Kommissarin Lindholm mal ganz gefühlig: Der Unfall eines Paketauslieferers enthüllt die wahren Verbrechen in einem spannenden Psychothriller.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Ein echtes Aussenseiter-Paar ist das Göttinger "Tatort"-Team Charlotte Lindholm und Anais Schmitz. Dickköpfige Einzelkämpferinnen sind sie beide, und keine von ihnen landete freiwillig in der Studentenstadt. Die eine verletzt mit Worten, die andere offenbar ganz direkt mit physischer Gewalt. Lindholm (Maria Furtwängler) wurde bekanntlich wegen "mangelnder Teamfähigkeit" aus Hannover strafversetzt. Schmitz (Florence Kasumba) musste wegen Aggressionsschüben oft die Dienststellen wechseln – in "Geisterfahrt" erfahren wir, dass niemand mehr die Kommissarin haben wollte, bis der Göttinger Kriminaldirektor Gerd Liebig (Luc Feit) ihr eine Chance gab.

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Es ist ihr letzter gemeinsamer Fall, und "Geisterfahrt" zeigt, soviel kann man ruhig verraten, dass ein mitreissendes Finale sich auch ohne dramatischen Kommissarinnentod erzählen lässt. Kasumba steigt zwar aus dem "Tatort" aus; es ist aber auch bekannt, dass sie (Anfang 2025) einen Fall mit Hamburgs Kommissar Thorsten Falke bearbeiten wird – der hat ja gerade seine Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) verloren.

Kommissarin Lindholm glaubt nicht an eine Amokfahrt

In Göttingen geht es erst einmal ganz harmlos los: Kriminaldirektor Gerd Liebig feiert seinen 60. Geburtstag im Polizeipräsidium. Gläser werden gehoben, Reden geschwungen, liebevoll der Ehefrau gedankt. Da fährt draussen der Lieferant eines Paketdienstes in eine Menschenmenge. Eine Frau ist tot, Passanten schweben in Lebensgefahr, der Fahrer liegt auf der Intensivstation. Gerade hat er noch Ballons für die Geburtstagsfeier abgegeben. Kommissarin Lindholm erinnert sich: Ilje Balan (Adrian Djokic) wirkte gehetzt, völlig überarbeitet und übermüdet. Deshalb glaubt sie nicht an eine Amokfahrt.

Bei dem Paketdienst DDP sind Lindholm und Schmitz wenig willkommen. Der Chef verweist auf seinen Subunternehmer Mischa Reichelt (Christoph Letkowski), der wiederum zeigt mit dem Finger auf Ilje: Seine Fahrer seien alle selbst Subunternehmer und erwachsen, er sei doch nicht ihr Babysitter. Trotzdem kümmert er sich ganz rührend um sie: Energydrinks für alle, kostenlos.

Dass viele der Männer aus Rumänien stammen und DDPs Knebelverträge kaum verstehen können, dass die Fahrtenschreiber nur "Märchenschreiber" und die Lieferwagen in einem katastrophalen Zustand sind, dass die Männer sich keine Pausen leisten, in Flaschen pinkeln und doppelte und dreifache Schichten fahren – ihre Sache. Sind ja erwachsen.

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"Geisterfahrt" ist ein spannender "Tatort" über das Wegsehen

Wie bereits der bewegende Kölner Advents-"Tatort: Des anderen Last" wirft auch "Geisterfahrt" einen anklagenden Blick hinter die Kulissen eines Paketlieferdienstes und erinnert uns Zuschauerinnen und Zuschauer, die wir ja auch gern bequem nach Hause bestellen, an die Kosten unserer Erwartungshaltung: Wir wollen alles, aber billig, und am besten sofort. Wir tragen eine Mitschuld an den Zuständen in der Welt der Niedriglohnarbeiter. Das kann man als pädagogischen Zeigefinger-Krimi abtun – vom Tisch fegen lässt sich der Vorwurf deshalb noch lange nicht.

Zumal "Geisterfahrt" alles andere als ein langweiliges Sozialdrama ist, sondern ein spannender "Tatort" über das Wegsehen. Und das genauere Hinsehen. Denn der Unfall des Lieferanten lenkt Charlotte Lindholms Blick bald in eine ganz andere Richtung: Kriminaldirektor Liebig, der doch sonst immer so felsenfest hinter seinen Kommissarinnen steht, will von den Ermittlungen gegen DDP plötzlich nichts mehr wissen.

Sturkopf Lindholm sucht daraufhin Hilfe bei anderen: bei Gerichtsmediziner Nick Schmitz, dem Ehemann ihrer Kollegin Anais, und bei Tereza (Bibiana Beglau). Sie ist Liebigs Ehefrau und zugleich Ärztin in dem Krankenhaus, in dem die Verletzten der "Geisterfahrt" liegen.

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Und dann wird es plötzlich kompliziert

Und jetzt wird es kompliziert. So kompliziert es eben manchmal wird, wenn man nicht als einsame Wölfin durch die Stadt streift, sondern sich engagiert, Anteil nimmt und Nähe sucht. Denn erstens ist eine professionelle Einschätzung nicht das einzige, was Charlotte Lindholm von Nick Schmitz möchte - und bekommt.

Zweitens ist Anais Schmitz ohnehin nicht gut auf die Kollegin und deren Ermittlungsalleingänge zu sprechen. Und drittens kommt es auch noch zu Spannungen zwischen Charlotte und Tereza Liebig, obwohl sich gerade eine Freundschaft zwischen den beiden Frauen entwickelte. Denn bei Lindholm entsteht auch der Verdacht, dass irgendetwas an der Ehe der Liebigs nicht stimmt. Was wiederum ein Grund für Gerd Liebigs seltsames Verhalten sein könnte.

Langsam, aber sicher entwickelt sich der Fall um einen angeblichen Amokläufer zu einem Psychothriller, in dem der Unfall die eigentlichen Verbrechen ans Licht bringt. Regisseurin Christine Hartmann, die mit Stefan Dähnert auch Co-Autorin des Drehbuchs ist, baut eine unterschwellige Spannung auf und steigert stetig das Gefühl der Bedrohlichkeit.

Das Publikum fiebert mit der Kommissarin mit

Das Publikum weiss mehr als die Kommissarin und fiebert gleichzeitig mit ihr mit. Das liegt auch daran, dass eine emotional derart aufgewühlte Charlotte Lindholm ungewöhnlich ist, aber sowohl der Figur als auch ihrer Darstellerin guttut: Man sieht an Maria Furtwänglers weniger steifem Spiel, dass ihr dieses Aufbrechen ihrer Figur liegt und gefällt.

Am Ende ist der Fall zwar gelöst, aber Gewinner hat die traurige Geschichte keine. Regisseurin Dähnert hat "Geisterfahrt" deshalb einen "'Tatort' der Verlierer" genannt. Für die Reihe aber ist die letzte Folge aus Göttingen ein Gewinn. Charlotte Lindholm wird künftig wieder aus Hannover ermitteln. Teamplayerin ist sie immer noch nicht. Aber vielleicht eine etwas weniger unnahbare Einzelgängerin.

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