USA und Europäische Union haben sich bei Zollfragen auf ein Rahmenabkommen geeinigt. Die EU hat nach Ansicht von Experten dabei weitreichende Zugeständnisse gemacht. Dennoch dürften die Streitigkeiten neu aufflammen. Denn Trump hält ein besonderes Druckmittel in der Hand.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Adrian Arab sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

"It’s not over till it’s over" – der legendäre Spruch aus dem US-Basketball bringt auch die Lage im Handelsstreit zwischen den USA und der EU auf den Punkt. Beide Seiten haben zwar inzwischen eine Einigung vorgestellt. Doch vieles spricht dafür, dass es sich eher um eine Atempause handelt als um ein echtes Ende der Zollstreitigkeiten im grössten bilateralen Wirtschaftsraum der Welt.

Eigentlich hätte die Einigung schon längst stehen sollen. Bereits Ende Juli hatten US-Präsident Donald Trump und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) eine Grundsatzentscheidung herbeigeführt, die den Handelskonflikt entschärfen sollte.

Die Inszenierung dieses Treffens war dabei mindestens so bemerkenswert wie das Ergebnis: Von der Leyen war eigens nach Schottland angereist, um Trump auf dessen Golfplatz in Turnberry zu treffen. Dort liess es der US-Präsident sich nicht nehmen, ihr während der Gespräche ein Exemplar seines Buches "The Art of the Deal" zu zeigen. Schon die Kulisse zeigte, wer am längeren Hebel sitzt: Verhandelt wurde nicht in Brüssel oder Washington, sondern auf Trumps eigenem Grundstück.

Zwar hiess es aus Brüssel damals, rund 95 Prozent aller Verhandlungskapitel seien geklärt. Dennoch liessen Trumps Leute von der Leyen fast einen Monat lang zappeln, um ihre politische Willenserklärung vorzutragen, die beide Seiten vor einem befürchteten Eskalationsszenario inklusive Handelskrieg bewahren sollte.

Brüssel zieht in den Zollverhandlungen den Kürzeren

Die vergangenen Wochen erinnerten daher an ein Pingpong-Spiel, das EU-Abgeordnete teilweise als "unerträglich" bezeichneten, weil Washington immer wieder neue Bedingungen einbrachte. Vorerst ist dieser Verhandlungsmarathon nun aber beendet. Beide Seiten einigten sich auf ein Papier, das die mündliche Absprache in ein Rahmenabkommen giesst.

Demnach werden US-Zölle auf fast alle EU-Einfuhren auf künftig 15 Prozent festgelegt, deutlich weniger als die vorher befürchteten 27,5 Prozent. Insbesondere für die Automobilindustrie, die bislang lediglich Zölle in Höhe von 2,5 Prozent zahlen musste, ist das aber immer noch ein harter Schlag.

Für bestimmte Sektoren wie Luftfahrtkomponenten, Chemikalien oder Halbleiter konnte die EU immerhin Zollausnahmen durchsetzen: Hier gilt weiterhin ein Satz von null Prozent. Stahl und Aluminium hingegen werden erneut mit 50 Prozent belegt, wobei beide Seiten über Kontingentregelungen verhandeln wollen, die einen Teil des Handels entlasten könnten.

Aus US-Perspektive stellt sich die Lage deutlich günstiger dar. Die EU will sämtliche Zölle auf amerikanische Industriegüter abschaffen und bestimmten Produkten – etwa Milch, Fisch sowie Obst und Gemüse – sogar einen bevorzugten Marktzugang gewähren. Ausserdem verpflichtet sich die EU, bis 2028 Öl, Gas und Atombrennstoffe im Wert von 750 Milliarden Dollar sowie Halbleiter im Umfang von 40 Milliarden Dollar in den USA zu kaufen. Hinzu kommen milliardenschwere Investitionszusagen.

Selbst wenn man es nicht so drastisch ausdrückt wie der französische Premierminister François Bayrou, der von einem "schwarzen Tag für Europa" sprach, bleibt unterm Strich: In fast allen Bereichen hat die EU den Kürzeren gezogen. Die massiven Energie- und Rüstungsimporte binden Europa enger an US-Lieferanten und schränken die angestrebte strategische Autonomie weiter ein.

Die asymmetrische Zollbelastung verteuert EU-Produkte in den USA und verbilligt US-Produkte in Europa, was ohnehin geplagte Schlüsselindustrien wie Auto, Maschinenbau und Chemie noch weiter unter Druck setzt. Und milliardenschwere Investitionen europäischer Unternehmen in den USA sind nichts anderes als ein Kapitalabfluss, der die amerikanische Industrie stärkt und die angeschlagene europäische Wettbewerbsfähigkeit weiter schwächt.

Trump verknüpft Wirtschaft mit Sicherheit

Hinzu kommt, dass der Deal genau das schafft, was er eigentlich verhindern sollte: neue Unsicherheit. Ökonomen des Peterson Institute for International Economics schreiben in einer Analyse, die sie mit dem Titel "Trump’s very bad trade deal with Europe" (Trumps sehr schlechter Deal mit Europa) überschrieben haben, dass der Deal nicht viel mehr als eine lose politische Willensbekundung ist. Sie könne jederzeit ohne völkerrechtliche Sanktionen angepasst, umgedeutet oder sogar suspendiert werden.

Besonders die Investitionsverpflichtungen seien unklar und würden von beiden Seiten teils entgegengesetzt interpretiert, was die Unsicherheit über Zeithorizont und Verpflichtungsumfang noch weiter vergrössere.

"Solange die EU sicherheitspolitisch so stark von den USA abhängig ist, sitzt Trump am längeren Hebel."

Laura von Daniels, Stiftung Wissenschaft und Politik

Politisch verstärke dieser Interpretationsspielraum die Gefahr, dass Trump jederzeit nachjustieren und die EU in einer dauerhaft defensiven Position halten könne, weit über die ökonomische Frage hinaus. Darauf weist auch Laura von Daniels, US-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, hin.

"Bei Trump muss man damit rechnen, dass er wirtschaftliche und sicherheitspolitische Fragen nicht unabhängig voneinander behandelt, sondern miteinander verbindet", sagt von Daniels. "Solange die EU sicherheitspolitisch so stark von den USA abhängig ist, sitzt Trump am längeren Hebel." Diese Abhängigkeit nutze der US-Präsident "hemmungslos" aus.

Verhandlungen dürften weitergehen

Selbst wenn Trump nicht versuchen sollte, die EU mit Blick auf Sicherheitsfragen zu erpressen, bleibt das Risiko: Wenn Vereinbartes wieder umgeworfen wird, wäre das ein erhebliches Investitionshemmnis. Anders als bei formalisierten Handelsabkommen wie TTIP oder CETA könnte Trump mit relativ wenig Aufwand neue Zölle einführen oder Bestehende ändern. Die Dekrete lägen in Washington längst bereit.

"Diese Unsicherheit macht unternehmerische Entscheidungen über Exporte, Preise, Investitionen und Standortverlagerungen extrem schwierig", so Laura von Daniels. Zwar seien Handelsvereinbarungen auch früher "lebende Abkommen" gewesen, die beidseitig angepasst werden konnten. "Doch mit Trumps Rückkehr ins Präsidentenamt war allen Partnern klar, dass er Abkommen einseitig zu seinen Gunsten nutzen wird."

Sie warnt, dass beispielsweise die aktuellen Nullzölle bei Pharmaprodukten oder Halbleitern nicht von langer Dauer sein könnten. Man müsse sich darauf einstellen, dass die Verhandlungen immer weitergehen.

Unsicherheit bleibt

Welche Folgen solche Unsicherheit haben kann, zeigt die jüngere Vergangenheit. Als die US-Regierung während Trumps erster Amtszeit Strafzölle in Höhe von 25 Prozent auf Stahl verhängte, war monatelang unklar, ob Ausnahmen gelten oder ob die EU mit Vergeltungsmassnahmen reagieren würde.

Europäische Produzenten stoppten daraufhin Investitionen in den USA, weil sie nicht wussten, ob ihre Produkte dort noch marktgängig sein würden. Amerikanische Fahrzeughersteller wiederum verschoben Produktionsentscheidungen, da ihre Stahlkosten unkalkulierbar wurden.

Allein die Ankündigung liess die Rohstoffpreise damals stark steigen und die Nachfrage etwa nach Harley-Davidson-Motorrädern, die in Europa plötzlich um rund 2.000 Euro teurer wurden, brach ein. Ähnliches droht auch jetzt: Europas Industrie weiss nicht, ob die Zölle stabil bleiben oder sich mit der nächsten US-Regierung wieder ändern.

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Investitionsentscheidungen könnten künstlich aufgeschoben werden, mit gravierenden Folgen für die gesamte Wertschöpfungskette. Denn diesmal geht es nicht allein um Stahl und Motorräder, sondern um nahezu jede Schlüsselbranche Europas.

Über die Gesprächspartnerin:

  • Dr. Laura von Daniels ist als Forschungsgruppenleiterin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zuständig für Amerika. Ihre Forschungsgebiete sind die Handelspolitik, das internationale Finanzsystem und die transatlantischen Beziehungen.

Verwendete Quellen: