Artischockenhandel, Baupfusch, und Pizza mit Heroin: Die Mafia ist ein Schattenkonzern, der sich ständig anpasst. Teil vier unserer Serie beschreibt, wie die Cosa Nostra Geld verdient und wie gross ihre wirtschaftliche Macht heute ist.
Das Gesicht der Mafia klebt an den Fassaden der Zona Espansione Nord (ZEN). Wer das Randviertel im Norden von Palermo besucht, sieht vor allem eins: Beton und Armut. Seelenlose Wohnblocks stapeln sich übereinander, wie über Nacht aus dem Boden gestampft. Doch ZEN ist mehr als ein Problembezirk, in dem schon Jugendliche eine Waffe tragen. Das Viertel ist Mahnmal für ein Millionen-Geschäft der Cosa Nostra: dem "Sacco di Palermo", dem "Ausverkauf" der Stadt.
Der Mann, der der Mafia seine Stadt verkaufte, hiess Vito Ciancimino. In den 1950ern war er Baudezernent, später Bürgermeister von Palermo. Ciancimino liess die im Krieg beschädigten Palazzi im Herzen der Stadt verrotten und vergab stattdessen tausende Baugenehmigungen an Strohmänner der Mafia. Die Cosa Nostra bepflanzte damit den Grüngürtel der Stadt – sie errichtete Billig-Wohnblocks, schnell und ohne Sicherheitsstandards, oft mit Zuschüssen aus öffentlicher Hand. Ciancimino wurde Multimillionär – und als einer der ersten ranghohen Politiker als Mafia-Mitglied verurteilt.
Die Mafia hat sich damals in Palermo eine goldene Nase verdient. Doch es ist natürlich nicht das einzige Geschäftsfeld, dem sie ihren immensen Reichtum verdankt.
Wie kam die Mafia eigentlich zu ihrem Reichtum?
Bauspekulation, Prostitution, Glücksspiel, Wuchergeschäft, Handel mit Drogen und Waffen – die Geschäfte der Mafia sind so vielfältig wie ihre Namen. Was einst unter den Zitronenbäumen Siziliens mit Schutzgelderpressung begann, hat sich heute tief in die Strukturen der modernen Wirtschaft hineingegraben. Die Cosa Nostra ist eine Schattenfirma, die sich wie ein Chamäleon anpasst. Und der Mafioso ist längst kein "Ehrenmann" mehr mit Kodex – er ist moderner Unternehmer, Investor, Lobbyist.
Im ersten Teil unserer Mafia-Serie haben wir über ihre Ursprünge auf Sizilien berichtet. In Teil zwei ging es um den Aufstieg der Cosa Nostra in den USA. Teil drei nahm Sie mit zu den "Gangs of New York", zu den Machtkämpfen legendärer Mobster in den Gassen der Metropole. Doch eine Frage blieb dabei offen: Wie kam die Cosa Nostra eigentlich zu ihrem Geld?
Der Aufstieg zur Wirtschaftsmacht gelang ihr im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Dort entdeckten eingewanderte Mafiosi die Schwächen von Wirtschaft und Gesetz. Schnell übernahmen sie die Kontrolle über ganze Produktmärkte. Ein berühmtes Beispiel aus den 1920ern sind die "Artischockenkriege": Der "Artischockenkönig" Ciro Terranova zwang kalifornische Farmer, ihm ihre Ware zu Schleuderpreisen zu verkaufen – wer sich weigerte, fand seine Felder zerstört vor. Viele beugten sich dem Druck.
In der Prohibition verdiente die Cosa Nostra am Alkoholschmuggel ein Vermögen. Doch als das Alkoholverbot 1933 endete, brach die Geldquelle plötzlich weg. Die Mobster wussten: Wollten sie neue Geschäftsfelder ergründen, brauchten sie Verbindungen, die sie schützten. Und so setzten sie Politiker, Polizisten, Stadtinspektoren und sogar Richter auf ihre Gehaltsliste. Korruption wurde zum Geschäftsmodell, über Bestechung wurden Verfahren eingestellt, Strafakten manipuliert oder Zeugen davon abgehalten, ihre Aussagen zu machen.
