Sasha Trifunovic lebt als Transfrau in einer Welt, die sich gerne tolerant nennt, aber oft nur akzeptiert, was ins Bild passt. Sie erzählt von ihrem Leben in autoritären Systemen und in einem Deutschland, wo Freiheit zwar möglich ist, aber auch verteidigt werden muss. Die Geschichte einer Suche nach sich selbst.
Ein letztes aufregendes Date sollte es werden in ihrer Wahlheimat.
Zwei Jahre hatte Sasha in einer Wüstenmetropole gelebt – der Liebe wegen. Die Beziehung war zerbrochen, sie blieb allein zurück. Der Alltag war monoton, die Einsamkeit erdrückend. Ihr Wunsch nach Nähe und Zuwendung wurde grösser.
Folgenschweres Date
Sasha hatte ihrem Match geschrieben, dass sie Transfrau ist – also eine Frau, die bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugewiesen wurde, sich aber als weiblich identifiziert. Er schien damit kein Problem zu haben und wollte sie treffen. Sasha zögerte. Beziehungen dieser Art sind in arabischen Staaten riskant – schon ein harmloser Flirt kann hier zur Gefahr werden. Gleichgeschlechtliche Beziehungen und abweichende Geschlechtsidentitäten stehen meist unter Strafe. Allein durch ihre Existenz riskieren Transfrauen wie Sasha gesellschaftliche Ächtung, Repression oder sogar Haft. Und doch sagte sie einem Treffen zu.
Als sie ihn an der Bar trifft, ist sie begeistert. Der Mann im schicken Anzug ist charmant und zugewandt. Nach ein paar Minuten ist klar, worauf das Treffen hinausläuft. Sie gehen zu ihm. Doch dann kippt die Stimmung. Der Mann ist plötzlich wortkarg und kühl. Nach wenigen Minuten hämmert es an der Tür.
Sasha ahnt: Es ist die Polizei und ihr Date ein Polizist in Zivil. Er schweigt. Sie hat Angst, überlegt zu fliehen. Doch es gibt keine Möglichkeit. Also öffnet sie die Tür, während er auf dem Sofa sitzt und den Boden anstarrt. Fünf Beamte kommen ihr entgegen. Eine Beamtin geleitet sie schliesslich ins Badezimmer und zwingt sie zur körperlichen Untersuchung. "Ich musste mich entkleiden. Sie wollte sehen, ob ich eine Frau bin. Es war entwürdigend."
Sasha wird auf eine Polizeiwache gebracht. Der Vorwurf: Sie habe keine gültige Aufenthaltsgenehmigung. Sie ist hingegen überzeugt: Ihr Visum ist gültig. "Ich hatte es immer bei mir", sagt sie. Doch Diskutieren ist sinnlos. "Ich durfte täglich mit meiner Mutter telefonieren, aber ich habe aus Scham geschwiegen. Habe ihr nicht erzählt, wo ich gerade bin, was da passierte. Nach fünf Tagen unterschrieb ich ein Formular und wurde zum Flughafen gebracht. Es war der Tag, für den ich meinen Rückflug gebucht hatte. Bis heute weiss ich nicht, was ich da unterschrieben habe", blickt sie auf die Situation zurück. Hauptsache raus, denkt sie. Zurück nach Deutschland. Ihren sicheren Hafen.
Sashas Suche nach sich selbst – Kindheit und erste Repressionen
Diese Szene steht exemplarisch für ein Leben, das ständig zwischen Sichtbarkeit und Gefahr pendelt. Sasha, geboren in Serbien, aufgewachsen in Deutschland, ist Transfrau. Sie versteht sich nicht als Heldin, sondern als eine Stimme unter vielen – aber eine, die gehört werden will. Ihre Geschichte ist kein Einzelfall. Sie erzählt vom Ringen mit gesellschaftlichen Erwartungen, bürokratischen Hürden und der ständigen Angst, als "anders" enttarnt zu werden.
"Schon als kleiner Junge war ich feminin, spielte mit Puppen, sprang Seil. Für meine Eltern kein Problem, aber für andere." Sasha outete sich mit 17 Jahren als homosexuell – ein Schritt, der nicht zur Befreiung führte, sondern massive Repressionen nach sich zog. "Ich durfte nicht mehr raus, wurde kontrolliert, verfolgt. Sogar meine Freunde wurden eingeschüchtert." Sie beschreibt diese Phase als sehr düster. "Meine Familie brachte mich deswegen sogar zum Arzt. Schliesslich lief ich weg. Als ich zurückkehrte, konnte ich ansatzweise leben, wie ich wollte."
