Sind Männer noch viel schlimmer als ihr ohnehin schon ramponierter Ruf? Autor und Satiriker Schlecky Silberstein hat auf diese Frage eine klare Antwort: Ja. Doch was ist zu tun? Wir haben den Grimme-Preisträger gefragt, welche Hilfsprogramme den "Penis-Fluch" beenden könnten.
In seinem satirischen Wirken setzt Schlecky Silberstein sich immer wieder mit Geschlechteridentitäten und Aspekten toxischer Männlichkeit auseinander. Nun berichtet er in seinem neuen Buch "Der Penis-Fluch" schonungslos über die grosse Bürde, ein Mann zu sein.
Im Interview mit unserer Redaktion ordnet Silberstein die Symptome der "sexuell übertragbaren Krankheit Mann" ein. Ausserdem erklärt er, wie er zu einer Kastration bei Männern zur Triebabfederung steht – und welchen Selbstversuch er diesbezüglich an sich vorgenommen hat.
Herr Silberstein, welche Symptome stützen Ihre Selbstdiagnose, unter der sexuell übertragbaren Krankheit "Mann" zu leiden?
Schlecky Silberstein: Zusammengefasst kann man sagen, dass Männlichkeit mit einer dramatisch schlechten Überlebenskompetenz einhergeht – um das mal auf medizinischer Ebene einzuordnen. Viele Verhaltensweisen und Perspektiven von Männern sorgen entweder direkt oder über Bande dafür, dass man sich möglichst früh aus diesem Leben verabschiedet. Bei Frauen ist das eher nicht so. Während bei Männern ab einem gewissen Zeitpunkt überhaupt keine Entwicklung mehr stattfindet, befinden sich Frauen ständig im Wandel. Sogar bis ins hohe Alter sind hormonelle Veränderungen keine Seltenheit.
Sie schreiben, dass der grösste männliche Beitrag zur Menschheitsgeschichte die Unterdrückung der Frau und die Klimakrise seien. Erwarten Sie mit Blick auf diese und andere Thesen besonders viele Hasskommentare?
Na ja, ich bin Satiriker. Würde ich keine negative Resonanz bekommen, hätte ich was falsch gemacht. Es ist also eine Berufskrankheit. Insofern: Immer her damit! (lacht)
Wie wäre wohl die Resonanz ausgefallen, hätte eine Autorin dieses Buch verfasst?
Der Markt an weiblichen Perspektiven auf die männliche Misere ist übersättigt. Frauen haben die Kritik an Männern mehrmals durchgespielt. Es gäbe gar keine Resonanz, weil es nicht noch ein Buch braucht, in dem eine Frau messerscharf analysiert: Männer sind bei Lichte betrachtet nur unterschiedliche Variationen von Hitler.
"Heute weiss ich, woher meine Neigung, zu töten und zu bestrafen, kommt."
Sie wuchsen in einem Bremer Brennpunktbezirk auf – mit einem gewalttätigen Stiefvater. Ihre Zeit bei der Bundeswehr verbrachten Sie laut eigener Aussage mit "gewaltbereiten Sexisten und Rassisten". Heute sind Sie ein erfolgreicher Autor und Satiriker. Gibt es also doch noch Hoffnung?
Manchmal ist Hoffnung einfach nur Glück. Es gab wahnsinnig viele Momente in meinem Leben, in denen ich einen ganz anderen Weg hätte einschlagen können. Ein Beispiel: Eigentlich wollte ich aus diesem Brennpunktbezirk gar nicht weg. Schliesslich waren dort meine Freunde. Ausserdem hatte ich überhaupt keinen Bock, aufs Gymnasium zu gehen. Das wurde letztlich für mich entschieden – und das war mein Glück.
Wie konnten Sie sich aus dem "Männergefängnis" Gaming, wie Sie diese Bubble in Ihrem Buch bezeichnen, befreien?
Wenn ich keinen zeitaufwendigen Job und keine Kinder hätte, würde ich heute noch Ballerspiele spielen. Das Töten in der Simulation gibt mir viel, der Reiz ist ungebrochen. Und damit bin ich nicht alleine. Der positive Aspekt dieser Videospiele ist, dass dabei – und vor allem danach – keine reale Person stirbt. Heute weiss ich, woher meine Neigung, zu töten und zu bestrafen, kommt. Um Ihre Frage zu beantworten: Am Ende bin ich der Spielsucht nur deshalb nicht verfallen, weil ich zu viele andere Sachen zu tun hatte.
