Der Zweiteiler "Charlotte Link – Einsame Nacht" nach dem gleichnamigen Bestsellerroman ist die vierte Verfilmung der Kate-Linville-Reihe. Darin spielt Henny Reents Detective Kate Linville, die keine "klassische Superheldin, sondern ein Mensch mit Unsicherheiten ist", wie die Schauspielerin erzählt.

Ein Interview

Im Interview spricht Henny Reents über das Gefühl von Einsamkeit, "das wir alle kennen". Zudem blickt die 50-Jährige auf das Älterwerden und bezieht Stellung zur Sichtbarkeit von Schauspielerinnen im mittleren Alter.

Frau Reents, in "Einsame Nacht" (in der ARD-Mediathek und am 2. und 3. Oktober jeweils um 20.15 Uhr im Ersten) sind Sie wieder als Detective Kate Linville im Einsatz – damit wurde ein weiterer Kriminalroman von Charlotte Link verfilmt. Was macht Ihrer Meinung nach die Storys von Charlotte Link so besonders?

Henny Reents: Ich glaube, in Charlotte Links Kriminalromanen findet ein Zusammenspiel aus Spannung und einer besonderen Entwicklung der Figuren statt. Hinzu kommt dieser ganz besondere Erzählstil, bei dem häufig verschiedene Erzählstränge weit in die Vergangenheit führen und die Frage entstehen lassen, wie all diese Elemente zusammengehören. Zudem kann man tief in die einzelnen Gedankenwelten der Figuren eintauchen – all das macht die Bücher meiner Meinung nach so fesselnd.

Hinzu kommt diese ganz besondere Atmosphäre Nordenglands, die ihre ganz eigene Mystik, Melancholie und Düsternis hat. Diese Faktoren spiegeln sich in der Zerrissenheit der Figuren wider, sodass man beim Lesen das Gefühl hat, die Natur spielt wortwörtlich mit.

Diese Parallelen sieht Henny Reents zwischen sich und Kate Linville

In dem TV-Zweiteiler spielt das Thema Einsamkeit eine übergeordnete Rolle. Welchen grossen Herausforderungen muss Kate Linville sich stellen?

Neben der Einsamkeit selbst spielen auch Mobbing oder Ausgrenzung als Faktoren, die zu Einsamkeit führen können, eine Rolle. Kate trägt eine gewisse Melancholie sowie viele Altlasten mit sich. Hinzu kommen soziale Ängste, die sich auch in ihrer Verbindung zu Caleb Hale [gespielt von Lucas Gregorowicz; Anm. d. Red.] zeigen.

Kate gelingt es dennoch, sich ihren Ängsten immer wieder zu stellen und sie zu überwinden. Meiner Meinung nach zeichnet sie eine unglaubliche Resilienz aus, was sie so menschlich und echt macht. Insofern kann man sich gut mit ihr identifizieren, weil sie nicht die klassische Superheldin, sondern ein Mensch mit Unsicherheiten ist.

Gibt es Parallelen zwischen Ihnen und Kate – oder auch Wesenszüge, die Sie gar nicht mit ihr teilen?

Ich würde von mir sagen, mit einem sehr schwarzen Humor ausgestattet zu sein – den sehe ich bei Kate eher weniger (lacht). Im Privaten würde ich Kate wünschen, mehr Dinge mit Humor zu nehmen. Aber so ist sie nicht, sie ist ein sehr sensibler und melancholischer Mensch. Was ich hingegen mit ihr teile, ist ein gewisses Pflichtbewusstsein. Ich finde auch, dass Kate und ich beide Persönlichkeiten sind, die sich durchzubeissen wissen. In meinem Beruf muss auch ich mich immer wieder auf neue Situationen, Umgebungen und Menschen einlassen und für mich einstehen.

Der Film zeigt auch Gewalt- und Actionszenen von Kate Linville. Wie läuft der Dreh dieser Szenen am Set ab?

