Im Fussball regelt der Kapitalismus, das prägt auch den Umgang mit Gewaltvorwürfen gegen Profis, über die gerne das Tuch des Schweigens gelegt wird. Fans wollen das nicht hinnehmen und protestieren immer häufiger. Wie reagieren die Vereine?
Vielleicht muss man das Thema "mutmassliche Übergriffe von Fussballern" von einer anderen Seite aufrollen, damit es in mehr Köpfen als gewichtig ankommt. In Deutschland hat häusliche Gewalt 2024 einen neuen Höchststand erreicht. Insgesamt 265.942 Menschen wurden als Betroffene erfasst. Im Fünfjahresvergleich entspricht das einem Anstieg um 14 Prozent. Rund 73 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Das heisst, im Durchschnitt alle zwei Minuten erlebt ein Mensch in Deutschland Gewalt im "sozialen Nahraum". Bleibt man in dieser Statistik, so erfahren in den 90+ Minuten, die ein Fussballspiel dauert, 45+ Menschen Gewalt.
Mit 171.100 Fällen ist Partnerschaftsgewalt die häufigste Form, hier sind sogar 80 Prozent der Betroffenen Frauen, die Täter in drei von vier Fällen Männer. Etwa vier Prozent der Taten sind Sexualdelikte. Experten werden nicht müde, darauf hinzuweisen, die tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Vorfälle aus Angst oder Scham nicht gemeldet werden. Die Zahl der polizeilich erfassten Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung stieg 2024 mit 42.814 ebenfalls auf einen neuen Höchststand, 39.089 davon waren Frauen.
Männlich besetzter Elfenbeinturm Fussball
Und nun kommt der Fussball. Dieser Sport, der allen Menschen gleichermassen gehören und offenstehen sollte, was in sich schon ein Märchen ist, schön und wohlwollend zwar, aber doch ein Märchen. Der Fussball, mit seiner Ausrichtung auf Profit und Erfolg, mit Verantwortlichen in männlich dominierten Elfenbeintürmen, die Sätze sagen wie: "Wir freuen uns alle sehr, dass Thomas bei uns ist." Marcelino Toral, Trainer des FC Villarreal, über Thomas Partey, der aktuell wegen sechs Vorwürfen von sexualisierter Gewalt und Vergewaltigung gegen drei Frauen vor Gericht steht – und auf Kaution frei ist.
Sätze wie: "Zu uns kommen und Erfahrungen teilen, als top Verteidiger? Natürlich. Ich würde das immer begrüssen." Vincent Kompany, Trainer des FC Bayern München, über eine mögliche Hospitanz von Jérôme Boateng, der wegen vorsätzlicher Körperverletzung vor Gericht stand. Er wurde in zwei Instanzen verurteilt, der Fall wegen Verfahrensfehlern neu aufgerollt und der Spieler am Ende erneut schuldig gesprochen sowie verwarnt.
Fans protestieren gegen das Wegschauen der Clubs
Dem Fussball ist das auf Entscheidungsebene herzlich egal und das beweist er immer wieder. Anders verhält es sich glücklicherweise bei den Fans. In den benannten Fällen wurden die in München, London und Spanien aktiv mit Protesten dagegen, dass ihre Clubs sich nicht einmal positionieren, sondern einfach zur Tagesordnung übergehen. Wohl wissend, dass Vereine sich wirtschaftlich verantwortlich verhalten müssen, fordert der Anhang mehr Sensibilität und die Übernahme von Verantwortung beim Thema häuslicher und sexualisierter Gewalt. Das kann schon damit anfangen, beschuldigte Spieler nicht zum Gesicht der Spielvorschau zu machen.
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Im Stadion kommen an jedem Wochenende Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen, Männer wie Frauen. Wenn in Deutschland alle zwei Minuten ein Mensch von den verschiedenen Gewaltformen betroffen ist, braucht es nicht viel, um sich vorzustellen, dass in der Kurve, auf der Gegengeraden und in den Logen viele Fans unterwegs sind, die sowas selbst mitgemacht oder in ihrem Umfeld erlebt haben. Gewalt und ihre ansteigende Kurve gerade da, wo Menschen sicher sein sollten, ist ein Thema, das viele ganz persönlich, aber auch die Gesellschaft als Ganzes betrifft. Der Umgang damit sagt viel über sie aus.
In diesem Punkt sind die Fans trotz – oder gerade wegen – der engen emotionalen Bindung an diese deutlich weiter als ihre Vereine. Sie zeigen die Bereitschaft, Spieler, die oftmals auch Idole sind, kritisch zu hinterfragen, vom Podest zu holen und zu fordern, dass deren Verhalten neben dem Platz nicht ignoriert wird. Die Clubs dürfen gerne von ihnen lernen.
Verwendete Quellen
- de.statista.com: Anzahl der polizeilich erfassten Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in Deutschland nach Geschlecht von 2014 bis 2024
- frauenhauskoordinierung.de: Zahlen zu häuslicher Gewalt 2024