Viele Jahre wurde darüber geredet, jetzt ist "Babylon Berlin" fertig. Vom sündhaft teuren Sittengemälde der Hauptstadt im Jahr 1929 erwarten viele die erste wirkliche Qualitätsserie aus Deutschland. Kann Tom Tykwers Werk die hohen Erwartungen erfüllen?

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Ja, sie sieht gut aus. Sehr gut sogar. Von Tom Tykwers Serie "Babylon Berlin", die am Freitag, 13. Oktober (20.15 Uhr), mit einer Doppelfolge beim Bezahlsender Sky 1 startet, hatte man aber auch nichts anderes erwartet.

Insofern liegt ein gewisser Druck auf Deutschlands bislang teuerstem Serienprojekt. 40 Millionen Euro investierten Sky und ARD, wo "Babylon Berlin" im Herbst 2018 zu sehen sein wird, in das Sittengemälde der späten Weimarer Republik.

Es entstand nach dem Roman "Der nasse Fisch" von Volker Kutscher und erzählt die Geschichte des Kölner Kommissars Gereon Rath (Volker Bruch, "Unsere Mütter, unsere Väter"), der 1929 nach Berlin geschickt wird, um einen komplexen Kriminalfall zu lösen.

Doch wie gut ist "Babylon Berlin" wirklich? Entwickelt es jenen erzählerischen Sog, den man von den besten internationalen Serien gewohnt ist? Und welche Vision verkaufen die Macher vom Berlin jener Zeit?

Serie soll ein Sittenbild Berlins sein

Tom Tykwer verzieht das Gesicht, als der Name Baz Luhrmann fällt. Das liegt nicht nur daran, dass Tykwer an diesem Septembertag in Berlin Mitte, als er mit seinen Autoren- und Regiekollegen Hendrik Handloegten und Achim von Borries über das Gemeinschaftsprojekt "Babylon Berlin" spricht, ziemlich verschnupft ist.

Nein, der poppig-überbordende Inszenierungsstil des australischen Oscarpreisträgers ("Moulin Rouge", "Der grosse Gatsby") passt dem Hollywood-erfahrenen Deutschen als Vergleich zu seinen ebenfalls sehr opulenten Szenen, mit denen er - vor allem im Tanzlokal Moka Efti - den Tanz auf dem Vulkan der späten 1920er in Berlin beschreibt, nicht so gut in den Kram.

Vielleicht deshalb, weil Tykwer und Co. sich vorgenommen hatten, für rund 2,5 Millionen Euro pro 45-Minuten-Folge ein Sittenbild des gesamten Berlins zu zeichnen.

Neben dem Party-Volk zeigt "Babylon Berlin" auch die Armen. Hustend und siechend hausten sie als Grossfamilie in dunklen Zwei-Zimmer-Wohnungen. So wie der Anhang der jungen Stenotypistin und Gelegenheits-Prostituierten Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries), der zweiten Hauptfigur neben dem Kommissar.

Dazu gibt es die Schilderung der politischen Unruhen jener Zeit: vom sogenannten "Blutmai" des Jahres 1929, als im Zuge einer von der Polizei verbotenen Demonstration viele Kommunisten und Unbeteiligte ums Leben kamen.

Eine Serie mit Geschichte

Berichtet wird auch von russischen Machtkämpfen auf deutschem Boden, von aufmarschierenden Nazis - das jedoch nicht in den ersten Folgen - von Emanzipation, Drogenrausch, von der Sitte hochgenommenen Pornodrehs oder verzweifelnden Modernisten auf Bauhaus-Stahlrohrmöbeln in kargen Hinterzimmern.

"Babylon Berlin" wurde in 180 Tagen an 300 verschiedenen Locations gedreht. Herzstück dieser in der Tat sehr echt wirkenden Reise in die Zeit kurz vor der deutschen Finsternis ab 1933 ist jedoch die "Neue Berliner Strasse".

Sie entstand auf dem Gelände des Studios Babelsberg. Szenenbildner Uli Hanisch ("Das Parfum", "Ein Hologramm für den König") zimmerte dort einen kompletten "Stadtteil".

"Am Ende hatten wir vier unterschiedliche Arten von Strassen", erzählt Tykwer-Stammkraft Hanisch. "Eine reiche, eine mittelprächtige, eine heruntergekommene und eine sehr moderne - für die 20er-Jahre. Alles ist wandelbar verbunden mit einem Hofsystem. Wir haben nun ganz Berlin auf einer Kuchenplatte."

70 Menschen arbeiteten für Hanischs Abteilung "Production Design" an der Serie. Zum Vergleich: Bei einem "Tatort" sind es drei.

Viel Geld bedeutet nicht gleich Erfolg

Nun sorgen ein grosses Budget und viele "abgearbeitete" Elemente jener Zeit natürlich nicht für die Garantie, dass "Babylon Berlin" den Zuschauer wirklich fesselt. Zum Glück tun es die 16 Teile, die immer freitags als Doppelfolge ausgestrahlt werden, aber trotzdem - selbst wenn es leichte Schwächen bei der Charakterführung gibt.