Der Untertitel Ihres Buches, "Männer sind arme Schweine", impliziert, dass Männer nichts dafür können – schliesslich wurden sie so geboren. Machen wir es uns damit nicht zu leicht?
Ich gebe zu: Das ist keine leichte Erkenntnis, zu der ich während der Recherche zu diesem Buch gelangt bin. Aber: Am Ende ist der Mensch vielleicht auch froh, wenn er sich endlich die Dinge erklären kann, die ihm bis dato immer ein Rätsel waren. Ich glaube, dass Männer davon profitieren können. Und vielleicht können sie ihren Frauen nach der Lektüre besser erklären, warum sie so sind, wie sie sind.
Im Umkehrschluss hoffe ich, dass Frauen viele Antworten finden. Im besten Fall dient mein Buch als gute Diskussionsgrundlage, die darüber hinausgeht, dass Männer einfach nur scheisse sind, weil sie scheisse sind.
Warum scheren Sie eigentlich alle Männer über einen Kamm?
In dem Buch geht es um die zentralen Unterschiede zwischen Mann und Frau. Der Bauplan ist bei Männern grundsätzlich immer gleich. Am Ende ist natürlich entscheidend, was man daraus macht. Ich unterscheide da immer gerne zwischen "Schadmännern" und "Nutzmännern". Doch was die Anlagen betrifft, kann man alle Männer getrost über einen Kamm scheren.
Über Ihre Frau schreiben Sie: "Sie denkt viel mehr als ich." Wie meinen Sie das?
Alleine die Tatsache, dass ich manchmal einfach nur dasitze und glotze, spricht eindeutig dafür. Das passiert relativ oft – und ich komme mir nicht einmal blöd dabei vor. Meine Frau kann das gar nicht verstehen. Manchmal würde ich gerne in ihrem Kopf sein. Wenn es zum Beispiel um unsere Kinder geht, ist sie wie ein Seismograf, der alle Informationen aus der Vergangenheit und Gegenwart in Echtzeit filtert. Sie muss sich nicht einmal Mühe geben, um einschätzen zu können, ob irgendwelche Bedrohungen um die Ecke kommen könnten. Ich hingegen schaue einfach nur zu und denke mir: "Was soll die ganze Aufregung? Ist doch nichts!"
"Wir können es uns nicht erlauben, Männer links liegenzulassen. Ihr Gewaltpotenzial ist viel zu gross."
In einem Kapitel widmen Sie sich den "Flaschen, die durchs Leben gehen". Wie gross ist die Gefahr, die von "abgehängten Männern" ausgeht?
Das Problem mit "abgehängten Männern" ist, dass wir in einer Zeit leben, in der wir vor allem die Gräuel des Patriarchats aufarbeiten. Da wir in erster Linie die Ungerechtigkeit der Vergangenheit ausgleichen wollen, können wir Männern momentan kaum Angebote machen. Unser Fokus liegt darauf, Frauen zu fördern. Und dabei merken wir gar nicht, dass Frauen ohnehin talentierter sind als Männer. So sehr ich den Aspekt verstehe, dass Männer erstmal kleinere Brötchen backen müssen, sehe ich darin auch eine Gefahr. Dieser Zustand kann einer Demokratie schaden.
Inwiefern?
Die Menschheitsgeschichte hat es gezeigt: Wenn sich niemand um die frustrierten Männer kümmert, werden sie irgendwann versuchen, die Welt nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Darunter befinden sich nicht selten Fundamentalisten, religiöse Eiferer oder auch Nazis. An dem Punkt können wir es uns gar nicht erlauben, Männer links liegenzulassen. Ihr Gewaltpotenzial ist dafür viel zu gross. Wir sehen das aktuell doch in Afghanistan. Es kann ganz schnell gehen, dass sich Männer wieder alles unter den Nagel reissen.
Würde eine Kastration, die Sie in Ihrem Buch thematisieren, das Problem tatsächlich lösen?
Zunächst einmal wollen wir ja nicht dogmatisch denken. Ich verstehe die Kastration, empfehle aber keine Eigenkastration. Wenn man sich unter medizinischer Aufsicht dazu entschliesst, mag das für den einen oder anderen eine gute Option sein. Im Übrigen gibt es nicht nur die Vollkastration, sondern auch die Teilkastration. Es wären schon viele Probleme gelöst, würde man nur einen Hoden entnehmen.
