Die bürgerliche Rechte in Frankreich macht sich grosse Hoffnungen auf die Präsidentschaftswahlen 2027. Hoffnungsträger ist Innenminister Bruno Retailleau. Mit seinen Themen Ordnung, Sicherheit und einem Antimigrationskurs will er Marine Le Pen Paroli bieten. Er ist: der Anti-Macron.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Tanja Kuchenbecker sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

In Frankreich feiert die konservative Rechte ein Comeback. Mit Innenminister Bruno Retailleau wurde Ende Mai ein neuer Hoffnungsträger an die Spitze der Republikaner (LR) gewählt.

Mehr Politik-News

Er hat grosse Ziele: Das grösste ist wohl die Präsidentschaft 2027. Er wird als echte Alternative zur rechtsnationalen Marine Le Pen und ihrem Rassemblement National (RN) gesehen. Der 64-Jährige ist rechtskonservativ, nicht ultrarechts. Retailleau steht für Ordnung, Sicherheit und fährt einen Antimigrationskurs, ist bürgerlich und katholisch.

Retailleau beginnt direkt, seine Truppen zu ordnen, Ex-Premierminister Michel Barnier wurde gerade zum Präsidenten des Rates der Konservativen ernannt. Nun arbeitet Retailleau an der Parteistrategie. Entscheidend werden dabei der Nationale Parteirat am 28. Juni und ein Parteikongress im September. Retailleau ist überzeugt vom anstehenden Comeback der bürgerlichen Rechten: "Die Franzosen, die unsere Überzeugung teilen, wollen eine Rechte in Aktion sehen."

Der Politologe Luc Rouban von der Politikhochschule Sciences Po sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Die Erwartungen an die Rechte sind gross. Im Bereich von Sicherheit, Immigration und Wirtschaft. Eine neue, junge Generation setzt mehr auf Liberalismus in der Wirtschaft. 70 Prozent der Franzosen gehören dem Spektrum zwischen Mitte rechts und rechts an."

Annäherung der Wähler der bürgerlichen und extremen Rechten

Er sieht Chancen für die Républicains, weil sie heute strammer rechts auftreten können als bisher. "Früher wollte die bürgerliche Rechte sich mehr in der Mitte positionieren. Aber die extremen Thesen werden heute mehr akzeptiert. Wir erleben deshalb eine Annäherung der Wähler der klassischen Rechten und der extremen Rechten." Es gehe dabei vor allem um die Frage der Identität Frankreichs.

Die Schwäche des RN sei seine mangelnde Präsenz im Land und in der Wirtschaft. Die Republikaner sind dagegen überall gut verankert: beim Arbeitgeberverband Medef, den Firmenchefs, in der Elite, bei den gewählten Volksvertretern und im Lokalen. Sie stehen für ein Europa mit einer neuen Strategie, eine EU, die sich mehr für Verteidigung einsetzt und weniger für Bürokratie.

Auch Jean-Yves Camus, Extremismus-Forscher bei der französischen Denkfabrik Fondation Jean-Jaurès, die eher den Sozialisten nahesteht, ist überzeugt, dass Retailleau dem RN Wähler abwerben kann. In einem Interview mit der Zeitung "Le Journal du Dimanche" sagte er: "aufgrund seines Diskurses über Souveränität, Sicherheit und Immigration".

Sicherheit, Verteidigung und Immigration waren immer die klassischen Themen der Konservativen, die von Le Pen übernommen und zugespitzt wurden. Alltägliche Kriminalität beunruhigt die Franzosen, viele fordern mehr Ordnung und eine Rückkehr zu einer grösseren Autorität des Staates.

Bei seinem Amtsantritt als Innenminister im September 2024 hatte Retailleau deshalb erklärt: "Ich habe drei Prioritäten: Die Ordnung wiederherzustellen, die Ordnung wiederherzustellen und die Ordnung wiederherzustellen. Ich glaube an Ordnung als Vorbedingung für die Freiheit."

Strategie der Republikaner

Retailleau muss einen Platz zwischen Präsident Emmanuel Macrons Mitte und Le Pen schafften. Macron selbst kann nach zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten 2027 nicht mehr als Präsidentschaftskandidat antreten.

Zunächst setzen die Konservativen auf die Kommunalwahlen im März 2026, weil sie überall im Land besser aufgestellt sind als der RN – dabei soll es auch Absprachen mit Macrons Mitteblock geben. Die Kommunalwahlen werden für die Républicains nach Jahren in der Opposition der grosse Test.

Nach der Niederlage des konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy gegen den Sozialisten François Hollande im Jahr 2012 hatte ihr Abstieg begonnen. Die Lage spitzte sich zu, weil Emmanuel Macron ab 2017 zielstrebig begann, LR-Spitzen für die von ihm gegründete Partei En Marche (heute Renaissance, RE) abzuwerben, darunter auch Ex-Wirtschaftsminister Bruno Le Maire oder Justizminister Gérald Darmanin.

Beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2022 schied die LR-Kandidatin Valérie Pécresse mit 4,8 Prozent der Stimmen aus – eine Ohrfeige für die Republikaner.

Dabei stellten die Konservativen schon mehrere Präsidenten, darunter Nicolas Sarkozy und Jacques Chirac. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung im vergangenen Sommer kamen sie aber nur noch auf 39 von 577 Sitzen, der RN auf 125 Sitze. Zu oft hatten sich die Republikaner in den vergangenen Jahren mit inneren Streitigkeiten selbst geschwächt. Sogar Retailleaus Gegner um das Amt des Parteichefs, Laurent Wauquiez, Fraktionschef der Republikaner, zeigt sich zur Zusammenarbeit bereit und betonte, es solle keinen "Krieg der Chefs" mehr geben.

Retailleau will Innenminister bleiben, er weiss genau, dass dieses Amt ihn in wenigen Monaten bekannt gemacht hat. In kürzester Zeit stiegen seine Zustimmungswerte in Umfragen rapide an, seine Themen Sicherheit und Immigration kamen beim Volk gut an.

Der LR-Chef vertritt einen harten Migrationskurs und geht gegen Drogenkriminalität vor. Er setzt sich zusammen mit Justizminister Gérald Darmanin für den Bau von Hochsicherheitsgefängnissen in Französisch-Guyana für besonders gefährliche Straftäter ein, vor allem Drogenhändler und Islamisten.

Lesen Sie auch

Noch einen Trumpf kann Retailleau ausspielen: Der Politiker aus Westfrankreich war vorher vor allem in der Lokalpolitik aktiv, als Senator und Abgeordneter der Nationalversammlung. Er hat Wirtschaft in Nantes studiert und die Politikhochschule Sciences Po in Paris besucht, gehört nicht der Elite an und hatte bisher kein hohes Amt in der Staatsbürokratie. Fast ein wenig unscheinbar wirkt er.

Im Jahr 2022 wollte er schon mal Präsidentschaftskandidat der Republikaner werden, konnte sich aber in der Partei nicht durchsetzen. Neben Macron, der als "arroganter Jupiter" – als überheblich und selbstherrlich – bezeichnet wurde, wirkt Retailleau bodenständig. "Er ist ein Anti-Macron und nicht so ehrgeizig wie Nicolas Sarkozy", sagt Politikwissenschaftler Luc Rouban. Er verstehe es, mit den Franzosen zu reden. Und genau das könnte die Wähler überzeugen.

Verwendete Quellen