Dass er mit dem Vorlesen und Vortragen von Texten eines Tages sein Geld verdienen werde, "war der grösste Witz, den man machen konnte", sagt Philipp Hochmair über sich selbst. Denn der Schauspieler ist Legastheniker. Wie er sich seinen Platz vor der Kamera und auf der Bühne erarbeitet hat, erzählt der 51-Jährige im Interview.
Was, wenn einer der meistgesuchten Mörder der Mafia in den Zeugenschutz aufgenommen werden möchte? Dieser Frage muss sich
Im Interview mit unserer Redaktion spricht Philipp Hochmair über die Figur des Lukas Geier und erzählt, warum er gerne "zwischendurch auch mal in die Rolle eines Guten" schlüpft. Ausserdem blickt der Jedermann-Darsteller auf sein Leben mit Legasthenie und seine ganz persönliche "Heldengeschichte".
Herr Hochmair, inwiefern hat sich die Figur des Lukas seit seines ersten Falls in "Die Tote mit dem falschen Leben" verändert?
Philipp Hochmair: Lukas durchläuft natürlich Entwicklungsschritte, die seine Figur entsprechend tiefer und persönlicher machen. Das ist das Besondere einer Filmreihe. Bei einem Einzelfilm, auf den keine weiteren Episoden aufbauen, sprechen wir von einer einmaligen Begegnung mit der Figur. Doch bei "Der Geier" kreieren wir einen Charakter mit einer dunklen Vergangenheit, die immer wieder völlig überraschend in die Gegenwart hinein reicht und diesen Menschen so interessant und spannend macht.
Insofern konnten wir im zweiten Teil wieder mehr über Lukas Geier und seine alten und neuen Konflikte erfahren. Die dritte und vierte Folge sind bereits in Planung, das wird für mich als Schauspieler wieder eine tolle Herausforderung – und für die Zuschauerinnen und Zuschauer hoffentlich entsprechend sehenswert.
Die Episode heisst "Freund oder Feind" und widmet sich der Frage, inwieweit man Menschen vertrauen kann. Sind Sie ein Mensch, der schnell vertraut?
Wahrscheinlich sogar zu schnell (lacht). Ich gehe immer sehr offenherzig durch die Welt und auf Menschen zu und wurde in meinem bisherigen Leben glücklicherweise noch nicht allzu oft enttäuscht. Es ist ein typischer Teil von mir, ganz naiv zu glauben, dass diese Herangehensweise richtig und sinnvoll ist. Aus diesem Zweckoptimismus heraus ergeben sich dann wiederum Chancen, sich auch in unerwarteten Grenzsituationen weiterzuentwickeln. Ich glaube meistens an das Gute und denke trotzdem, dass echtes Vertrauen auch seine Zeit brauchen darf.
Philipp Hochmair über Lukas Geier: "Ein gespaltener Charakter"
Schauspielkollege
Der Blick auf meine Filmografie zeigt, dass ich fast immer böse Rollen spiele – allen voran die Figur des Reinhard Heydrich in dem Fernsehfilm "Die Wannseekonferenz". Dementsprechend bin ich froh, wenn zwischendurch auch mal die Rolle eines Guten dabei ist (lacht).
Lukas Geier ist grundsätzlich zwar ein guter Mensch, aber er ist auch sehr mürrisch, introvertiert und nicht allzu lieb im klassischen Sinn. Aber in seiner Arbeit ist er konsequent, in höchstem Masse verantwortungsvoll und sehr sensibel. Sich niemandem wirklich öffnen und anvertrauen zu können, macht ihn eben auch sehr einsam und im klassischen Sinne beziehungsunfähig. Ein gespaltener Charakter.
Lukas Geier ist nicht nur Ermittler, sondern auch erfolgreicher Musiker – so wie Sie auch. Welche weiteren Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Lukas und Philipp?
In Lukas' Lifestyle und mit Blick darauf, wie er lebt und kocht, fühle ich mich sehr erkannt. Ich hätte jedoch nicht den Mut, auf einer einsamen Berghütte zu wohnen, vor der regelmässig ein Fuchs seine Bahnen zieht. Dennoch: Die Fantasie, als einsamer Künstler auf einem Berg zu leben, entspricht mir grundsätzlich sehr und ist mir sympathisch.
"Ich habe eigene Skills gefunden, wie ich diese Schwäche umgehen oder damit leben kann."
Sie sind Legastheniker, was Sie unter anderem in Ihrer Biografie "Hochmair, wo bist du?" thematisieren. Wie blicken Sie auf Ihre Schulzeit zurück?
Mit eher unglücklichen Gefühlen. Damals wurde alles über einen Kamm geschert – Toleranz gegenüber Schwächen anderer gab es noch nicht. Andererseits resultierte aus genau diesem Manko eine Not für mich persönlich, mich durchsetzen zu müssen. Dass ich irgendwann einmal mit dem Vorlesen und Vortragen von Texten mein Geld verdiene, war der grösste Witz, den man machen konnte. Dieser Kampf um meinen Platz, trotz meiner Einschränkung, war sicher eine ganz entscheidende Triebfeder für meine Entwicklung und das Verwirklichen meiner Wünsche.
Wie steht es Ihrer Meinung nach heute um die Toleranz für Menschen mit Legasthenie?