Am Ende geht es darum, dass man das Testosteron, das im Hoden entsteht, abfangen kann. Kein Mann würde darunter leiden. Im Gegenteil: Es hat nur Vorteile. Es macht einen friedlicher und kompatibler im Umgang mit Frauen. Wer also mit einem oder sogar gar keinem Hoden leben kann, dem verspreche ich, dass es ihn glücklicher machen wird.
Sprechen Sie da aus eigener Erfahrung?
Ich habe mir aus Neugier Testosteron-Hemmer aus den Niederlanden besorgt, also eine chemische Kastration an mir selbst erprobt, und kann sagen: Dieses Experiment hat mich zu einem wandelnden Zen-Garten gemacht. No Hoden, no cry.
Mithilfe von KI können Männer mittlerweile Deepfake-Pornos konsumieren und sich mit sprechenden Sex-Dolls vergnügen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Meine Befürchtung, dass Männer langfristig zu viel Unheil anrichten, stelle ich immer der aktuellen Entwicklung gegenüber. Die Gewalt, die lange Zeit das einzige und mächtigste Instrument von Männern war, haben wir peu à peu an den Staat übergeben. Ein Blick auf aktuelle Bildungsstudien zeigt, dass Männer gnadenlos abschmieren. Oder anders ausgedrückt: Frauen können mit Männern den Boden aufwischen. Und das auf der ganzen Welt – unabhängig davon, wie gut oder schlecht Frauen gefördert werden.
Empfehlungen der Redaktion
Die KI kann Männer unterstützen und ihnen sogar helfen. Klar ist, dass Männer ihren "Sexdrive" irgendwie abbauen müssen. Es gibt aber viel zu viele Männer. Daher können wir nicht jedem Mann versprechen, dass er im realen Leben seinen "Sexdrive" abbauen kann. Von technischen Hilfsmitteln bis hin zur KI sind alle legalen Entwicklungen erlaubt, da befriedigte Männer weniger gefährlich sind.
"Leider verwechseln wir oft Erklärung mit Rechtfertigung."
Wie lange haben Sie an diesem Werk gearbeitet – auch im Vergleich zu ihren ersten zwei Büchern?
Ich habe fünf Jahre an "Der Penis-Fluch" gearbeitet. Mein ursprünglicher Plan war, nach zwei Jahren fertig zu sein. Am Ende entwickelte es sich zu einem "Rabbit Hole". Es gibt zwar wahnsinnig viele Forschungsergebnisse, an die man jedoch nicht so ohne Weiteres herankommt. Vieles passiert hinter vorgehaltener Hand. Zum Beispiel hat die wichtigste Testosteronforscherin unserer Zeit, Carole Hooven, ihren Job verloren – nachdem sie einfach nur darüber berichtet hat, was Testosteron in Männern verursacht. Der Grund ist schlichtweg, dass aktuell ein Zeitgeist herrscht, in dem wir Männern keine Entschuldigung für ihr Verhalten geben wollen. Leider verwechseln wir oft Erklärung mit Rechtfertigung.
Ihr erstes Buch "Ich kann keine Wurstzipfel essen und 999 weitere seltsame Angewohnheiten" erschien vor gut zehn Jahren. Welche Ihrer 1000 Spleens konnten Sie über die Jahre ablegen?
Vermutlich keinen einzigen. Vielmehr sind weitere Eigenarten hinzugekommen. Mit dem Alter wird man noch spleeniger. Häufig bekommt man eine Angewohnheit erst dann, wenn man zum ersten Mal von ihr Notiz nimmt. Man kann Spleens also lernen. Irgendwann habe ich von einer Person gelesen, die auf der Tastatur fünfmal hintereinander "Strg + S" [unter Windows, "Cmd + S" unter macOS; Anm. d. Red.] drückt. Dabei würde ja einmal reichen, um einen Text zwischenzuspeichern. Seitdem ich das gelesen habe, drücke auch ich fünfmal auf die Tasten (lacht).
Über den Gesprächspartner
- Schlecky Silberstein, geboren als Christian Maria Brandes, ist ein deutscher Autor, Schauspieler und Satiriker. Seit 2016 ist er Head-Autor und Darsteller der ZDF-Comedy-Show "Browser Ballett", die 2019 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Nach seinem 2015 erschienenen Buch "Ich kann keine Wurstzipfel essen" veröffentlichte er 2018 das "Das Internet muss weg". Silberstein lebt in Berlin.