Vor der Leichtathletik-Weltmeisterschaft hat Deutschlands beste Weitspringerin Malaika Mihambo Aufholbedarf. Während die Konkurrenz aus den USA über sieben Meter springt, hadert die 31-Jährige mit ihrem Absprung. Bei den Finals sprach sie von einer "besonders dramatischen Saison". Im Interview ordnet sie ihre Leistung ein, spricht über mentale Stärke und unsere schützenswerte Demokratie.
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Bei der Weltmeisterschaft in Tokio (13. bis 21. September 2025) geht Mihambo dennoch als Medaillenanwärterin ins Rennen. Mit unserer Redaktion spricht sie im Interview über ihren Absprung, die Rückkehr nach Tokio und ihre mentale Stärke in Momenten, in denen es darauf ankommt.
Frau Mihambo, Sie haben gesagt, dass Sie Oberschenkelprobleme bei den Finals in Dresden hatten. Wie steht es um sie?
Malaika Mihambo: Sie werden langsam besser, aber ich schleppe diese Oberschenkelverhärtung schon seit dem Wettkampf in Eugene Anfang Juli mit mir herum. Es ging mal besser, mal schlechter, ist aber zum Glück auf dem Weg der Besserung.
Lassen Sie uns über die Finals sprechen: Sie sagten nach dem Wettkampf, dass es in diesem Jahr besonders dramatisch läuft mit den Fehlversuchen. Können Sie sich inzwischen erklären, woher die vielen Fehlversuche kommen?
Wir schauen uns immer den Anlauf an und arbeiten mit einer Zwischenmarke, die ungefähr 9,05 bis 9,10 Meter vor dem Absprungbrett ist. Mein Trainer Ulli Knapp filmt immer mit und schaut, wo ich an der Zwischenmarke bin. Erst im zweiten Schritt schaut er, wie ich abgesprungen bin und wie die Technik während des Sprungs und in der Flugphase war.
Und wie war der Blick zur Zwischenmarke?
Meistens war ich gut an der Zwischenmarke, mit bis zu zehn Zentimetern Varianz zwischen den einzelnen Sprüngen. Dennoch hatte ich oft einen Übertritt, da ich im letzten Moment die Schritte einen Ticken zu lang gemacht habe. Bei den Deutschen Meisterschaften hatte ich eine höhere Fluktuation im Anlauf, das heisst, dass insbesondere die ersten Schritte unterschiedliche Längen hatten. Dadurch war ich an der Zwischenmarke nicht so stabil, das hat es schwierig gemacht, gültige Sprünge am Brett umzusetzen. Wir hatten während des Wettkampfes sehr wechselnde Winde, was die Genauigkeit zusätzlich erschwert.
Das heisst, es gab mehrere Gründe bei Ihnen?
Genau. Der Übertritt kann auch daran liegen, dass ich wegen meines Oberschenkels nicht ganz frei angelaufen bin. Das wirkt sich auch auf die Anlaufkonstanz aus. Diese Einflüsse machen den Weitsprung spannend – aber manchmal ungerecht, weil man einen sehr guten Sprung haben kann, der bei Übertritt oder zu weit vorm Brett nichts wert ist.
Das hat sich Mihambo in diesem Jahr vorgenommen
In jedem Jahr feilen Sie an anderen Details Ihrer Technik. Was hatten Sie sich in diesem Jahr vorgenommen? War es der Absprung?
In diesem Jahr haben wir mehr an der Anlaufkonstanz gearbeitet und einen guten Kniff gefunden. Letztendlich dreht man immer wieder Schleifen. Manchmal fühlt es sich an, als hätte man ein Teil der Technik perfektioniert. Dann kommen die Saisonpause und monatelange Phasen ohne Weitsprung und es fühlt sich an, als ob man wieder von vorne anfängt. Natürlich fängt man nicht ganz bei null an, aber, da es um Detailfragen geht, ist eben jede Kleinigkeit entscheidend. Manchmal fühlt es sich zum Verzweifeln an, weil der Weitsprung sehr komplex ist und man scheinbar nie ausgelernt hat. Aber solche Momente versuche ich immer mit Humor zu nehmen.
Das heisst, Probleme und Ziele verändern sich während einer Saison?
Manchmal reichen schon die wenigen Monate zwischen Hallensaison und Freiluftsaison, in denen sich neue Fehler einschleichen und andere plötzlich überwunden sind. Der Prozess macht auf jeden Fall Spass, aber manchmal möchte man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Darauf kommt es für Mihambo beim Weitsprung an
Die Weitsprung-Konkurrenz aus den USA ist 2025 bisher etwas stärker, Tara Davis-Woodhall schaffte bei den US-Meisterschaften 7,12 Meter. Wissen Sie, was die Konkurrenz gerade besser macht und woran Sie noch arbeiten müssen?