"Das Ergebnis war, dass ich die Schule als eine zutiefst verunsicherte Person verlassen habe."
Eine prägende Erinnerung stammt aus der siebten Klasse: Der Schwimmunterricht war für Sasha die Hölle. "Mir wurde jedes Mal schlecht. Umziehen, entblössen, die Blicke – es war eine Folter." Die Umkleidekabine, die sie nutzte, wurde von anderen Schülern als "Schwulenkabine" verspottet. Die Jungen in ihrer Klasse spürten, dass sie anders war und machten sie zur Mobbing-Zielscheibe. Sasha wurde ausgegrenzt, bespuckt, verbal attackiert. Beleidigungen wie "Schwuchtel" gehörten zum Alltag. Lehrer halfen ihr nicht, auch keine Mitschüler. "Ich habe mich geschämt. Ich wollte verschwinden, einfach unsichtbar sein."
Diese Erfahrungen prägten ihr Selbstbild, hinterliessen Narben auf ihrer Seele. "Ich habe das alles über mich ergehen lassen, von der fünften bis zur zehnten Klasse. Das Ergebnis war, dass ich die Schule als eine zutiefst verunsicherte Person verlassen habe. Ich hatte Angst vor Menschen."
Der Weg zur Transition
Die Entdeckung ihrer Identität als Transfrau folgte auf Begegnungen in der queeren Szene. Sie knüpfte Kontakte und führte viele Gespräche mit einer Transfrau. "Auf einmal hat es klick gemacht. Da wusste ich: Ich bin das auch. Trans." Zunächst habe sie damit gehadert, "weil ich gemerkt habe, dass es sehr schwer ist, einen Partner zu finden". Männer hätten sie oft nur auf das Sexuelle reduziert, wollten mit ihr ihre sexuellen Fantasien ausleben. Beziehungen blieben oft im Verborgenen.
Sasha merkt, sie will sich nicht nur als Frau fühlen, sondern auch so aussehen. "Ich wünschte mir Brüste, mehr Hüfte, feminine Gesichtszüge. Also suchte ich nach Ärzten und habe mich gut beraten lassen. Ich wollte, dass mich auch die Gesellschaft als Frau wahrnimmt, weil ich mir ein normales Leben ohne Stigmatisierung wünschte. Bahnfahren, einkaufen, zum Arzt gehen – ich wollte nicht mehr angestarrt werden."
Es ist keine spektakuläre Veränderung, die Sasha vollzieht, sondern ein leiser Entschluss, Schritt für Schritt. Sie beginnt mit hormonellen und ästhetischen Eingriffen, entscheidet sich bewusst gegen eine geschlechtsangleichende Operation. "Ich wollte meinen Körper nicht für andere verändern – keine Operation, bei der mein Glied entfernt wird, um daraus eine Vagina zu formen. Ich wollte für mich selbst Frau sein", erklärt Sasha ihren Weg. Natürlich habe sie auch über einen solchen Schritt nachgedacht, doch sie ist froh über ihre Entscheidung. "So wie ich bin, fühle ich mich vollkommen."
Transsein und soziale Medien
Soziale Netzwerke wie TikTok, Instagram oder YouTube spielen eine zentrale Rolle für die Sichtbarkeit von Transpersonen. Sie schaffen Räume, in denen Erfahrungen geteilt, Informationen verbreitet und Vorbilder gefunden werden können. Die Möglichkeit zur Selbstdarstellung abseits traditioneller Medien hat dazu beigetragen, dass Transidentität heute vielfältiger und öffentlicher gelebt werden kann. Sichtbarkeit ist wichtig, aber sie hat ihren Preis: Soziale Medien zeigen vor allem das Laute, das Schrille – viele leise Realitäten bleiben unsichtbar.
Transsein wird dadurch oft auf Äusserlichkeiten oder dramatische Narrative reduziert. Auch innerhalb der Community wächst die Kritik daran. Viele fühlen sich unter Druck, bestimmten Idealen zu entsprechen, wer kein Passing erreicht, wird oft übersehen.
Passing auf Social Media
- Passing bedeutet, dass andere eine Transperson als das Geschlecht wahrnehmen, mit dem sie sich identifiziert – ohne Zweifel, Kommentare oder Infragestellung.
Sasha kennt diese Dynamik: "Ich will nicht Teil eines Trends sein. Ich will als Mensch gesehen werden." Für sie ist es wichtig, sichtbar zu sein, um zu zeigen, "wie schwer unser Leben oft ist. Was für andere selbstverständlich ist, ist für uns ein täglicher Kampf."