Was den Wandel im Schulwesen betrifft, kann ich nicht wirklich mitreden. Trotzdem verspüre ich zum Glück eine allgemeine Veränderung allen benachteiligten Gruppen gegenüber. Insofern sprechen wir hier von einer sehr positiven Entwicklung.
Wie leben Sie heute mit der Lese-Rechtschreibschwäche?
In meinem Berufsalltag geniesse ich eine gewisse Sonderstellung und die Menschen um mich herum nehmen grosse Rücksicht auf mich. Ich habe im Lauf der letzten Jahre eigene Skills gefunden, wie ich diese Schwäche umgehen oder damit leben kann. Aus diesem Grund stellt meine Legasthenie im Alltag nicht mehr ein so grosses Problem für mich dar wie noch zu meiner Schulzeit.
Hinzu kommen zahlreiche technische Hilfsmittel oder Apps, die Betroffenen helfen und etwa Texte vorlesen oder die Rechtschreibung prüfen und korrigieren. Natürlich fühlt man sich als Betroffener manchmal gehemmt, sich bewusst Zeit zu nehmen, um beispielsweise eine WhatsApp-Nachricht zu lesen. Da passiert es schon einmal, dass es zu Missverständnissen in der Kommunikation kommt, weil ich die Nachricht unsauberer gelesen habe als gedacht (lacht).
So wurde Hochmair zum Jedermann
Sie sprachen eben von Skills, die Sie in den letzten Jahren für sich gefunden haben. Funktionieren diese Skills nur für Sie oder können Sie sie anderen Betroffenen weitergeben?
Jeder Schauspieler lernt Text auf seine eigene Weise. Die Skills, die ich zum Textlernen für mich gefunden habe, sind somit für einen anderen Legastheniker nicht automatisch anwendbar. Ich arbeite mit der Methode des Dialogs. Bedeutet: Mir wird mein Text vorgetragen, den ich wiederum nachspreche und damit verinnerliche. Diese Methode hat sich für mich persönlich sehr bewährt. Dafür muss ich mir Zeit nehmen. Wer diese Möglichkeit nicht hat, muss entsprechend anders agieren.
Beim Dreh zu "Die Wannseekonferenz" etwa habe ich Assistenzen engagiert, die mir in monatelanger Arbeit meinen Text vorgesprochen haben und die Rolle mit mir erarbeitet haben. Hätte ich diese Möglichkeit damals nicht gehabt, wäre es deutlich schwieriger gewesen, mir die Texte anzueignen.
2018 sind Sie spontan als "Jedermann" für den damals erkrankten Tobias Moretti bei den Salzburger Festspielen eingesprungen – durch Ihre Arbeit an "Jedermann reloaded" mit Ihrer Band waren Sie mit der Materie zwar vertraut, dennoch stelle ich mir das Ganze ziemlich herausfordernd vor …
So ist es. Es war für alle Beteiligten eine sehr aussergewöhnliche Situation. Indem ich mich bereits fünf Jahre mit der Materie "Jedermann" befasst hatte, war ich prädestiniert für die Rolle und insofern auch gut vorbereitet. Dass diese Situation so gut ausgeht und solch weitreichende Konsequenzen im Positiven für mich mitbringen sollte, war damals jedoch nicht ansatzweise zu erwarten.
Für mich ist diese besondere Erfahrung ein tolles Beispiel: Man ist Legastheniker, eignet sich einen Text an und plötzlich gibt es die ganz grosse Chance. Diese Chance habe ich genutzt, weil ich aufgrund meiner Leseschwäche eine eigene Art der Performance entwickelt hatte, sodass ich als Jedermann einspringen konnte. Ich bin aus dem Schwächsten zum Stärksten geworden – das ist absurd und im Grunde auch fast schon eine interessante Heldengeschichte.
Seit 2024 sind Sie der "Jedermann" in Salzburg. In dem Stück sterben Sie jeden Abend auf der Bühne den inszenierten Tod – setzt man sich in diesem Zusammenhang zwangsläufig mit dem Thema Tod auseinander?
Ja und nein. Ja, weil wir hier einerseits von einem Spielvorgang sprechen, der für Entertainment steht. Man spielt den Tod also als einen Teil der erzählten Geschichte. Nein, weil man sich den eigenen Tod ja nur schwer vorstellen kann. Ich sterbe zwar auf der Bühne oder in einem Film den Tod, stehe danach aber wieder auf und gehe in meine Garderobe.
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Nichtsdestotrotz regt das Thema natürlich sehr zum Nachdenken an und dazu, sich zu fragen, warum man auf der Welt ist und wie viel Zeit man auf ihr hat. Diese Fragen würde man sich in einem normalen Alltag womöglich nicht stellen – umso intensiver wird daher mit den Jahren die Erfahrung auf der Bühne und das Reflektieren darüber. Ein wichtiger Reifeprozess.
Über den Gesprächspartner
- Philipp Hochmair ist ein österreichischer Schauspieler, der unter anderem aus einer Vielzahl erfolgreicher Film- und Fernsehproduktionen, wie "Die Manns – Ein Jahrhundertroman" oder "Die Wannseekonferenz" bekannt ist. Für die Darstellung des SS-Obergruppenführers Reinhard Heydrich in dem ZDF-Film wurde er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Auch bei den Salzburger Festspielen ist Hochmair eine bekannte Grösse – seit Sommer 2024 ist er Salzburgs neuer Jedermann. 2025 erschien seine Biografie "Hochmair, wo bist du?".