Polen wählt seinen Präsidenten. Der Urnengang könnte einen Umbruch für Warschau bedeuten und der Regierung von Donald Tusk mehr Luft zum Atmen geben. Er könnte aber auch zur Ohrfeige für die Europäische Union werden.
Es herrschte Aufbruchstimmung im Oktober 2023 in Polen. Nach acht Jahren an der Macht verlor die nationalkonservative PiS bei den Wahlen ihre absolute Mehrheit. Die Wahl wurde zum Triumph von Donald Tusk. Der ehemalige EU-Ratspräsident sicherte sich mit seiner liberalkonservativen Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO) den zweiten Platz und mittels zweier Koalitionspartner später auch die Regierung.
Für viele Polen ein Moment des Aufatmens. Jahrelang hatte die PiS die Demokratie im Land abgeschliffen. Etwa, indem sie Medien zu Sprachrohren der Regierung machte. Aber vor allem durch eine gross angelegt Attacke auf die Unabhängigkeit der Gerichte – in Form einer hochumstrittenen Justizreform. Tusks erklärtes Ziel: All das rückabzuwickeln.
Doch inzwischen ist diese Hoffnung bei vielen Menschen in Polen beinahe verpufft. Schon damals war klar, dass der Tusk und seinen Leuten ein zentrales Bauteil für den Rückbau der Justiz fehlt: das Amt des polnischen Präsidenten. Genau dieses hofft man sich nun bei den Wahlen am 18. Mai zu sichern.
Präsident Duda legt Tusk konstant Steine in den Weg
Anders als der deutsche Bundespräsident, der im Kern nur organisatorische und repräsentative Aufgaben hat, verfügt das polnische Staatsoberhaupt über weitaus mehr politischen Einfluss. So ist er der Präsident nicht nur Oberbefehlshaber der Streitkräfte, sondern hat auch ein Veto-Recht.
Mit diesem kann er nahezu alle Gesetze der Regierung blockieren. Selbiges lässt sich zwar überstimmen – doch dafür hat Tusks Bündnis nicht die notwendige Mehrheit. Und genau das nutzt der amtierende Präsident Andrzej Duda wenig zimperlich aus.
Duda war vor seinem Amtsantritt 2015 Mitglied der PiS. Formell ist er aus der Partei ausgetreten, ihrer Linie blieb er aber treu. Offensichtlich wurde das schon kurz nach der Wahlen 2023, als Duda, trotz fehlender Mehrheiten, eine PiS-Regierung vereidigte – die nach nur zwei Wochen im Parlament durchfiel. Seit dem Regierungswechsel in Warschau legt Duda Tusks Leuten konstant Steine in den Weg.
Besonders, dass er die Rückabwicklung der PiS-Justizreform ausbremst, wird für Tusk mehr und mehr zum Problem. Im Inland wächst der Frust, dass bei dem zentralen Wahlversprechen nichts vorangeht. Aber nicht nur dort ist man besorgt.
Tusk ist in der Bringschuld – die EU wartet gespannt
Auch Europa blickt wenig erfreut auf den Stillstand. Schliesslich gewährte Brüssel Tusk einen gewaltigen Vertrauensvorschuss in der Sache. Jahrelang lagen Brüssel und Polen wegen der Justizreform über Kreuz.
2021 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass diese nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Insgesamt 320 Millionen kostete Warschau der Streit mit Brüssel. Dazu wurden über Jahre hinweg Förderzahlungen an Polen blockiert.
Doch als Zeichen des guten Willens gegenüber Tusk änderte Brüssel 2024 seine Haltung. Nachdem die neue Regierung einen Plan für die Reform der Justizreform vorgelegt hat, sah man die Gefahr für die Gewaltenteilung vom Tisch. So machte die EU den Weg für Milliarden an Fördergeldern frei und stellte wenig später auch das Rechtsstaatsverfahren gegen Polen ein.
Wegen der Blockaden Dudas hat sich am Umbau des Justizapparates durch die PiS aber faktisch nichts geändert. Tusk braucht den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen deshalb dringend, um seine Bringschuld gegenüber der EU und seinen Wählern begleichen zu können. Ohnehin rennt Tusk die Zeit davon: planmässig stehen schon 2027 die nächsten Parlamentswahlen an.
Ein Sieg des PiS-Kandidaten würde deshalb nicht nur weiteren Stillstand in Polen bedeuten – sondern käme auch einer Ohrfeige in Richtung Brüssel gleich.
