Keine Regeln, kein Tiefseebergbau. Klingt logisch. Doch was vor Kurzem als Erfolg gefeiert wurde, könnte gerade der Anfang einer Katastrophe werden.
Ich war nie in der Tiefsee, aber neulich hat mich die Doku "How Deep Is Your Love" für zwei Stunden dorthin gebracht. Kein Licht, keine Geräusche, keine Menschen – nur Leben, das aussieht wie von einem anderen Planeten: eine durchsichtige Seegurke mit einem leuchtenden Strahl im Körper, ein rosafarbenes Tier mit etwas, das wie ein Rüssel aussieht, eine stachelige kleine Pyramide.
Die Tiefsee: Eine Welt, die eine Fläche von 65 Prozent unseres Planeten bedeckt, durchzogen von Schluchten, durchbrochen von vulkanischen Gebirgszügen. Doch diese Welt ist bedroht.
Denn nachdem ich in meinem Kinosessel lange den kuriosen Gestalten zugeschaut habe und Forschenden, die diese Wesen durch den Greifarm eines U-Boots in eine Kiste bugsieren, springt der Film am Ende plötzlich zu Konferenzräumen. Politikerinnen und Politiker diskutieren hinter verschlossenen Türen. Denn in der Tiefsee soll bald gefördert, gebohrt und geschürft werden. Ohne Regeln. Ohne Kodex.
Worum geht es?
Schon lange dienen die Ozeane als Rohstoffquelle – Gold, Zinn oder Titan werden etwa an den Küsten Afrikas abgebaut. Doch der Blick richtet sich zunehmend auf die Tiefsee. Vor allem auf Manganknollen. Das sind steinartige Gebilde, die am Grund wachsen. Die Knollen enthalten neben Mangan auch Metalle wie Kupfer, Nickel und Kobalt – alles, was man zum Beispiel für Batterien oder für die Energiewende braucht.
Doch der Abbau der Knollen hätte massive ökologische Folgen: Unsere Ozeane bergen auch einen unbekannten ökologischen Schatz. In einem der Hauptgebiete der Abbaupläne, der Clarion-Clipperton-Zone, leben Schätzungen zufolge 10.000 Arten. Werden manche von ihnen durch das Pflügen des Bodens unwiderruflich verschwinden? Wird dabei CO2 freigesetzt, das im Sediment gespeichert ist? Darüber weiss man bisher zu wenig. Denn bisher wurden weniger als 0,001 Prozent des gesamten Ozeanbodens untersucht, schreiben Forschende im Fachmagazin "Science Advances". Hier einzudringen, wäre wie eine Operation am offenen Herzen – ohne zu wissen, wie die Organe funktionieren.
Auch wirtschaftlich ist der Abbau zweifelhaft: Für die Manganknollen existieren noch keine Anlagen, mit denen Kupfer, Nickel und Kobalt extrahiert und aufbereitet werden können, erklärt Wolfgang Bach von der Universität Bremen. Selbst unter optimistischen Bedingungen würde der gross angelegte kommerzielle Bezug erst nach über 20 Jahren beginnen können, heisst es von ihm in einer Mitteilung des Science Media Centers.
Obwohl es eigentlich einen sogenannten "Mining-Code" geben sollte – also ein Regelwerk, das festlegt, unter welchen Bedingungen Rohstoffe vom Grund des Ozeans gewonnen werden dürfen –, ist dieser vorerst nicht beschlossen worden.
Die Jahressitzung der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) endete im Juli, ohne einen verbindlichen Kodex zu verabschieden. Umweltschützer begrüssen das: Denn ohne dieses Regelwerk kann die ISA keine Abbauvorhaben offiziell genehmigen. Zugleich wurden damit auch keine vorschnellen Regelungen geschaffen, die womöglich zulasten der Umwelt gegangen wären.
Doch der Druck wächst.
Was passiert, wenn sich Staaten nicht an gemeinsame Regeln halten?
Die USA können trotz fehlender Regeln einen Alleingang starten. Die Regierung hat im Gegensatz zu vielen anderen Ländern nie ein entsprechendes Seerechtsübereinkommen unterschrieben, das sie an die Beschlüsse der ISA binden würde. Präsident Donald Trump hat im April ein Dekret verabschiedet, das einer kanadischen Firma den Beginn des Tiefseebergbaus in internationalen Gewässern ermöglicht.
Und wenn die USA erst mal anfangen, dann werden sehr wahrscheinlich andere Staaten folgen. Oder wie es Andrea Koschinsky von der Constructor University Bremen im April ausdrückte: "Sollte der Vorstoss Trumps einen demnächst beginnenden Tiefseebergbau zur Folge haben, und gegebenenfalls andere Interessenten diesem Beispiel folgen, könnten damit die jahrzehntelangen Bemühungen der ISA zunichtegemacht werden."
Empfehlungen der Redaktion
Was wäre also, wenn wir in der Tiefsee etwas zerstören, das wir noch nicht einmal benannt haben? Was wir noch nicht einmal kennen? Sanktionen greifen in diesem Fall kaum. Wir brauchen andere Wege, um diesen Raum zu schützen – politisch, juristisch, gesellschaftlich. Die Tiefsee ist uns ferner als fast jeder andere Ort. Und doch möchte ich noch viel mehr über sie wissen. Denn sie birgt Wunder, Wesen und Zusammenhänge, deren Verlust mehr bedeuten könnte, als wir uns heute erdenken können.
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Verwendete Quellen
- sandboxfilms.org: How Deep Is Your Love
- awi.de: Tiefsee
- science.org: Science Advances: How little we’ve seen: A visual coverage estimate of thedeep seafloor
- sciencemediacenter.de: Weiter kein "Mining Code" für den Tiefseebergbau – Rückschritt oder Chance für den Ozeanschutz?
- sciencemediacenter.de: Trump will Tiefseebergbau zeitnah erlauben
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