Mafia und Gewerkschaften: Eine unheilvolle Allianz
Besonders einflussreich war dabei ihre Allianz mit den Gewerkschaften, allen voran mit Gewerkschafts-Boss Jimmy Hoffa, seinerzeit einer der mächtigsten Männer der Vereinigten Staaten und Bindeglied zwischen Politik und Unterwelt. Schon vor seiner Wahl zum Präsidenten der einflussreichen "Teamsters"-Gewerkschaft 1957 nutzte die Cosa Nostra den Arbeiterkampf für sich: Arbeitsrechte und Tarife wurden damals oft gewaltsam erstritten und die Mafiosi stellten Schlägertrupps zur Verfügung, die den Kampf für eine Seite entschieden.
Der Deal mit dem Boss der "Teamsters", der Gewerkschaft der Transport- und Logistikarbeiter, zahlte sich doppelt aus. Die Mafia sicherte Hoffa seinen Einfluss. Im Gegenzug erhielt sie freie Hand beim Schmuggel und Hoffa wusch ihr schmutziges Geld, indem er mit Milliardensummen aus der Rentenkasse der Arbeiter Spielcasinos und Hotels in Las Vegas errichtete. Allerdings bediente er sich daran selbst und besiegelte damit wohl sein Ende: 1975 soll er mit Mafia-Bossen zum Mittagessen verabredet gewesen sein, Zeugen sahen ihn am Strassenrand warten. Dann stieg er in ein Auto ein – und tauchte nie wieder auf.
Mit Heroin und Pizza zum Erfolg
Von dem Reichtum, den sich die Cosa Nostra in den USA mit Alkoholschmuggel und der Infiltration von Gewerkschaften erwirtschaftete, konnten die Mafiosi auf Sizilien nach Kriegsende nur träumen. Dort hatte Mussolini die "Ehrenmänner" zurückgedrängt und geschwächt. Doch das Blatt wandte sich, als in den USA in den 1960ern die Nachfrage nach Heroin boomte. Den Mobstern war der Einstieg ins Geschäft zu gefährlich, die amerikanischen Behörden hatten gerade erst die Strafen erhöht. Also schlossen sie einen historischen Deal mit ihren sizilianischen Verwandten.
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1957 kamen ranghohe Mafiosi zu einem Gipfeltreffen im "Grand Hotel des Palmes" in Palermo zusammen. Sie verhandelten die "Pizza Connection", den grössten Heroindeal, den es bis dato gegeben hatte. Die Sizilianer erhielten die Erlaubnis, Drogen in den USA zu vertreiben, wenn sie die Mobster am Gewinn beteiligten. Sie schickten Verbrecher in die USA, die dort Pizzerien eröffneten, Tomaten und Mozzarella wurden aus Italien exportiert – und mit im Gepäck kam das Heroin über die Grenze. Besonders praktisch: Pizza erfreute sich damals in den USA grosser Beliebtheit, das legale Geschäft eignete sich hervorragend zur Geldwäsche. In den 1970ern und 1980ern machten die Sizilianer mit den Heroin-Pizzerien mehrere hundert Millionen Dollar im Jahr und kontrollierten rund 80 Prozent des Marktes im Nordosten der USA.
Während die sizilianischen Bosse am Drogenhandel verdienten, war die Prostitution für sie ein Tabu. Die Italo-Amerikaner waren pragmatischer: In Städten wie Chicago, New York und Las Vegas betrieben sie Stripclubs und Bordelle oder nahmen Schutzgeld von den Betreibern. Nur an eine Regel mussten sie sich unbedingt halten: keine Italienerinnen zu prostituieren. Das war ein ungeschriebenes Gesetz aus Respekt gegenüber den Verbündeten in der sizilianischen Heimat.