Regierungskandidat dürfte es auf dem Land schwer haben
Aktuellen Umfragen zufolge kann sich Tusks Regierung Hoffnung machen. Ihr Kandidat, der Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski, liegt etwa laut einer Erhebung von "Politico" mit 31 Prozent sechs Punkte vor seinem PiS-Konkurrenten Karol Nawrocki.
Trzaskowski war bereits bei der letzten Präsidentschaftswahl gegen den Amtsinhaber Duda, der nicht mehr kandidieren darf, angetreten – und unterlag knapp. Ein grosser Vorteil Trzaskowskis sind seine politischen Vorerfahrungen. So war er schon als Minister Teil der polnischen Regierung und auch EU-Abgeordneter.
Allerdings gilt er auch als Teil der polnischen Elite. Und dass er sich in der Vergangenheit für die Rechte von Menschen aus der LGBTQ-Community eingesetzt hat, könnte einigen Wählern in dem noch immer stark vom Katholizismus geprägten Land sauer aufstossen. Insbesondere unter der konservativeren Bevölkerung in den ländlichen Regionen – die Trzaskowski für seinen Sieg ebenfalls erreichen muss.
Skandale setzen PiS-Kandidaten unter Druck
Der 42-jährige Nawrocki kann hingegen keine politischen Erfahrungen vorweisen. Der Historiker war bisher noch nicht einmal Mitglied einer Partei. Nichtsdestotrotz steht er der PiS, für die er antritt, ideologisch nahe. So lehnt er Migration nach Polen ab, will polnische Staatsbürger beim Zugang zu Sozialleistungen besserstellen und eine Kehrtwende in der Umweltpolitik – entgegen den Plänen von Brüssel.
Verschiedene Kontroversen wirkten sich allerdings zuletzt negativ auf seine Kampagne aus, vor allem ein Immobilen-Skandal. Bei einer Debatte hatte Nawrocki erklärt, dass er "so wie die durchschnittlichen Polinnen und Polen", nur eine Wohnung besitze. Doch das stellte sich als Lüge heraus.
Dazu steht der Verdacht im Raum, dass er sich eine der Wohnungen durch Betrug gesichert hat. Angeblich habe der Besitzer, ein Rentner, ihm diese überschrieben, weil er sich um diesen gekümmert habe. Doch der Rentner wurde in einem Pflegeheim in Danzig aufgespürt. Für die Unterbringung dort zahlte auch nicht Nawrocki, sondern die Stadt. Die hat den Historiker deshalb nun angezeigt.
Entscheidung fällt vermutlich bei Stichwahl
Neben den beiden treten noch ein rundes Dutzend weitere Kandidaten bei der Wahl an. Chancen auf das Amt haben sie jedoch allesamt nicht. Nur Sławomir Mentzen von der rechtsextremen "Konfederacja" konnte sich zwischenzeitlich Chancen ausrechnen. Inzwischen ist er aber weit abgeschlagen.
Wahrscheinlich ist ohnehin, dass der Sieger am 18. Mai nicht feststehen wird. Um zum Präsidenten gewählt zu werden, ist eine absolute Mehrheit der Stimmen notwendig. Davon sind sowohl Trzaskowski als auch Nawrocki weit entfernt. Entschieden wird die Wahl aller Voraussicht nach deshalb bei einer Stichwahl zwei Wochen nach dem ersten Wahlgang.
Bis dahin heisst es für Tusks Regierung, Millionen Polinnen und Polen und Europa: Das Warten auf die Erneuerung der Rechtsstaatlichkeit Polens geht weiter.
Verwendete Quellen
- Deutsche Presse-Agentur (dpa)
- Bundeszentrale für politische Bildung: Präsidentschaftswahl in Polen 2025
- Euractiv.de: EU-Gericht bestätigt Millionenstrafe gegen Polen wegen Justizreformen
- Euractiv.de: Tusk-Regierung stellt Plan zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit erstmals vor
- Homepage des Sejm: Verfassung der Republik Polen
- Politico.eu: Poland — 2025 presidential election
- Spiegel.de: Polens Präsidentschaftskandidat Mentzen: Der billigste unter den Populisten
- Tagesschau.de: EU beendet Rechtsstaatsverfahren gegen Polen
- Tagesschau.de: Polens neuer Ministerpräsident Tusk vereidigt
- Tagesschau.de: Warum Tusk sein Reformversprechen noch nicht eingelöst hat
- Tagesspiegel.de: Ehemaliges PiS-Mitglied: Polnischer Präsident Duda blockiert Justizreform der neuen Regierung