Mir persönlich hat in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit mit Jörg Lühdorff [Buch und Regie; Anm. d. Red.] enorm geholfen. Im Doppelpack mit Philipp Timme hinter der Kamera war das Zusammenspiel wirklich toll. Jörg Lühdorff hat eine sehr feinfühlige und warme Art, die es mir sehr leicht gemacht hat, mich für herausfordernde Szenen zu öffnen.

Der Dreh von Gewaltszenen hat natürlich auch viel mit Absprachen und der Kommunikation konkreter Vorstellungen zu tun. Insofern werden diese Szenen im Vorfeld wie eine Art Choreografie geprobt und durchgespielt.

Wenn also alle Bedingungen stimmen, kann man loslassen und voll und ganz in das Spiel hineingehen. Je komplexer und dramatischer die Szene, umso mehr Spass bereitet sie mir letztlich.

So wirkt Henny Reents dem Herbst-Blues entgegen

Kennen Sie das Gefühl von Einsamkeit?

Meiner Meinung nach ist Einsamkeit ein menschliches Gefühl, das wir alle kennen. Dabei sollte Einsamkeit nicht mit Alleinsein verwechselt werden. Man kann sich alleine sehr wohlfühlen – ich selbst bin eine Person, die den Rückzug häufig sucht. Vor allem nach Dreharbeiten brauche ich den bewussten Rückzug. Ich bin aber ebenso ein aktiver Mensch – fällt mir zu Hause also die Decke auf den Kopf, unternehme ich etwas oder rufe Freundinnen und Freunde an.

Für viele Menschen geht die dunkle Jahreszeit häufig einher mit dem Gefühl von Einsamkeit, Traurigkeit bis hin zu Depressionen – sind Sie mit diesen Gefühlen schon einmal in Berührung gekommen?

Das Gefühl des viel beschriebenen Herbst-Blues kenne ich durchaus – wenn plötzlich die Sonne fehlt und die Tage wieder kälter werden. Jedoch versuche ich, dem bewusst entgegenzuwirken. Für mich persönlich hat sich bewährt, Sport zu treiben, rauszugehen und mich mit Freunden zu treffen. Und natürlich gehören auch schwierige Zeiten zum Leben dazu.

Niemand ist davor gefeit. Aber ich glaube, gerade diese Phasen können uns auch zeigen, wie wichtig es ist, die helleren Momente bewusster wahrzunehmen, dankbar dafür zu sein und sie zu geniessen. Für mich steckt darin immer auch etwas Hoffnungsvolles.

Natürlich gibt es aber einen ganz klaren Unterschied zwischen Melancholie und Depression. Eine Depression ist eine ernstzunehmende Erkrankung, die von Fachärzten behandelt werden muss, während man einer melancholischen Phase oder Herbst-Blues meiner Meinung nach oft gut selbst entgegenwirken kann.

Angenommen, Sie dürften sich eine Rolle auf den Leib schneiden: Was wäre das für eine Figur?

Ich halte immer nach interessanten Frauenfiguren Ausschau. Vor allem nach dem Dreh von düsteren Stoffen reizen mich auch Komödien sehr, historische Stoffe, vielschichtige und facettenreiche Rollen, beispielsweise eine verstrickte französische Beziehungskomödie, ehe mich dann wieder das Gegenteil reizt (lacht).

Ausserdem liebe ich Musik und Tanz-Theater. Ich komme ursprünglich aus dem Tanz, und auch wenn ich keine professionelle Sängerin bin, liebe ich es zu singen. Musik hat für mich eine besondere Qualität. Sie erreicht etwas, das Worte oder Schauspiel allein oft nicht schaffen. Insofern könnte ich mir auch eine Rolle in dieser Richtung wahnsinnig gut vorstellen, die Schauspiel, Bewegung, Tanz und Gesang vereint.

"Frauen haben in dieser Lebensphase bereits so viel getragen, gemeistert und erlebt. Sie haben es nicht verdient, auf Nebenrollen reduziert zu werden oder gar zu verschwinden."

