Sie will nicht mehr. Sie kann nicht mehr. Sie hält das alles nicht mehr aus. Darum regt sich Anja Rützel in dieser Kolumne über all das auf, was gerade wieder schiefläuft in der Welt. Heute: Aufruhr um den Baerbock-Bagel.
Der Bagel hat in der Mitte ein Loch, das ist natürlich erst einmal verdächtig. Da, wo bei anderem Gebäck das Leckerste und Gehaltvollste steckt, ist beim Bagel einfach: nix. Kein Marmeladen-Reservoir, keine Vanillepfütze, keine Puddingklecks. Deutschland, Land der Füllungen, fühlt sich da sofort unterzuckert und irritiert.
Vermutlich haben sich auch deshalb so viele Menschen so ausgiebig über ein Instagram-Video von
Echter Gehalt: Fehlanzeige. Aber so gern ich selbst auch kleinste Anlässe nutze, um mich nach allen Regeln der Empörungskunst darüber aufzuregen, hier schaue ich aufs Loch und denke: Man darf die Leerstelle auch einmal aushalten – ohne sie mit Häme zu stopfen.
Annalena Baerbock hinter den Kulissen der Aussenpolitik
Für alle, an denen das Schmähstürmchen unbemerkt vorbeigezogen ist und die sich klug auch von Instagram fernhalten: In dieser Woche hat Baerbock offiziell ihren neuen Job als Präsidentin der Vollversammlung der Vereinten Nationen angetreten, vorab hatte sie mit zwei kleinen Clips lifestylig darauf eingestimmt. Sie winkt darin das obligatorische gelbe Taxi heran und schreibt im Wagen in ein Notizbuch, sie grüsst aus ihrem "Go-To-Bagel-Spot", was natürlich ein lächerlicher Influencersprech-Quatschbegriff ist, und kündigt an, ihre Follower auf diesem Insta-Kanal in Zukunft "hinter die Kulissen" der Aussenpolitik mitnehmen zu wollen.
Klar ist es ulkig, wenn sie dann noch verkündet, "super excited" zu sein, aber man muss deswegen jetzt auch nicht komplett die Nerven verlieren und so tun, als hätte Baerbock in einem dritten Video auch noch einen Hotdog-Stand ausgeraubt und zum Abschluss ein paar Welpen im grossen See des Central Parks ertränkt.
Obendrein habe ich den Verdacht, einen männlichen Politiker hätten viele der Menschen, die Baerbock jetzt peinliche Selbstinszenierung vorwerfen, für ein ähnliches Video als "authentisch nahbar" gelobt. Das Baerbock-Bashing ist ein gutes Beispiel für die altbekannte Scheinheiligkeit, wenn es um Ansprüche an öffentliche Frauen geht: Sei sichtbar, aber nicht zu sichtbar. Sei locker, aber niemals "super excited".
Auf der Spurensuche des Banalen
Womöglich nervt mich die in meinen Augen überzogene Kritik an den Bagelvideos auch deshalb, weil ich mich für genau solchen nebensächlichen Kram mitunter mehr interessiere als für die sogenannte Hauptsache. Ich bin eine notorische Spurensucherin des Banalen, weil ich glaube, dass sich daraus oft viel mehr ablesen lässt, als es auf den ersten Blick scheint.
Ich will wissen, welche Hautcreme Politiker und Politikerinnen benutzen und welche Plunderteilchen sie bevorzugen. Ich habe die Angela-Merkel-Biografie nach beiläufigen Bröseln über solchen extrem privaten Geschmacksgossip durchforstet und wurde bitter enttäuscht. Am liebsten hätte ich in jedem Koalitionsvertrag eine Fussnote, die offenlegt, welche Sorte Blechkuchen während der Verhandlungen verzehrt wurde, nur so fürs Gefühl.
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Diplomatie ist kein Käsekuchen, Diplomatie ist ein Kreisverkehr
Vielleicht hilft es vielen Baerbock-Kritikern ja, wenn sie den Bagel nicht nur als Symbol für die Verweigerung von Füllung, also von Inhalt sehen, sondern auch als politisches Symbol. Diplomatie ist kein Käsekuchen, bei dem man mit der Gabel direkt mühelos zum Sinn vordringt, Diplomatie ist ein Kreisverkehr. Man fährt einmal, zweimal, dreimal herum, bis man sich auf eine Ausfahrt einigen kann, ohne zusammenzustossen. Der Bagel ist dieser Kreis: aussen Textur, innen Freiraum. Wer nach dem einen Kern sucht, dem einen Satz, der alles erklärt, wird zwangsläufig enttäuscht.
Mir wäre es auch lieber, würden Politik und Leben mehr einer Quarktasche ähneln: weich, süss, sofort plausibel. Tatsächlich gibt es bei beidem leider viele Bagelmomente, in denen man sich mit Nullen mit Kruste herumschlagen muss.