Mafia-Gerüchte um Trump-Tower
In den 1980ern schliesslich verlagerte sich der Fokus. Das Baugewerbe wurde zur neuen Goldgrube, in New York noch profitabler als in Palermo. Ein Kartell an Mafia-nahen Betonfirmen kontrollierte damals fast jede Grossbaustelle von Manhattan. Recherchen zufolge war die Mafia auch am Bau des Trump-Towers beteiligt. Der New Yorker Journalist Wayne Barrett bezeichnet das Prestigeprojekt des heutigen US-Präsidenten in seiner Biografie über
Der Bausektor ist bis heute ein profitables Feld für Mafiosi, in den USA, aber vor allem in Italien – davon zeugen die zahlreichen unvollendeten Baustellen, die die Landstrassen in Süditalien säumen. Die Cosa Nostra erpresst, gründet Scheinfirmen, sichert sich über sie öffentliche Aufträge und nutzt Geschäfte, um ihr schmutziges Geld zu waschen.
Ähnlich geht sie in der Abfallwirtschaft vor. In den 1980ern und 1990ern kontrollierten die Fünf Familien von New York die Entsorgerunternehmen der Stadt. Der Einfluss der "Müll-Mafia" hat in den USA inzwischen abgenommen. In Italien ist sie weiterhin aktiv. Verbrechen gegen die Umwelt sind dort an der Tagesordnung, für 2023 zählte die Umweltorganisation Legambiente rund einhundert am Tag. Fast die Hälfte von ihnen werden in Süditalien begangen: Die Mafia entsorgt gegen Geld gefährlichen Giftmüll, indem sie ihn anzündet, einzementiert oder einfach wegwirft.
Die Mafia investiert in Zukunftstechnologien
Die Cosa Nostra mischt mit, aber das Geschäft im grossen Stil betreiben die kalabrische 'Ndrangheta und die Camorra aus Neapel. Die 'Ndrangheta hat auch beim internationalen Verkauf von Kokain, das Heroin auf dem Markt ersetzte, das Sagen. Die Cosa Nostra konzentriert sich heute auf Waffenhandel, illegale Wetten und Glücksspiel, aufs Wuchergeschäft, Schwarzarbeit und Schmuggel.
Und sie investiert in die Zukunft: 2019 beschlagnahmten Ermittler das Milliarden-Vermögen des italienischen "Windkraftkönigs". Der Unternehmer Vito Nicastri hatte mit dem Geld der Mafia ein Firmenimperium im Bereich erneuerbare Energien errichtet, das ihr zur Geldwäsche diente. Die Genehmigung für die Windkraftanlagen erhielt er über Bestechung, nebenbei zweigte er noch Fördermittel ab. Anschliessend verkaufte er die Anlagen. Das Finanzamt wurde auf den Unternehmer aufmerksam, weil er nur geringe Einnahmen angab.
Damit ist klar: Die Mafia ist kein Mythos mehr, sie durchdringt viele Bereiche des alltäglichen Lebens. Wie gross ihre Wirtschaftsmacht ist, lässt sich kaum beziffern. Daten gibt es aus Italien: Laut einer Studie des Handwerkerverbands CGIA machten alle italienischen Mafia-Organisationen in 2023 einen Umsatz von mehr als 40 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Deutsche Bahn hat im selben Jahr rund 45 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Die Mafia ist damit der viertstärkste Wirtschaftsmotor des Landes – ein globaler Schattenkonzern ohne Steuernummer, aber mit einem Businessplan, der Generationen überdauert.
Verwendete Quellen
- Mafianeindanke: Donald Trump und die Mafia: eine vertuschte Vergangenheit?
- cgiamestre.com: Studie des italienischen Handwerkerverbands CGIA zum Umsatz der Mafia
- Legambiente: Rapporto Ecomafia
- Youtube: Phoenix-Sendung zur "Pizza Connection"