Seit Donald Trump wieder im Weissen Haus sitzt, kommen die USA nicht zur Ruhe. Mittels Dekreten krempelt der Republikaner das Land um. Der Politikwissenschaftler Lars Rensmann ist sich sicher: Geht das so weiter, ist das das Ende für die älteste Demokratie der Welt.

Ein Interview

"Abgesehen vom ersten Tag" wolle er kein Diktator sein, hatte Donald Trump im Vorfeld der US-Wahlen erklärt. Für Experten galt die Aussage als Vorgeschmack, was Amerika im Falle seiner Wiederwahl drohen könnte. Inzwischen ist der Republikaner seit mehr als acht Monaten wieder Präsident – und die Sorge um die Demokratie im Land ist deutlich gewachsen.

Tagtäglich prangert die Opposition an, dass Trumps Politik Minderheiten im Land unterdrücke und die Gewaltenteilung ignoriere. Von einer "Aushöhlung grundlegender Prinzipien", die "die Freiheiten aller Amerikaner" gefährde, warnte etwa Ex-Präsident Barack Obama.

Auch zahlreiche Wissenschaftler sehen die Demokratie in den USA in Gefahr. Lars Rensmann ist einer von ihnen. Der Politikwissenschaftler forscht an der Universität Passau zur Krise von Demokratien – und mit Blick auf die USA läuten bei ihm alle Alarmglocken.

Herr Rensmann, offiziell sind die USA eine Demokratie. Doch seit Monaten streiten sich die Experten, ob sie unter Trump nicht eher zu einer Oligarchie, Autokratie, Kleptokratie oder sogar schon zur Diktatur geworden sind. Warum ist es so schwer, den politischen Ist-Zustand Amerikas zu benennen?

Lars Rensmann: In der Forschung wird der Zustand einer Demokratie anhand von verschiedenen Indikatoren eingeschätzt. Organisationen wie "Freedom House" messen etwa, wie es um die Demokratie und die Rechte der Bürgerinnen und Bürger steht. Nur gibt es in den USA diesbezüglich derzeit wahnsinnig viel Bewegung. Eine exakte Lagebestimmung ist schwierig, wenn sich der Untersuchungsgegenstand rapide verändert.

Und worin ist man sich in der Forschung einig?

Dass es seit dem Beginn von Trumps zweiter Amtszeit mit der Demokratie in den USA auf allen Ebenen bergab geht. Diese Entwicklung fällt sogar noch viel drastischer aus als die meisten Experten – mich eingeschlossen – angenommen haben. Der Wandel der USA hin zur Autokratie ist in einer enormen Geschwindigkeit vorangeschritten. Die USA stehen als Demokratie auf der Kippe – und Trump flirtet mit einer Diktatur.

Moment – wir sprachen gerade von den USA unter Trump als Autokratie. Ist eine Diktatur nicht etwas anderes?

In der Forschung werden die Begriffe gewissermassen synonym verwendet. Jedes Herrschaftssystem muss sich legitimieren – auch Diktaturen. Am besten funktioniert das, wenn man vorgibt, eine Demokratie zu sein. Je weniger dieser Anschein gewahrt wird, umso eher spricht man von einer Diktatur. In der Praxis verzichten Anti-Demokraten aber kaum noch auf dieses Demokratie-Mimikry. Selbst Putins diktatorisches Regime in Russland hält regelmässig unfreie Wahlen ab. Heutzutage spricht man aber meistens allgemein von Autokratien. Gemeint ist quasi dasselbe.

Jahrelang forschte Lars Rensmann selbst in den USA. Inzwischen ist das Land aus seiner Sicht ganz klar auf dem Wege hin zu einer Autokratie.

Gibt es eine Art Blaupause der Autokraten, um die Demokratie auszuhöhlen?

Ja. Das genaue Vorgehen hängt zwar im Detail immer vom jeweiligen politischen System und der Kultur im Land ab. Trotzdem gibt es klare Muster von Autokratisierungsprozessen.

Und was steht im Handbuch für Autokraten?