Allzu prototypisch und funktional sind einige Figuren wie russische Agenten, ultrabrutale Polizisten oder vergnügungssüchtige Party People geraten. Doch das ist Jammern auf hohem Niveau, denn Tykwers Sittengemälde ist mit seinen Dutzenden von Charakteren (unter anderem spielen Matthias Brandt, Fritzi Haberlandt, Leonie Benesch, Lars Eidinger, Jens Harzer und Misel Maticevic) auch ein bisschen zur Oberflächlichkeit verdammt.

Jenes Rauschhafte, das entsteht, wenn man sich dem Sog der Bewegung durch diese untergegangene, kurzlebige Epoche der Modernität, aber auch Härte hingibt, entsteht vor allem eben durch diese Bewegung.

Man geht mit Gereon Rath, der als Posttraumatiker aus dem Ersten Weltkrieg seinen Zittermann immer wieder mit schnell zerbissenen Heroin-Ampullen kurieren muss, durch diese Welt. Man staunt mit ihm über den herben Gegensatz aus Arm und Reich, aus Party und Verdammnis, aus Modernität und Brutalität, die es im damals 4,3 Millionen Einwohner zählenden Berlin gab.

Deutschlands Hauptstadt war 1929 die fünftgrösste der Erde. Es fuhr eine U-Bahn (auch in der Serie), es gab Neon-Reklamen und einen Schnellzug, der in gut 90 Minuten die knapp 300 Kilometer nach Hamburg zurücklegte. Heute geht es auch nicht schneller. Gleichzeitig lebten weit über 100.000 Hungernde in der Stadt, während sich die Reichen prächtige Villen in Grunewald bauten.

"Babylon Berlin" zeigt die düstersten Seiten Deutschlands

Charlotte Ritter, eine der lebensechtesten Figuren der Serie, lernt man zu Beginn als junge Frau kennen, die sich morgens in der Roten Burg, dem Polizeipräsidium Berlins, einfindet, wo an jedem Morgen von den Stufen einer Treppe aus Jobs an arbeitssuchende Frauen wie bei einer Viehauktion verteilt werden.

Jemand Lust aufs Diktat von 30 Autopsie-Berichten? Eilig schnellt ein Dutzend weiblicher Hände hoch. Doch die Tagelöhner-Jobs reichten vielen nicht. Einige Frauen in Geldnot arbeiten nebenbei als Prostituierte. Für Part-Time-Huren, die beispielsweise nur am Wochenende tätig wurden, erfand man damals den Begriff "Die Halbseidenen".

So ist "Babylon Berlin" am Ende vielleicht doch eine Mischung aus jenen üppigen Massenszenen, die Tom Tykwer schon ein bisschen wie Baz Luhrmann zum retro-wilden, nicht ganz dem Sound der Zeit entsprechenden Chanson-Techno bildgewaltig inszeniert, während in der nächsten Szene schmuddelig-deutsche Hinterzimmer-Dialoge auf den Zuschauer warten.

Mainstream-Qualität mit Opulenz

Autor und Regisseur Hendrik Handloegten glaubt ohnehin nicht, dass "Babylon Berlin" die erste deutsche Qualitätsserie sei. Man müsse nur ein wenig in der Zeit zurückgehen und an Werke wie "Tadellöser und Wolf" (1975, formal eigentlich ein Film-Zweiteiler) oder Fassbinders "Berlin Alexanderplatz" (14 Folgen, 930 Minuten) denken.

Als Rainer Werner Fassbinders "Qualitätsserie" 1980 im Ersten ausgestrahlt wurde, beschwerten sich viele Zuschauer, man könne nichts erkennen, es wäre ja alles so dunkel (ausgeleuchtet). Diesen Vorwurf werden sich Tykwer, Handloegten, und von Borries 2017 wohl nicht gefallen lassen müssen.

"Babylon Berlin" ist hochwertiges Mainstream-Fernsehen, wie man es in dieser Opulenz allerdings noch nicht gesehen hat. Es ist Hollywood mit deutschen Tugenden. Tykwer, Handloegten und von Borries erschaffen grosse Bilder, sie lassen im Detail aber auch "Fernsehspiel"-Qualitäten aufblitzen.

Es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn ihre rauschhafte Geschichte aus einer flirrenden, filmisch noch weitgehend unerzählten Epoche Deutsche und andere Fernsehnationen nicht begeistern sollte.

Christine Strobl, Chefin der mitproduzierenden ARD-Firma Degeto, kündigte im "Hamburger Abendblatt" denn auch bereits jetzt eine Fortsetzung des Serienprojekts an. "Unsere internationalen Partner sind schon heute bereit, Geld in eine dritte und vierte Staffel zu stecken, weil sie sich refinanzieren konnten", so Strobl. "Die Serie wurde in alle wichtigen TV-Märkte verkauft. 'Babylon Berlin' ist die heisseste Serie, die derzeit im Markt ist."

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