US-Präsident Donald Trump schickt Nationalgarde und Marine nach Los Angeles – und geht damit einen offenen Konflikt mit dem Gouverneur von Kalifornien ein. Der Heidelberger Historiker und USA-Experte Manfred Berg vermutet dahinter einen grösseren Plan.
Los Angeles ist in Aufruhr. Am Wochenende demonstrierten dort Menschen gegen die Einwanderungspolitik von US-Präsident
Trump will damit angeblich die Ordnung wiederherstellen. Aber ist sein Vorgehen noch verhältnismässig? Manfred Berg, Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg, hat seine Zweifel.
Herr Berg, in Kalifornien kam es zu Ausschreitungen, nachdem die US-Regierung dort illegale Migranten deportieren wollte. Nun wurde die Nationalgarde dorthin entsandt. Ist das eine angemessene Reaktion?
Manfred Berg: Die Unruhen sind meiner Einschätzung nach nicht so intensiv, dass die lokalen Autoritäten und die Behörden des Bundesstaates damit nicht selbst zurechtkommen. Das wird sowohl von der Bürgermeisterin von Los Angeles als auch vom kalifornischen Gouverneur betont. Sie bestehen ja darauf, dass sie die Lage unter Kontrolle haben. Trump setzt sich darüber hinweg und eskaliert die Situation. Insofern halte ich es nicht für verhältnismässig.
Gouverneur Gavin Newsom spricht sogar von einem Machtmissbrauch. Beobachten wir da einen Machtkampf?
Ja, natürlich. Trump will zeigen, dass er als Präsident die Exekutivgewalt im ganzen Land hat und nach Belieben ausüben kann und dass er dazu die Nationalgarde, aber auch das reguläre Militär einsetzen kann. Das ist eine Machtdemonstration allererster Ordnung.
"Es liegt auf der Hand, dass Trump hier eine Krise inszenieren will, um seine Macht als Präsident zu demonstrieren."
Die USA sind ein föderaler Staat, die einzelnen Bundesstaaten haben eine gewisse Macht. Ist Trumps Vorgehen verfassungsrechtlich zulässig?
Es ist zumindest hochgradig umstritten. Es gibt Gesetze, die dem Präsidenten unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit zum Einsatz von Nationalgarde und Militär im Innern einräumen – etwa wenn es einen Aufstand oder Rebellionen gegen die USA gibt. Das setzt allerdings voraus, dass die Einzelstaaten gegen die Rebellion oder den Aufstand nicht vorgehen können oder wollen.
Am Ende werden die Gerichte und wahrscheinlich der Supreme Court beurteilen müssen, ob Trumps Vorgehen verfassungskonform ist. Es gab in der jüngeren Geschichte einen Fall, bei dem es durchaus angezeigt gewesen wäre, die Nationalgarde einzusetzen: als am 6. Januar 2021 ein Mob das Kapitol in Washington besetzte und die Abgeordneten des Parlaments bedrohte.
Damals weigerte sich der zu der Zeit noch amtierende US-Präsident Donald Trump zunächst, die Nationalgarde zu entsenden.
Genau. Und das zeigt: Trumps Vorgehen in dieser Sache ist nicht glaubwürdig. Es liegt auf der Hand, dass Trump hier eine Krise inszenieren will, um seine Macht als Präsident zu demonstrieren. Es scheint sogar, als ob er diese Krise und den Protest zunächst einmal selbst hervorgerufen und wahrscheinlich ganz bewusst angestachelt hat, indem er diese martialischen ICE-Kommandos (United States Immigration and Customs Enforcement, Behörde des US-Ministerium für Innere Sicherheit, Anmerkung der Redaktion) in die Einwandererviertel geschickt hat und teilweise die Leute am Arbeitsplatz hat festnehmen lassen. Das sieht sehr nach einer bewussten Eskalationsstrategie aus.
Gibt es vergleichbare Vorgänge in der US-amerikanischen Geschichte?
Es gibt natürlich die Fälle im Zusammenhang mit den sogenannten Race Riots der 1960er Jahre oder zuletzt 1992 in Los Angeles (nach dem Freispruch von vier Polizisten vom Vorwurf der Misshandlung des Afroamerikaners Rodney King, Anm. d. Red.), als auch die Nationalgarde eingesetzt wurde. In diesen Fällen geschah dies aber auf Bitten der jeweiligen Einzelstaaten.
