Paris/Remscheid - Es ist das Jahr des Wolfgang Tillmans: Dem gebürtigen Remscheider und Turner-Preisträger sind derzeit drei grosse Ausstellungen in Europa gewidmet.
Den Anfang machte das Albertinum in Dresden, es folgte das neu eröffnete Haus Cleff in Tillmans Geburtsstadt Remscheid und an diesem Freitag setzt der Kunststar den Höhepunkt im Centre Pompidou in Paris. Tillmans (56) ist dort die letzte grosse Schau vor der fünfjährigen Schliessung des Museums gewidmet.
Zwischen Neubeginn und Abschied
In Remscheid belebt er ein Museum, in Paris schliesst er den Reigen. Ein Geschenk, wie er sagt. Und doch: auch Herausforderung. Und nicht zuletzt eine Premiere. Denn Tillmans bespielt nicht etwa einen der üblichen Ausstellungsräume, sondern die leer geräumte Bibliothek des Kunst- und Kulturzentrums – eine monumentale Fläche von rund 6.000 Quadratmetern.
Dieser ungewöhnliche Ort ist kein Zufall: Bücher und Zeitungen gehören seit jeher zu Tillmans’ zentralen Motiven und Inspirationsquellen. Die Ausstellung zeichnet fast 40 Jahre künstlerischen Schaffens nach und umfasst das gesamte Werk von Tillmans: Fotografie, Musik, Video und persönliches Archiv - frei von Chronologie, im Dialog mit dem Raum.
Diagnose der Gegenwart
Der Titel, der bis 22. September dauernden Werkschau: "Rien ne nous y préparait – Tout nous y préparait" (Nichts hat uns darauf vorbereitet – Alles hat uns darauf vorbereitet; englisch: Nothing could have prepared us – Everything could have prepared us). Das klingt wie eine nüchterne Diagnose der Gegenwart – und ist genau so gemeint.
Für den Künstler beschreibt er das Paradox unserer Zeit: dass viele Krisen – ob politisch, ökologisch oder gesellschaftlich – uns überraschen, obwohl sie absehbar waren. Man hätte manches voraussehen können – und wollte es vielleicht nicht, sagt Tillmans.
Politisch ist persönlich
"Ich sehe keine Grenze, wie politisch Kunst sein darf", sagt Tillmans im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Für ihn ist das Private nie unpolitisch – und das Politische persönlich. Seine Werke wollen nicht belehren, sondern öffnen: zum Sehen und Nachdenken.
Das zeigt sich in seinen Motiven – etwa russische Soldaten vor einem Dior-Geschäft, der innige Kuss zweier Männer oder die schwer gesicherte Grenze der USA zu Mexiko.
Tillmans in Remscheid: Heimat trifft Zeitgeschichte
Wer nicht bis nach Paris reisen will: Noch bis 4. Januar 2026 sind im denkmalgerecht sanierten Haus Cleff in Remscheid auf 600 Quadratmetern Werke Tillmans aus mehreren Jahrzehnten zu sehen.
Tillmans liess sich einen Schlüssel für das Bürgerhaus im typischen Stil des Bergischen Lands geben und kuratierte selbst. 3.000 Besucher hätten in den ersten Wochen nach der Wiedereröffnung die Schau gesehen, berichtet Museumsleiterin Gisela Parak.
In seiner Geburtsstadt hat Tillmanns Arbeiter der Werkzeugindustrie porträtiert, die Remscheid zur Grossstadt gemacht hat. Sie stehen dort nun genauso im Kontrast zu seinen Porträts von Kate Moss und Lady Gaga wie die Fotos der alten Werkshallen zu denen der Serverparks im Silicon Valley.
Blick in die Weiten des Kosmos
Nur noch bis 26. Juni ist Tillmans in Dresden zu sehen: Die mit "Weltraum" überschriebene Schau vereint dort rund 200 Fotografien und Videoarbeiten, darunter auch bisher nicht in einem Museum gezeigte Werke. Die lebenslange Liebe zur Astronomie habe ihn das Sehen gelehrt und die Wichtigkeit der genauen Beobachtung, hatte Tillmans gesagt.
So zieht sich der Bezug zu Himmel und Sternen durch die Präsentation, von Bildern aus dem Kernforschungszentrum Cern in der Schweiz bis zu Phänomenen wie dem seltenen Venus-Transit vor der Sonne.

Tillmans gehört zu den bedeutendsten deutschen Künstlern der Gegenwart, gewann 2000 den Turner-Preis und ist Träger des Goslarer Kaiserrings.
Zuletzt widmete ihm 2023 das MoMA (Museum of Modern Art) in New York eine grosse Ausstellung. Seine Bilder der Nacht- und Clubszene und von Berühmtheiten der Popkultur machten ihn bekannt. "Die Zeit" nannte ihn einst den "einfallsreichsten Bilderfinder der Gegenwart". © Deutsche Presse-Agentur