Fast 20 russische Drohnen im polnischen Luftraum: Deutsche und europäische Politiker sind entsetzt und sehen eine neue Eskalationsstufe im Konflikt mit Russland erreicht. US-Präsident Trump reagiert kryptisch.

Die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas sieht das mutmasslich absichtliche russische Eindringen in den Luftraum Polens als eine Art Zäsur, die nicht folgenlos bleiben darf. "Was in Polen passiert ist, ist ein Game-Changer", sagte Kallas im Gespräch mit Journalisten aus Brüssel. Man müsse nun sehr stark und entschlossen reagieren. Sie prüfe derzeit auch die Option, die europäischen Verteidigungsminister und Aussenminister zu Beratungen über Handlungsoptionen einzuberufen.

Zur möglichen Motivation Russlands sagte Kallas, Kremlchef Wladimir Putin wolle die Europäer offensichtlich testen und zeigen, dass er Dinge wie diese einfach tun könne. Er werde dabei jedes Mal dreister, weil die bisherigen Reaktionen nicht stark genug gewesen seien.

Trump: Russland hat "polnischen Luftraum mit Drohnen verletzt"

Am Mittwochabend reagierte auch US-Präsident Donald Trump auf den Vorfall. Dabei warf er Russland eine Verletzung des polnischen Luftraums vor. "Was ist mit Russland, das den polnischen Luftraum mit Drohnen verletzt?" schrieb Trump in einer Kurzbotschaft auf seinem Onlinedienst Truth Social. Er fügte hinzu: "Los geht's!" Was Trump damit genau meinte, blieb unklar.

Nach Angaben aus dem Weissen Haus wollte der US-Präsident wegen des Vorfalls mit dem polnischen Präsidenten Karol Nawrocki telefonieren. "Präsident Trump und das Weisse Haus verfolgen die Berichte aus Polen, und es gibt Pläne, dass Präsident Trump heute mit Präsident Nawrocki sprechen wird", sagte ein Vertreter des Weissen Hauses der Nachrichtenagentur AFP.

Trump hatte Nawrocki vor einer Woche im Weissen Haus empfangen und ihm Unterstützung für die Sicherheit Polens zugesichert. "Wir stehen vollständig zu Polen und werden Polen helfen, sich zu schützen", sagte Trump. Er zeigte sich offen dafür, mehr US-Soldaten in das Land zu entsenden, das an die Ukraine grenzt. In Polen waren laut Medienberichten zuletzt rund 8000 US-Kräfte im Rotationsverfahren stationiert.

Aussenminister Wadephul: Russland nimmt "gefährliche Eskalation in Kauf"

Als Ansatzpunkt für eine entschlossene Reaktion der EU nannte Kallas den bereits laufenden Planungsprozess für das mittlerweile 19. Paket mit EU-Russland-Sanktionen. Er soll in den kommenden Tagen in einem konkreten Vorschlag der EU-Kommission für Rechtsakte münden. Diese müssten dann noch von den Regierungen der Mitgliedstaaten angenommen werden.

Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zeigte sich entsetzt: Die Luftraumverletzungen durch russische Drohnen seien "inakzeptabel" und "eine gezielte Provokation nicht nur gegenüber Polen. Das muss man deutlich unterstreichen", sagte Pistorius. "Es ist eine Provokation gegenüber der gesamten Nato und gegenüber unserer europäischen Sicherheitsordnung."

Deutschland unterstütze alle Schritte, die die Sicherheit Polens und Europas gewährleisteten, sagte er nach einem Auftritt im Bundestag vor Journalisten. Das gelte auch für den von Polen initiierten Nato-Konsultationsprozess nach Artikel 4. "Das letzte Mal, dass dieser Prozess ausgelöst worden ist, war kurz nach dem Beginn der Vollinvasion in der Ukraine. Und das macht auch deutlich, dass wir hier nicht über eine Petitesse reden und dass die Nato sich dazu verhalten wird."

Aussenminister Johann Wadephul verurteilte die Vorkommnisse mit den Worten, Russland habe damit "leichtfertig eine gefährliche Eskalation in Kauf genommen". Nun müsse geprüft werden, "was geschehen ist, mit welcher Intention es geschehen ist und dass wir uns auch sorgfältig vorbereiten für Wiederholungsfälle".

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Hofreiter: "Das ist auch Folge westlicher Unentschlossenheit"

Der EU-Abgeordnete Anton Hofreiter von den Grünen betonte gegenüber dem "Spiegel" ebenfalls, dass noch nicht genau feststehe, wie es zu dem Vorfall gekommen sei. "Klar ist aber: Russland testet erneut, wie weit es gehen kann. Moskau verschiebt bewusst die Grenzen des Krieges, das ist auch Folge westlicher Unentschlossenheit."

Er warf Kanzler Friedrich Merz (CDU) und verbündeten Staats- und Regierungschefs vor, sie hätten allzu oft Fristen ohne Konsequenzen verstreichen lassen. "Wer so auftritt, lädt Putin geradezu ein, weiterzumachen. Europa muss sich endlich selbst um seine Sicherheit kümmern." Anderenfalls werde es selbst zur Zielscheibe.

Militärisch betrachtet ist der Vorfall aus Sicht von FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im EU-Parlament, wenig brisant. Dennoch müsse die Nato reagieren, "sonst verlieren die Länder, die eine russische Grenze haben und auf die Nato setzen, ihr Vertrauen in die Allianz" und Putin habe sein Ziel erreicht, sagte sie dem "Spiegel".

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In den polnischen Luftraum waren in der Nacht zum Mittwoch fast 20 russische Drohnen eingedrungen. Die polnische Luftwaffe schoss einige der Drohnen mit Unterstützung von Nato-Partnern ab. Ob die Drohnen absichtlich nach Polen oder versehentlich in den polnischen Luftraum eingedrungen waren, ist bisher unklar. Das russische Verteidigungsministerium bestritt gezielte Angriffe auf das EU- und Nato-Land und erklärte: "Es bestand nicht die Absicht, Ziele auf polnischem Staatsgebiet anzugreifen." (mcf)

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