Es gibt allerdings auch Fälle im Rahmen der Geschichte der Bürgerrechtsbewegung, bei denen der Präsident das gegen die lokalen Behörden beziehungsweise des Bundesstaates durchgesetzt hat. Präsidenten wie Dwight D. Eisenhower 1957, John F. Kennedy 1962 und Lyndon B. Johnson 1965 haben das aber getan, um Bürgerrechtler zu schützen. Dies war notwendig, weil sich die Staaten, konkret die Gouverneure, weigerten, Bürgerrechtler vor Mob-Gewalt zu schützen oder Gerichtsurteile von Bundesgerichten durchzusetzen. Das ist bei den Ausschreitungen in Kalifornien nicht der Fall. Die aktuelle Situation ist daher anders gelagert und überhaupt nicht dasselbe.
Nun sollen auch die Marines eingesetzt werden, also eine aktive Kampfeinheit. Ist das eine weitere Eskalation des Konflikts?
Das ist nicht das erste Mal, dass der aktuelle US-Präsident so agieren will. Wir erinnern uns an die "Black Lives Matter"-Proteste 2020, da hat Trump das schon einmal versucht. Damals haben sowohl der Verteidigungsminister als auch der Justizminister gesagt, sie machen nicht mit und halten das auch für unnötig.
Heute hat Trump in diesen beiden Positionen ganz offensichtlich willfährige Gefolgsleute, die ihm nicht in den Rücken fallen. Man muss sich schon klar machen, was hier passiert: Trump provoziert einen vermeintlichen Notstand, um dann seine in der Verfassung und in Gesetzen gar nicht so klar definierten Befugnisse als Oberbefehlshaber der Streitkräfte in einem solchen Notfall voll ausschöpfen zu können.
Die aktuelle Anordnung des US-Präsidenten ist nicht auf Kalifornien beschränkt, sondern gibt ihm das Recht, auch in anderen Bundesstaaten so vorzugehen. Welche Folgen könnte das für das politische System der USA haben?
Das kann erhebliche Folgen für das politische System haben. Mein Eindruck ist, dass Trump versucht, so etwas wie ein autoritäres Präsidialregime in den USA zu errichten. Er versucht, ein System zu schaffen, in dem die Macht von oben nach unten fliesst und die Gewaltenteilung – sowohl auf der vertikalen als auch auf der horizontalen Ebene – weitgehend ausgeschaltet ist. Die vertikale Ebene bilden die Bundesstaaten, die im politischen System der USA traditionell sehr stark sind und über sehr viele eigene Kompetenzen verfügen. Das passt Trump offenbar nicht, da die demokratisch regierten Staaten versuchen, seine Politik zu konterkarieren.
"Das widerspricht eigentlich den Überzeugungen seiner eigenen Partei und müsste Konsequenzen haben."
Ist der US-Präsident nicht ohnehin der mächtigste Mann im Land?
Schon, aber das politische System der USA ist eben kein Zentralstaat mit einem allmächtigen Präsidenten an der Spitze, sondern die USA bleiben nach wie vor ein föderales, ein bundesstaatliches System, in dem die Bundesstaaten weitgehend eigenständig über ihre eigenen Angelegenheiten entscheiden können.
Das wurde auch immer wieder von der Republikanischen Partei betont, die dem Zentralstaat misstraut.
Was ich mich in dem Zusammenhang mit dem Vorgehen des US-Präsidenten aktuell frage, ist, wo eigentlich die Konservativen in den USA geblieben sind, die seit Jahrzehnten immer vor der Tyrannei einer übermächtigen Bundesregierung gewarnt haben. Wir erleben gerade, wie ein Präsident, der unter dem Banner des Konservatismus ins Amt gekommen ist, genau das versucht: nämlich eine übermächtige Bundesregierung zu etablieren. Das widerspricht eigentlich den Überzeugungen seiner eigenen Partei und müsste Konsequenzen haben. Es zeigt aber auch, wie weit Trump die Regeln der amerikanischen Politik bereits verändert hat.
Über den Gesprächspartner
- Manfred Berg ist Professor für Amerikanische Geschichte am Historischen Seminar der Universität Heidelberg.