Konzentration im Sinkflug? Ein neues E-Tattoo soll in Echtzeit erkennen, wann das Gehirn überfordert ist – und so dabei helfen, Unfälle zu verhindern. Wie die Technik funktioniert, welche Grenzen sie hat und wer besonders profitieren könnte.

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Der Lastwagenfahrer, der auf der Autobahn einzuschlafen droht oder der erschöpfte Arbeiter, der die falsche Taste am Industrieroboter drückt: Eine rechtzeitige Warnung vor Konzentrationsschwäche könnte viele Arten von Notfällen verhindern.

Ein spezielles E-Tattoo biete dafür einen kostengünstigen und benutzerfreundlichen Ansatz, ist ein Forschungsteam überzeugt. Das drahtlose Gerät mit tattooähnlichen, weichen Sensorpflastern lasse aus Gehirnströmen in Echtzeit auf die mentale Belastung des Trägers schliessen. Ähnliche E-Tattoos wurden bereits von anderen Anbietern entwickelt.

Die Technologie könne dazu beitragen, Überlastung etwa bei Fluglotsen oder Lkw-Fahrern zu erkennen, hoffen die Wissenschaftler. "Technologie entwickelt sich schneller als die menschliche Evolution", sagte Hauptautor Nanshu Lu von der University of Texas in Austin. "Unsere Gehirnkapazität kann damit nicht Schritt halten und wird leicht überlastet."

E-Tattoo misst aktuelle Belastung und macht Vorhersagen

Bisher stützt sich die Bewertung der mentalen Arbeitsbelastung vielfach auf einen Index, der für jeden Menschen einzeln über eine langwierige Befragung nachträglich bestimmt werden muss, wie das Team um Nanshu Lu erläutert. Ein E-Tattoo hingegen könne nicht nur sehr rasch die jeweilige aktuelle Belastung bestimmen, sondern gekoppelt mit einem Computermodell auch Vorhersagen machen. Auf diese Weise könnten solche Geräte künftig womöglich vor bald drohender mentaler Ermüdung warnen.

Die Forschenden testeten ihr E-Tattoo an vier Männern und zwei Frauen zwischen 20 und 33 Jahren, die eine Gedächtnisaufgabe mit steigendem Schwierigkeitsgrad absolvierten. Mit zunehmender geistiger Belastung zeigten die Probanden eine höhere Aktivität bestimmter Gehirnwellen, die Aktivität anderer nahm ab. In der Summe weise das auf geistige Ermüdung hin, erklären die Wissenschaftler im Fachjournal "Device". Das Gerät könne also erkennen, ab wann ein Gehirn Probleme habe. In weiteren Versuchen müsse nun die Aussagekraft bei realen Mensch-Maschine-Interaktionsaufgaben geprüft werden.

Zusammenhang zwischen mentaler Belastung und Unfallwahrscheinlichkeit

Es gebe einen direkten Zusammenhang zwischen der mentalen Belastung und der Unfallwahrscheinlichkeit, erläutert das Team. Bisher sei es aber schwierig, die mentale Auslastung genau einzustufen – unter anderem wegen vieler möglicher Einflussfaktoren wie Art und Schwierigkeit der Aufgabe, die jeweiligen Umstände bei der Ausführung sowie Fähigkeiten und Ermüdungsgrad des Bedienenden in der aktuellen Situation.

Anders als bisher genutzte sperrige EEG-Kappen mit vielen Drähten bestehe das kabellose, personalisiert hergestellte E-Tattoo aus einem leichten Batteriepack und dünnen, aufkleberartigen Sensoren, erläutert das Team. Es habe auch Vorteile gegenüber ähnlichen Geräten in Form eines Stirnbandes. So ein Band sei zwar bequem zu tragen, die Sensoren könnten sich aber durch Mimik und Körperbewegungen verschieben. Instabile Elektroden-Haut-Schnittstellen seien auch bei Geräten in Form von Brillen oder Kopfhörern ein Problem.

Mögliche Einschränkungen: Schweiss und begrenzter Einsatzbereich auf der Stirn

Zudem seien solche Wearables wenig kompatibel mit am Kopf getragener Ausrüstung wie Schutzhelmen. E-Tattoos hingegen böten einen stabilen Kontakt mit der Haut – auch sie könnten allerdings für bis die Stirn reichende Helme oder Virtual-Reality-Headsets hinderlich sein. Dynamische Aktivitäten wie Gehen oder Laufen, Lächeln oder etwas trinken seien bei guter Signaltreue möglich. Problematisch könne starke Schweissbildung sein.

Auch könne das E-Tattoo bisher nur auf den haarlosen Bereich der Stirn, nicht auf den behaarten Oberkopf geklebt werden – was die Überwachung verschiedener neuronaler Aktivitäten einschränke. "Das Fehlen von EEG-Aufzeichnungen dieser Regionen schränkt möglicherweise die umfassende Erfassung der mentalen Belastung in komplexen Einsatzumgebungen ein", heisst es dazu. "Zukünftige Forschung könnte von der Integration haarkompatibler ultradünner Elektroden oder E-Tattoos profitieren."

Zwischen Überforderung und Langeweile

Seine beste Leistung erbringt ein Mensch in einer kognitiven Zone, in der er weder überfordert noch gelangweilt ist, wie es in der Studie heisst. Diesen Bereich zu finden, sei der Schlüssel zu optimaler Leistung – und besonders wichtig bei Aufgaben, bei denen Fehler zu Verlusten von Menschenleben und Sachwerten führen können. "Bei geringer mentaler Belastung kann eine Person die Konzentration verlieren und Fehler machen. Bei hoher Belastung kann eine Person überfordert sein und die Kontrolle verlieren", heisst es in der Studie.

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