Etwa, gegen die Medien vorzugehen. Sie sind sozusagen die vierte Staatsgewalt, weil sie das Handeln der Regierung kontrollieren und kritisieren. Autokraten drängen Medien hingegen dazu, sich der Regierungslinie anzupassen. Auch unter Trump gibt es massive Angriffe solcher Art. Er geht juristisch gegen kritische Berichte und Journalisten vor, droht Medien mit dem Entzug von Lizenzen und stilisiert sie zu "Volksfeinden". Bei den Universitäten ist es ähnlich. Als wichtige Orte der Meinungsfreiheit werden sie eingeschüchtert. Sie sollen ihre Lehrinhalte an die Wünsche der Regierung anpassen und Kritik unterbinden. Auch Trump greift führende US-Unis mit juristischen Mitteln und finanziellen Sanktionen in ihrer Existenz an. Zu den wichtigsten Elementen gehört zudem der Umbau des administrativen Staates.

"Es wird ein vermeintlicher Notstand konstruiert, um sich dann als Retter der Nation aufzuspielen."

Lars Rensmann, Politikwissenschaflter

Was ist damit gemeint?

Moderne Staaten basieren auf Beamten. Sie sind der zivile Apparat der Exekutive, aber auf die Verfassung eingeschworen und dieser gegenüber verpflichtet. In den USA wurden massenweise Beamte entlassen und durch Trump-Loyalisten ersetzt. Das macht die Durchsetzung der eigenen Politik leichter – auf Kosten der Funktionen des administrativen Staates, von der unabhängigen Trinkwasserkontrolle bis zur Katastrophenhilfe und zur Erhebung von Klimadaten. Dasselbe gilt für die Erosion von rechtsstaatlichen Garantien gegenüber den Bürgern. In Autokratien ist es für den Einzelnen oft nicht möglich, seine Rechte einzuklagen. Das sehen wir etwa bei den Abschiebungen der US-Regierung. Die ICE-Beamten, die gegen die Migranten vorgehen, verhaften teils willkürlich Menschen nur aufgrund ihres Aussehens. Und über Gerichtsurteile, die das Vorgehen der Regierung als gesetzwidrig erklären, hat sich Trump bereits mehrfach hinweggesetzt.

Zuletzt hat Trump die Nationalgarde nach Washington beordert und auch anderen Staaten mit einem solchen Schritt gedroht. Wie passt das ins Bild?

Trump nutzt das Militär, um die Macht der Regierung auszubauen, indem sie sich Kompetenzen der Bundesstaaten aneignet. Er höhlt damit den Föderalismus aus, der wie die Justiz die Macht des Präsidenten beschränken soll. Gleichzeitig soll dadurch die Opposition eingeschüchtert werden. Die Raten für Gewaltkriminalität sind im Schnitt in republikanisch geführten Staaten und Städten deutlich höher. Trotzdem schickt Trump die Nationalgarde nur in demokratisch geführte Städte, weil die Kriminalität dort angeblich ausser Kontrolle ist. Das ist ein klassisches Moment der autokratischen Aushöhlung. Es wird ein vermeintlicher Notstand konstruiert, um sich dann als Retter der Nation aufzuspielen.

Historisch werden Autokraten am häufigsten durch das Militär gestürzt. Trump müsste also doch eher daran gelegen sein, es zu schwächen, wie er es mit der Justiz macht, oder?

Stimmt. Aber Trump fährt hier eine andere Strategie. Die Justiz soll eigentlich unabhängig von der Exekutive sein. Für das Militär gilt das nicht, schliesslich ist der Präsident sein Oberbefehlshaber. Trump muss mit der Truppe deshalb nicht in so offene Konfrontationen gehen wie mit den Gerichten. Trotzdem findet ein Umbau des Militärs statt.

Woran machen Sie das fest?

Trump hat zum Beispiel führende Militärs entlassen, um ihm loyale Personen einzusetzen. Mit Pete Hegseth wird das Verteidigungsministerium auch mit einem persönlichen Vertrauen von ihm geführt, der das vorantreibt. Ausserdem nimmt die Regierung systematisch Einfluss auf die Ausbildung in West Point, der wichtigsten Militärakademie im Land. So soll die Truppe auf Linie gebracht werden.

Die Verfassung der Vereinigten Staaten wurde explizit vor dem Hintergrund geschrieben, dass man einen Tyrannen an der Spitze verhindern wollte. Haben die Gründungsväter geschlampt?

Ja, denn die Verfassung hat einen grossen Fehler – die Macht des Präsidenten wird darin viel zu wenig begrenzt. Für Kongressabgeordnete gibt sie zum Beispiel recht klare Regeln vor. Doch mit Blick auf den Präsidenten bleibt sie meist sehr vage.

Warum ist das so?

Die Gründer der USA hatten die Vorstellung, dass ungeeignete Kandidaten durch das Wahlsystem herausgefiltert werden. Zum Beispiel durch das Electoral Collage, indem die Eliten über den Präsidenten abstimmen. Die Vorstellung war: Wer sich durchsetzt, muss eine vertrauenswürdige und würdevolle Person sein. Dass der Präsident selbst ein Tyrann sein könnte und seine Macht autokratisch ausübt, hat man sich nicht vorstellen können.

Aber sind nicht genau dafür die "Checks and Balances" gedacht?

Ja, aber beim Amt des Präsidenten sind sie zu wenig definiert. Zudem werden die verfassungsmässigen Hürden von Trump teils auch einfach übergangen. Den Grundstein dafür hat er bereits in seiner ersten Amtszeit gelegt, als er unter teils obskuren Umständen ihm loyale Richter am Obersten Gerichtshof ernannt hat. Das hilft ihm jetzt beim autokratischen Umbau der USA. Etwa, weil das Gericht dem Präsidenten für alle seine Handlungen im Amt Immunität zugesichert hat.

Der Supreme Court besteht aktuell aus sechs konservativen und drei liberalen Richtern. Kritiker werfen dem Gremium schon länger vor, parteiisch zu agieren.

Die Verfassung mit ihren Zusatzartikeln hatte in den USA nahezu den Status einer Heiligen Schrift. Die Praxis der vergangenen Monate zeigt hingegen: Ein Verfassungsbruch jagt den nächsten. Wenn das Oberste Gericht die Verfassung tatsächlich achten würde, gäbe es hier viel stärkere Reibereien mit der Regierung. Stattdessen leistet das Gericht zumeist juristische Unterstützung für den Autokratisierungsprozess in den USA.

"Fünf vor zwölf ist es noch nicht, aber mindestens sieben vor."

Lars Rensmann, Politikwissenschaftler

Sie sagen, die USA sind in rapidem Tempo auf dem Weg zur Autokratie. Wann ist der Kipppunkt erreicht?

Wenn es keine freien und fairen Wahlen mehr gibt und eine potenzielle Machtübergabe an die Opposition nicht mehr möglich ist.

Und diese Gefahr besteht?

In der Verfassung ist die Organisation von Wahlen ganz klar als Sache der Bundesstaaten geregelt. Doch die Exekutive droht, diese Kompetenzen an sich zu ziehen. Trump arbeitet schliesslich schon jetzt daran, die Briefwahl und die elektronische Stimmabgabe abzuschaffen, obwohl das einzig der Macht der Bundesstaaten obliegt. Ich halte es deshalb für möglich, dass das Wahlrecht so manipuliert wird, dass man schon bei den Midterms 2026 nicht mehr von freien Wahlen sprechen kann.

Auch ohne Abstimmung per Brief sind Wahlen doch noch möglich.

Schon, aber damit würde man bestimmten Wählerschichten die Stimmabgabe massiv erschweren. Dasselbe gilt für das sogenannte Gerrymandering. Gemeint ist damit, dass Wahlbezirke so verändert werden, dass die eigene Partei eher gewinnt. Diese Praxis wird von den Republikanern aktuell radikalisiert. In Texas sind die Wahlkreise etwa jüngst ins Extreme verzerrt worden.

Wie nahe stehen die Vereinigten Staaten dann schon vor dem Kipppunkt zur Autokratie?

Fünf vor zwölf ist es noch nicht, aber mindestens sieben vor. Das Land wird im nächsten Jahr bei den Demokratieindizes so tief stürzen wie noch kein anderer Staat seit Beginn der Messungen. Da bin ich mir sicher. Denn die Trump-Regierung greift die Demokratie auf allen Fronten an. Wenn das in der aktuellen Geschwindigkeit ohne massiven Widerstand so weitergeht, wird es bald zwölf Uhr schlagen.

Über den Gesprächspartner:

  • Prof. Dr. Lars Rensmann ist seit 2022 Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Vergleichende Regierungslehre an der Universität Passau. Er forscht unter anderem zu den Themen autoritäre Politik, Populismus und Demokratie sowie zu politischer Theorie.