Letztes Jahr haben Sie Ihren 50. Geburtstag gefeiert – wie begegnen Sie dem Älterwerden?

Tatsächlich kamen in der Zeit vor meinem Geburtstag verschiedene Gedanken auf, mit denen ich mich intensiv befasst habe. Ich habe mich beispielsweise mit der Frage auseinandergesetzt, was ich noch erleben möchte, was mir wirklich wichtig ist.

Gleichzeitig ist mir bewusst, dass Älterwerden ein Privileg ist und dass ich in meinem Leben schon vieles erleben und meistern durfte. All das sehe ich und bin entsprechend dankbar, diese Erfahrungen in die Figuren einfliessen lassen zu dürfen, die ich verkörpere.

Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Sichtbarkeit von Schauspielerinnen im mittleren Alter?

Mit diesem Thema habe ich mich im Zuge meines Geburtstags im letzten Jahr stark beschäftigt und habe mich unter anderem mit der Studie von Maria Furtwängler auseinandergesetzt ["Sichtbarkeit und Vielfalt: Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität – Gender & Kino"; Anm. d. Red.].

Seitdem schaue ich selbst mit anderen Augen auf Fernsehen und Streaming-Angebote: Ich suche gezielt nach weiblichen Rollen im mittleren Alter und darüber hinaus – und finde sie viel zu selten. Im Vergleich zu meinen männlichen Kollegen ist das sehr unausgeglichen.

Zum Beispiel habe ich gerade die amerikanische Produktion "Das Gift der Seele" mit Robin Wright gesehen, in der eine Frau im mittleren Alter eine der zentralen Rollen spielt – das ist spannend und komplex erzählt. Aber auf die Masse gesehen, sind das Ausnahmen, und im deutschsprachigen Raum fällt mir dieses Ungleichgewicht genauso deutlich auf.

Hier werden Frauen ab einem gewissen Alter nicht nur seltener gezeigt, sondern öfter stereotyp erzählt, oder sie verschwinden gleich ganz als Randphänomen. Dabei sind Frauen in dieser Altersgruppe im wahren Leben und als Zielgruppe doch extrem relevant. Warum finden diese Frauen also nicht auf dem Bildschirm statt?

Frauen haben in dieser Lebensphase bereits so viel getragen, gemeistert und erlebt. Sie haben es nicht verdient, auf Nebenrollen reduziert zu werden oder gar zu verschwinden. Ich möchte mich als Zuschauerin in dieser Lebensphase wiederfinden und abgeholt werden. Wir brauchen neue Vorbilder – das Leben endet ja nicht mit 50, ganz im Gegenteil.

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Gerade erfahrene Frauen bringen eine unglaubliche Fülle an Geschichten mit, die erzählt werden sollten und die sie in ihrer ganzen Vielfalt zeigen, mit unterschiedlichen Lebenswegen, Körpermassen und Hautfarben. Leider machen sich nach wie vor veraltete Strukturen und Vorurteile bemerkbar. Es gibt also noch viel zu tun, damit Frauen im mittleren Alter und darüber hinaus in der Branche die Gleichberechtigung und Sichtbarkeit bekommen, die ihnen zusteht.

Über die Gesprächspartnerin

  • Henny Reents ist eine deutsche Schauspielerin, die ihr Diplom an der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig abschloss. Neben verschiedenen Rollen für TV- und Kinoproduktionen stand sie zwischen 2007 und 2009 für die mehrfach ausgezeichnete ZDF-Serie "KDD – Kriminaldauerdienst" als Kommissarin Wagner vor der Kamera. In der ARD-Krimireihe "Nord bei Nordwest" spielte Reents bis 2020 die Hauptrolle der Dorfpolizistin Lena Vogt. Seit 2021 ist sie in den TV-Verfilmungen der Roman-Bestseller von Charlotte Link als Ermittlerin Kate Linville zu sehen.