte in der Maga-Bewegung überlagern.
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Kirk, der eine entscheidende Rolle bei Trumps Wahlsieg 2024 gespielt hat, werde als "moderner Martin Luther King" bezeichnet. "Das hat historisch starke, mobilisierende Wirkung auf politische Bewegungen. Und sein Tod hat auch internationale Auswirkungen, wenn wir die Solidarisierungen von rechtspopulistischen Politikern wie Alice Weidel und Nigel Farage sehen."
Über die Gesprächspartner
- Dr. Tobias Fella ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedens- und Sicherheitsforschung an der Universität Hamburg (IFSH). Er befasst sich mit Grossmachtrivalität und den innenpolitischen Bestimmungsfaktoren von US-Aussenpolitik.
- Dr. David Sirakov ist Politikwissenschaftler und Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz.