Der Bundestag hat das Wachstumschancengesetz verabschiedet. Es soll die grüne und digitale Wirtschaftstransformation anheizen und Unternehmer zu Investitionen motivieren. Auch ein Schmankerl für Rentner ist enthalten. Aber ist das wirklich der grosse Wurf? Ein Experte ist skeptisch – und erklärt, warum.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

In den Worten der Bundesregierung klingt es – wenig überraschend – nach einem grossen Wurf. Von "milliardenschweren Entlastungen für die deutsche Wirtschaft", von "Steuerfairness" und einer "Offensive" auf dem Weg zur klimaneutralen Wirtschaft ist die Rede.

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Am Freitag (17.) hat der Bundestag den Gesetzentwurf zum "Wachstumschancengesetz" verabschiedet. Hinter dem Namen verbergen sich Einzelregelungen quer durch das Steuerrecht, die vor allem Unternehmer betreffen – aber auch Rentnern Tausende Euros in die Tasche spülen dürften. Was steckt dahinter und wie gross ist die Schlagkraft des Gesetzes wirklich?

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Was die Bundesregierung sich erhofft

Wirtschaftsexperte Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln beobachtet das Wachstumschancengesetz seit den ersten Beratungen. "Die Bundesregierung will damit vor allem private Investitionen anregen – zum Beispiel durch verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten, Prämien und weitere steuerliche Anreize", erklärt der Ökonom.

So würden beispielsweise Investitionen in die Transformation der Wirtschaft subventioniert, die Verlustverrechnung verbessert und die Grenze für Sofortabschreibungen geringwertiger Wirtschaftsgüter erhöht.

Experte sieht ein grosses "Aber"

Aus Sicht von Hentze alles richtige Schritte – mit einem grossen "Aber": "Das Volumen ist nicht besonders gross – sodass auch die Effekte am Ende nicht besonders gross sein dürften."

Zwar würden alle Schritte in die richtige Richtung gehen, doch das Gesetz habe in den Rahmen des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte passen müssen – und die seien durch die Schuldenbremse begrenzt. "Das sieht man dem Gesetz deutlich an", urteilt Hentze.

Insgesamt will die Regierung bis 2028 rund 32 Milliarden Euro lockermachen. "Das sind im Schnitt also sechs bis sieben Milliarden Euro pro Jahr – und damit weniger als ein Prozent der Steuereinnahmen", rechnet der Ökonom vor. Sein Institut hat in einer Analyse dargelegt, wie viel am Ende bei dem Gesetz wirklich herumkommt.

Das Ergebnis: Die 32 Milliarden Euro dürften tatsächlich zu einer leichten Steigerung der privaten Investitionstätigkeit führen – laut Modellrechnung aber gerade einmal in Höhe von 0,6 Prozent.

Volumen viel zu gering

Hentze kommentiert: "Wenn wir Transformation ernst nehmen und wissen, dass sie private Investitionen braucht, dann bräuchte es ein Vielfaches von diesem Volumen". Immerhin würden rund 90 Prozent der Investitionen von der privaten Seite kommen. Das Gesetz rege tatsächlich dazu an, heute statt morgen zu investieren. Denn die Abschreibungsregeln werden zunächst nur für einen bestimmten Zeitraum verbessert.

"Man bekommt also jetzt für Investitionen einen Anreiz – und überlegt sich daher eher jetzt zu investieren anstatt in fünf Jahren oder gar nicht", sagt Hentze. Das Gesetz habe aber nicht die Kraft, den Beitrag zur Transformation zu leisten, der nötig wäre.

Auch Rentner profitieren

Der Grossteil des Gesetzes bezieht sich auf Unternehmer. Wo kommen aber dann Rentner ins Spiel? Hentze erklärt: "Das Wachstumschancengesetz regelt, dass der steuerpflichtige Anteil der Renten langsamer steigt als bisher geplant. Menschen, die jetzt in Rente gehen, müssen daher weniger Steuern bezahlen, als vor dem Gesetz."

Denn eigentlich gilt: Wer 2023 zum ersten Mal Altersrente bezieht, muss 17 Prozent des Geldes nicht versteuern, 83 Prozent hingegen zählen zum "zu versteuernden Einkommen". Dieser Satz steigt jedes Jahr um ein Prozent, sodass im Jahr 2040 die komplette Rente steuerpflichtig sein wird.

"Das Wachstumschancengesetz bremst diesen Anstieg", sagt Hentze. Demnach solle der Besteuerungsanteil nur noch um 0,5 Prozent pro Jahr steigen. Die volle Steuerpflicht von Neu-Renten verschiebt sich damit auf das Jahr 2058.

Keine Lorbeeren für die Ampel

"Das Gesetz stellt damit eine Entlastung für Rentner dar", so Hentze. Die Lorbeeren dafür könne sich die Ampel aber nicht wirklich einheimsen. Denn die Entscheidung habe sich nicht die Politik ausgedacht – sie folge einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach eine Doppelbesteuerung von Renten nicht erlaubt ist.

"Das wird mit dem Gesetz nun umgesetzt", so der Ökonom. Weitere Inhalte des Gesetzes seien aus fiskalischer Sicht "Kleinigkeiten" und stellten eher eine Inflationsbereinigung als eine grosse Entlastung dar. Dazu zählt beispielsweise die Anhebung der Verpflegungspauschalen für auswärtige Tätigkeiten von 28 auf 30 Euro pro Tag.

"Insgesamt muss man festhalten: Nach Mittwoch ist das Geld noch mal knapper, als es vorher schon war", sagt Hentze und spielt damit auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an, dass die 60 Milliarden Euro, die für die Corona-Politik zur Verfügung standen, nicht für die Bekämpfung des Klimawandels genutzt werden dürfen.

"Es ist besonders schwierig, im jetzigen Haushaltskontext einen grösseren Schritt zu machen", gibt Hentze zu. Deshalb sei es auch wichtig, Geld auf anderen Ebenen einzusparen – zum Beispiel durch den Bürokratie-Abbau.

Bürokratieabbau geboten

"Die öffentliche Verwaltung muss effizienter werden. Wenn Verwaltungsprozesse so lange dauern, wie aktuell, ist das teuer für die Verwaltung und für denjenigen, der wartet. Das gilt für Häuslebauer ebenso wie für Unternehmer", sagt der Experte.

Ob das Wachstumschancengesetz in seiner so vorgeschlagenen Form überhaupt kommt, ist ausserdem noch gar nicht ausgemacht. "Das Gesetz kam bereits einmal mit Änderungsvorschlägen aus dem Bundesrat zurück. Der grösste Kritikpunkt war die Finanzierung des Gesetzes", erinnert Hentze.

Denn die steuerlichen Entlastungen bei Einkommens-, Gewerbe- und Körperschaftssteuer, würden zum Grossteil die Einnahmen der Länder und Kommunen betreffen. Und die sagen: Uns ist das zu teuer, wir können das nicht finanzieren. "Es ist noch eine offene politische Frage, wie die Mindereinnahmen aufgefangen werden sollen", sagt Hentze. Streit sei also noch einmal vorprogrammiert. Und ums Geld kann man ja bekanntlich lange streiten.

Zur Person

  • Dr. Tobias Hentze ist Leiter des Clusters Staat, Steuern und Soziale Sicherung am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln.
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