Mit der Nationalgarde und regulären Soldaten will Donald Trump die Proteste in Los Angeles niederschlagen. Kritiker sehen darin einen eklatanten Machtmissbrauch. Denn die rechtliche Begründung von Trump steht auf wackligen Beinen.
Erstmals seit Jahrzehnten hat ein US-Präsident die Kontrolle über die Nationalgarde eines Bundesstaates ohne Zustimmung des dortigen Gouverneurs übernommen. Auch das reguläre Militär schickte
Welche Befugnisse hat der Präsident, was werfen ihm Kritiker vor – und was könnte noch drohen? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Was ist die juristische Basis für Trumps Vorgehen?
Trump hat unter Berufung auf den sogenannten Titel 10 des Kodex der Vereinigten Staaten das Kommando über die Nationalgarde in Kalifornien übernommen. In den USA haben im Normalfall die Bundesstaaten die Kontrolle über die Nationalgarde. Sie ist eine militärische Reserveeinheit und Teil der US-Streitkräfte. Jeder Bundesstaat hat seine eigene Nationalgarde, die bei Naturkatastrophen, Unruhen oder Notfällen im Inneren eingesetzt werden kann.
Dass Trump nun das Kommando über die kalifornische Nationalgarde übernommen hat, begründet er damit, dass es in dem Titel 10 heisst, im Falle einer "Rebellion oder der Gefahr einer Rebellion gegen die Autorität der Regierung der Vereinigten Staaten" sei es erlaubt, dass der Präsident die Nationalgarde an sich ziehen kann. Das sieht er durch die Proteste gegen die Beamten der Einwanderungsbehörde, die der Auslöser für die Situation in Los Angeles waren, gegeben.
Zuletzt hatte 1965 ein Präsident sich ohne Einwilligung eines Gouverneurs der Nationalgarde eines Bundesstaates bemächtigt. Damals setzte Lyndon B. Johnson zusätzlich zur Nationalgarde auch reguläre Soldaten ein, um während der Bürgerrechtsbewegung im Südstaat Alabama die fast ausschliesslich schwarzen Demonstranten zu schützen.
Und was sagen Kritiker dazu?
Trumps Argumentation, dass die Demonstrationen eine Rebellion gegen die Bundesregierung seien und die Übernahme der Kontrolle der Nationalgarde durch ihn dadurch legal sei, wollen Kritiker nicht gelten lassen. So erklärte etwa Rob Bonta, Generalstaatsanwalt von Kalifornien, dass es keine Rebellion und damit keine Grundlage für den Schritt gebe.
Ausserdem heisst es in dem Titel 10, dass der Präsident die Kontrolle über die Nationalgarde nur übernehmen dürfe, wenn es nicht möglich sei, mit den regulären Sicherheitskräften die Durchsetzung von US-Recht zu ermöglichen. Diesem Punkt hatten Kaliforniens demokratischer Gouverneur
Newsom und Bonta reichten deshalb am Montag Klage gegen Trump, das Verteidigungsministerium und Minister Pete Hegseth ein. Sie werfen der Bundesregierung vor, rechtswidrig und ohne Zustimmung des Bundesstaats die Kontrolle über die kalifornische Nationalgarde übernommen zu haben.
Newsom habe dem Einsatz ausdrücklich widersprochen und Hegseth in einem Brief um die Rücknahme der Truppen gebeten – dieses Gesuch sei ignoriert worden, sagte Bonta. Trump betreibe nach Ansicht der Verantwortlichen in Kalifornien Machtmissbrauch.
Was sind die Befugnisse der Nationalgarde und der Marineinfanteristen?
Auch Trump liess am Montag noch 700 Marineinfanteristen des regulären Militärs nach Los Angeles schicken. Anders als die Nationalgarde untersteht das reguläre Militär immer der Bundesregierung. Anders als die Nationalgarde ist es aber eher für Kriegsführung und die nationale Sicherheit zuständig.
Es ist unklar, auf welche rechtlichen Grundlagen sich die US-Regierung bei dem Schritt stützt. Das zuständige Regionalkommando machte aber sehr deutlich, was die Aufgabe der Marineinfanteristen sein soll: Die Soldaten sollen die bereits mobilisierten Kräfte der Nationalgarde dabei unterstützen, Bundesmitarbeiter und -eigentum zu schützen. Das deckt sich mit den Einschätzungen von Expertinnen und Experten zu den Befugnissen der Nationalgarde – diese sind demnach aktuell begrenzt.
Die Nationalgarde kann den Juristen zufolge die Beamten oder Gebäude der Einwanderungsbehörde schützen. Sie dürften aber keine normalen Strafverfolgungsmassnahmen wie Festnahmen oder Razzien übernehmen, schreibt etwa der Jurist Stephen Vladeck von der Georgetown University in der US-Hauptstadt Washington. Trumps Vorgehen in Kalifornien wirft dennoch viele juristische Fragen auf – und dürfte die Gerichte noch eine Zeit lang beschäftigen.
Was wäre die nächste Eskalationsstufe?
Damit die Nationalgarde und wohl auch die Marineinfanteristen weitgehendere Befugnisse hätten, müsse Trump eine Art Notstandsrecht verhängen, und ein als "Insurrection Act" bekanntes Gesetz anwenden, so Vladeck weiter. Dieses Gesetz von 1807 erlaubt dem Präsidenten in Ausnahmesituationen, das Militär im Inland einzusetzen und sich an Strafverfolgungsmassnahmen zu beteiligen, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Unter normalen Umständen ist dies in den USA nicht erlaubt. Diesen Schritt ging zum Beispiel auch Präsident Johnson im Jahr 1965.
Zuletzt wurde "Insurrection Act" 1992 angewendet. Damals kam es zu massiven Unruhen in Los Angeles, als Polizisten den Schwarzen Rodney King brutal zusammengeschlagen hatten und anschliessend freigesprochen wurden. Anders als heute hatten allerdings der Gouverneur von Kalifornien und der Bürgermeister von Los Angeles den damaligen Präsidenten George H.W. Bush um Unterstützung des Bundes gebeten.
Trump drohte bereits in seiner ersten Amtszeit während der Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd damit, den "Insurrection Act" zu aktivieren. Auch im Wahlkampf sprach er immer wieder davon, das Gesetz anwenden zu wollen, und schloss dies auch jetzt nicht aus.
Die Demonstranten in Kalifornien bezeichnete er als "Insurrectionists" – auf Deutsch etwa Aufständische oder Aufrührer. Am Montag sagte der Republikaner, ein Aufstand sei durch die Nationalgarde verhindert worden.
Was bedeutet die Aktivierung des "Insurrection Acts"?
Praktisch gesehen dürfte die Anwendung des Notstandsgesetzes bedeuten, dass das US-Militär auch für die Strafverfolgung in Kalifornien eingesetzt werden könnte. Die Soldaten könnten dann Demonstranten festnehmen oder Razzien durchführen. Die Aktivierung des "Insurrection Acts" würde wohl zu einer weiteren politischen und gesellschaftlichen Spaltung im Land führen, die Lage dürfte weiter eskalieren – landesweite Proteste wären zu erwarten.
"Wenn der Präsident den Insurrection Act anwendet, werden wir in den kommenden Stunden, Tagen und Wochen grosse juristische Auseinandersetzungen darüber erleben, ob diese weitreichenden Befugnisse unter den gegebenen Umständen angewendet werden können oder nicht", zitiert die "Los Angeles Times" die Juristin Jessica Levinson von der Loyola Law School in Los Angeles.
"Jeder sollte innehalten, wenn der Präsident Notstandsbefugnisse nutzt und der Gouverneur sowie der Bürgermeister sagen: Bitte nicht, wir brauchen das nicht." (dpa/bearbeitet von thp)