Zum einen gehört immer Glück dazu, zum Beispiel, ob man optimalen Wind hat oder einen Sprung, der optimal am Brett ist, auch gut trifft. Das hatte ich selten bei Wettkämpfen in diesem Jahr. Selbst bei dem Sieben-Meter-Sprung in Eugene hat mir der Absprungteil nicht gefallen. Es hat sich angefühlt, als ob ich mich auf sieben Meter gehievt hätte. Das hatte nach meinem Gefühl noch nicht viel mit Weitsprung zu tun. Ich weiss, dass einige Konkurrentinnen mindestens einen guten Sprung hatten, dann ist es leichter, in Richtung sieben Meter zu fliegen. Letztlich entscheidet sich alles in Tokio – die Ergebnisse davor sind wenig relevant.
Sie sind gut darin, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Genau. Wir gestalten die Saison immer so, dass der Saisonhöhepunkt definitiv erst die internationale Meisterschaft ist. Die Amerikanerinnen werden das anders machen müssen, weil die Trials das Ausschlagkriterium sind, ob sie mit zur WM dürfen. Die Plätze eins bis drei dürfen mit nach Tokio, Platz vier bleibt zu Hause. Sie müssen also schon früher in Höchstform sein, weil das Niveau so dicht ist in den USA.
"Ich freue mich, wieder nach Japan zu fahren – diesmal ohne Quarantäne."
Wie blicken Sie auf Tokio? 2021 haben Sie dort bei Olympia Gold geholt. Sind Sie glücklich, wieder dort hinfahren zu dürfen?
Ich freue mich, wieder nach Japan zu fahren – diesmal ohne Quarantäne und mit ein bisschen Zeit, mir dort etwas anzuschauen. Natürlich erinnere ich mich gern an Tokio zurück. Ich weiss aber, dass mir das nichts bringt und Tokio 2025 in meiner Hand liegt. Ich konzentriere mich mehr auf die Gegenwart. Ich bereite mich fleissig mit Mental- und physischem Training vor, sodass ich in Tokio optimalerweise mit einem sehr guten Körper- und Technikgefühl an den Start gehe. Und natürlich mit dieser mentalen Stärke, die mich schon durch so viele schöne Wettkämpfe begleitet hat.
Wie trainieren Sie Ihre mentale Stärke?
Ich visualisiere zum Beispiel den Erfolg in Tokio und räume alle Glaubenssätze und Ängste aus, die mich davon ablenken oder mir im Weg stehen. Das Mentaltraining nehme ich mit in den Trainingsprozess. Bei wichtigen Trainingseinheiten wie Sprints oder Sprungeinheiten gehe ich sehr bewusst an den Start und schaue, wie ich das Mentaltraining gezielt nutzen kann, um zum Beispiel meine persönliche Bestzeit zu erreichen oder ein schwereres Gewicht zu stemmen.
Ist es das Mentaltraining, das Sie zum Beispiel seit Tokio 2021 stärker gemacht hat?
Empfehlungen der Redaktion
Ich bin seitdem ein gereifterer Mensch, der noch mehr Lebenserfahrungen gemacht hat. Das Leben war für mich eine sehr interessante Schule, explizit nach 2021 in Tokio. Von daher weiss ich, dass ich eine sehr viel stärkere Persönlichkeit und resilienter bin, mehr Selbstvertrauen habe, noch besser in die Selbstanalyse gehen kann, um zu schauen, was in mir steckt.
Sie haben vor kurzem gesagt, dass Sie sich um die Demokratie in Deutschland sorgen. Wie politisch sind Sie in dieser aufwühlenden Zeit?
Ich komme aus einer politisch bewussten Familie. Ich habe Politikwissenschaften studiert, natürlich bin ich ein politisch bewusster Mensch. Mir ist es wichtig, dass wir in Frieden zusammenleben können – innerhalb unserer Gesellschaft, aber auch mit anderen Ländern der Welt. Es ist sehr wichtig, dass wir uns immer wieder ins Bewusstsein rufen, wie dankbar wir sein dürfen, dass wir in einer Demokratie leben. Es ist wichtig, sie zu schützen, das ist kein Selbstläufer. Demokratie will gelebt werden. Da gehören alle Menschen mit dazu, die demokratische Werte in Frieden und Toleranz zu leben.
Über die Gesprächspartnerin
- Malaika Mihambo, Jahrgang 1994, ist Deutschlands stärkste Weitspringerin. Nach Olympiagold 2020 und dem WM-Titel 2019 und 2022 peilt sie bei der WM in Tokio die nächste Medaille an.