Gleichzeitig kritisiert sie bestimmte Entwicklungen in der Debatte über Transidentität. "Ein Teil des Problems liegt in der medialen Darstellung. Dass wir angeblich den Platz von biologischen Frauen einnehmen wollen. Dass Transsein ein Trend sei. Das ist falsch. Es ist ein langer, schwieriger Prozess mit vielen Hürden. Und das Bild, das soziale Netzwerke transportieren, entspricht nicht der Realität. Es kommt auch auf uns selbst an, was für ein Bild wir vermitteln wollen. Aktuell prägt die übersexualisierte Darstellung das Bild in der Öffentlichkeit."
Zwischen Fortschritt und Rückschritt
Noch immer ist der Alltag für viele Transpersonen herausfordernd. Eine Studie des Verbands Queere Vielfalt (LSVD) zeigt: Viele erleben Diskriminierung, psychische Belastung trotz rechtlicher Fortschritte. Gesellschaftliche Anerkennung bedeutet für Sasha, dass jeder so leben darf, wie er oder sie es möchte – frei von Angst, Zwang oder politischer Vereinnahmung.
Sie blickt mit Sorge auf extreme Tendenzen: "Was wir uns hart erarbeitet haben, darf nicht durch Ideologien gefährdet werden. Ich sehe, wie Intoleranz wächst. Von links wie von rechts." Gleichzeitig äussert sie sich kritisch zu Entwicklungen, die sie als übergriffig empfindet, etwa zur Art und Weise, wie über Sprache und Sexualität diskutiert wird. Ihrem Eindruck nach fehlt es oft an Augenmass. Jungen Menschen rät sie deshalb: "Triff keine vorschnellen Entscheidungen – dein Weg gehört dir allein."
Sasha ist froh, heute in Deutschland zu leben. "Aufgrund der politischen Errungenschaften und der gestiegenen gesellschaftlichen Akzeptanz kann ich mittlerweile so sein, wie ich bin." Als sie damals zurückkehrte, musste sie aber bei null beginnen. Sie hatte keine Ausbildung, kein Netzwerk. Viele Jahre war sie in Beziehungen gewesen, in denen sie im Verborgenen lebte. Sie hatte bei Männern Halt gesucht, Bestätigung, finanzielle Sicherheit – auch wenn sie dafür ihre Identität verstecken musste. "Ich war nie die Frau, die man der Familie vorstellt", sagt sie.
Nach Bewerbungscoaching, Praktika und Vorstellungsgesprächen, die sie anfangs in Panik versetzen, arbeitet sie heute in einer Kanzlei als Assistentin. Sie verdient ihr eigenes Geld, ist unabhängig. Aus der einst in sich gekehrten, ängstlichen Sasha ist eine mutige Frau geworden. Eine Frau, die offen über das Thema Transidentität spricht und betont: "Trans ist kein Trend. Es ist ein langer, harter Weg."
Weltweite Perspektive
- Weltweit ist die Situation von Transpersonen unterschiedlich. In 64 Staaten wird Homosexualität noch strafrechtlich verfolgt, in zwölf Ländern davon ist die Todesstrafe für gleichgeschlechtliche Handlungen faktisch möglich. In Europa hingegen haben Länder wie Belgien, Dänemark und Spanien gesetzliche Verfahren zur Geschlechtsanerkennung auf Grundlage der Selbstbestimmung eingeführt. Deutschland hat mit dem Selbstbestimmungsgesetz einen bedeutenden Schritt hin zu einer entbürokratisierten und selbstbestimmten Anerkennung der Geschlechtsidentität gemacht. Dennoch gibt es auch in Europa Rückschläge. In osteuropäischen Staaten etwa wie Ungarn oder Polen wird geschlechtliche Vielfalt zunehmend politisiert und diskriminiert.
Verwendete Quellen
- Interview mit Sasha Trifunovic
- "Mein Leben als Transfrau. Eine Autobiografie", von Sasha Trifunovic mit Anja Thyssen (Amazon Independently published, 299 Seiten)
- Auswärtiges Amt: LSBTIQ
- Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit: Medien im Wandel: Ein Standpunkt zur Repräsentation von trans* Personen
- Dachverband der Migrantinnenorganisationen: Sichtbarkeit ist gut – Gleichberechtigung ist besser!
- Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit: Die erkämpfte Freiheit: Trans*- und Inter*geschichte in Deutschland
- Verband Queere Vielfalt: Was denkt Deutschland über Lesben, Schwule, bisexuelle, trans*, intergeschlechtliche und weitere queere Menschen?
- Bundeszentrale für politische Bildung: Entwicklungen der Trans*bewegung in Deutschland