Bildung, Gene, soziale Umgebung: Wie hängen diese Faktoren mit lebenslanger Enthaltsamkeit zusammen? Eine internationale Untersuchung gibt Antworten. Sie findet positive Aspekte – aber es gibt auch eine Schattenseite.
Wer selbst im höheren Erwachsenenalter noch nie Sex hatte, stösst nicht selten auf Unverständnis, Vorurteile oder gesellschaftlichen Druck. Eine aktuelle grossangelegte Studie liefert nun erstmals ein detailliertes Bild davon, welche Faktoren Menschen charakterisieren, die zeitlebens keinen Geschlechtsverkehr haben.
Von den 400.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gab ein Prozent an, noch niemals sexuelle Erfahrungen gemacht zu haben. Diese Gruppe unterschied sich in mehreren Punkten deutlich vom Rest der Befragten.
Über die Studie
- Die Studie wurde in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht. Massgeblich beteiligt waren das Amsterdam University Medical Center (UMC) in den Niederlanden und die University of Queensland in Australien. Sie arbeiteten mit dem Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik zusammen.
- Das Forschungsteam wertete die Daten von über 400.000 Menschen im Alter zwischen 39 und 73 Jahren aus. Etwa ein Prozent der Befragten gab an, noch nie Geschlechtsverkehr gehabt zu haben.
Gebildeter – aber auch unglücklicher
Das zentrale Ergebnis: Enthaltsame Menschen sind im Durchschnitt besser ausgebildet als diejenigen, die bereits Geschlechtsverkehr hatten. Zudem konsumieren sie der Studie zufolge seltener Alkohol oder Drogen.
Gleichzeitig zeigten sie jedoch deutliche Anzeichen für schlechteres psychisches Wohlbefinden: Sie waren einsamer, nervöser und unglücklicher als Menschen mit sexuellen Erfahrungen. "Romantische und sexuelle Beziehungen sind oft eine wichtige soziale Stütze", sagt die Co-Erstautorin Laura Wesseldijk vom Max-Planck-Institut. Fehlen diese, sei das für viele Betroffene mit Einsamkeit, Angstzuständen und depressiven Gefühlen verbunden.
Warum manche Menschen niemals Sex haben
Rund 15 Prozent der Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne sexueller Erfahrung lassen sich auf genetische Einflüsse zurückführen – etwa Intelligenz, Bildungsgrad oder neurologische Entwicklungsstörungen. Aber: Die Forschenden betonen, dass es kein "Jungfräulichkeitsgen" gebe. Neben der Genetik spielen demnach auch Faktoren wie die Umwelt und die Persönlichkeit eine Rolle.
Besonders bei Männern traten zusätzliche Zusammenhänge auf: Wer ohne Sex blieb, war im Durchschnitt physisch schwächer und lebte häufiger in Regionen, in denen es weniger Frauen gibt. Auch die sozioökonomische Umgebung spielte eine Rolle: In Gegenden mit grösserer Einkommensungleichheit war lebenslange Sexlosigkeit deutlich häufiger. Laut der Studie trugen Personen ohne sexuelle Erfahrungen zudem häufiger bereits in jungen Jahren eine Brille.
Freiwillige Jungfräulichkeit nicht ausgewertet
"Wir erkennen hier eine Gruppe von Menschen, die tendenziell sozial eher zurückgezogen lebt und daher häufiger Schwierigkeiten hat, einen Partner zu finden", kommentiert Brendan Zietsch von der University of Queensland.
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Das Forschungsteam betont, dass ihre Erkenntnisse keine Werturteile enthalten würden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten bei ihrer Untersuchung nicht zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Jungfräulichkeit unterscheiden. (bearbeitet von ali)