Burn-out, Panikattacken, Antidepressiva: Ottmar Hitzfeld blickt auf eine seiner schwersten Lebensphasen zurück. In einem neuen Buch schildert er, warum er wegen mentaler Probleme den Job als Trainer der deutschen Fussball-Nationalmannschaft ablehnte - und wie er wieder zu neuer Stärke fand.
Ottmar Hitzfeld (76) spricht in einem neuen Buch so offen wie nie über die mentalen Probleme, mit denen er während seiner Karriere zu kämpfen hatte - und die ihn vom Posten des Bundestrainers abhielten. Er habe "keine Kraft mehr" gehabt, was er als "grausam" beschreibt.
Hexenschuss als erstes Warnsignal
In dem Buch "Mensch Fussballstar", das am 18. August erscheint und in dem verschiedene Personen aus der Branche zu Wort kommen, berichtet
Ein erstes Signal habe ihm sein Körper 1994 gesendet. Damals erlitt er einen Hexenschuss, weshalb er Kortison bekam. "Allerdings wird mir zu viel davon verabreicht, sodass sich mein Darm entzündet und dann eine Ausstülpung platzt. Ich schwebe in Lebensgefahr und man muss mir den Bauch aufschneiden." Er habe sich lange in kritischem Zustand auf der Intensivstation befunden und wäre fast gestorben.
"Ich schaffe es nicht mehr abzuschalten"
"Das Problem als Fussballtrainer ist, dass dein Innen- und dein Aussenbild bisweilen weit auseinanderklaffen. In der Öffentlichkeit kannst und willst du keine Schwäche zeigen. Du frisst vieles in dich hinein. Gleichzeitig sendet dir dein Körper Signale, dass du so nicht weitermachen kannst." Er habe diese Warnungen jedoch ignoriert. "Weil du denkst: Es ist unmöglich, dass ich jetzt mal drei, vier Wochen nichts mache und mich einfach nur erhole. Du bist im Hamsterrad gefangen. Als Trainer musst du immer der starke Mann sein, darfst nie Schwäche zeigen."
Doch irgendwann habe er nicht mehr gekonnt: "Damals, vor dem Jahr 2004, verlor ich langsam und kontinuierlich die Kraft: Ich schaffe es nicht mehr abzuschalten." Als das Angebot des Deutschen Fussball-Bundes für den Job als Nationaltrainer kam, habe er drei Tage fast nur im Bett verbracht und gegrübelt. "Es ist brutal. Auf der einen Seite ist das Angebot als deutscher Nationaltrainer verlockend. Auf der anderen Seite weiss ich, dass ich keine Kraft habe." Hitzfeld schildert eindrücklich seinen damaligen Zustand: "Ich hätte am liebsten nur die Decke über den Kopf gezogen und weitergeschlafen. Ich bekomme Rückenschmerzen und Schlafprobleme. Es ist grausam, wenn du plötzlich keine Kraft mehr hast."
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Nach Panikattacke im Auto holte er sich Hilfe
Als sein Schlüsselerlebnis bezeichnet er einen Moment im Auto: "Ich habe plötzlich ganz schlimme Platzangst. Ich bekomme Atemnot, alles wird eng, ein furchtbares Gefühl." In dieser Situation habe er realisiert, dass er Hilfe und einen Psychiater brauchte. Dieser habe ihm Antidepressiva verschrieben. "Sie helfen mir, mich zu beruhigen. Aber für mich ist klar, dass ich das Angebot als deutscher Nationaltrainer ablehne." Denn: "Für einen neuen Job musst du ausgeruht sein." Und zu dem Zeitpunkt habe er nie wieder als Trainer arbeiten wollen.
Stattdessen nahm er sich eine eineinhalbjährige Auszeit in den Schweizer Bergen. Eine Erkenntnis aus dieser Zeit: Er stellt seitdem sein Handy lautlos. "Früher dachte ich immer: Jede Nachricht ist wichtig, ich muss Tag und Nacht erreichbar sein. Das war der grösste Fehler."
Hilfe bei Depressionen und Suizidgedanken bietet die Telefonseelsorge unter der kostenlosen Rufnummer: 0800/111 0 111 (ae/spot) © spot on news